20 | Friseurbesuche

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     »Schon«, antworte ich und lasse meinen Blick gedankenverloren über unsere Umgebung wandern. »Du sprichst deine Vermutungen selten aus, aber sie bewahrheiten sich oft.«

     Ein Grinsen spricht aus ihren Worten, als sie erwidert: »Zum Beispiel?«

     »Du genießt es, dass ich das zugebe, oder?«, entgegne ich schmunzelnd.

     Sie lacht. »Vielleicht. Also: Mit was lag ich zum Beispiel richtig?«

     »Zum Beispiel mit Ajax und mir«, sage ich nach einigen Sekunden. »Oder als du damals gesagt hast, dass Lovis und du für immer streiten werdet, obwohl es keinen wirklichen Grund gibt. Oder damit, dass wir irgendwann die Welt bereisen werden und dass ich irgendwann aufhören werde, meinen Wert am Durchschnitt meiner Noten zu bemessen. Oder dass wir eines Tages verstehen werden, was es bedeutet, glücklich zu sein. Was es bedeutet, am Leben zu sein. Dass wir irgendwann lernen werden, jeden Moment zu genießen, weil wir viel zu wenig Zeit haben, um Dingen hinterher zu trauern.«

     Seufzend zucke ich mit den Schultern, nachdem ich meinen Gedanken beendet habe, und betrachte eine vorbeiziehende Familie, bestehend aus zwei Männern, einem kleinen Mädchen, vielleicht sieben Jahre alt, und einem Baby, welches im Kinderwagen eingeschlafen ist.

     Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen beobachte ich das junge Mädchen dabei, wie es laut lachend einigen Seifenblasen hinterherspringt. Anstatt sie mit den Fingern zerplatzen zu wollen, versucht sie, die glitzernden Kugeln einzufangen und macht sich überhaupt nichts daraus, dass sie wenig Erfolg hat.

     Dieses Gefühl der Belanglosigkeit erschien mir eine lange Zeit über trügerisch und gefährlich, denn ich wusste, dass unsere Worten und Taten ein umfallender Dominostein sind, der ein gesamtes Leben zerstören kann. Aber dennoch zählt nicht alles. Nicht so sehr, wie ich es immer geglaubt habe. Nicht alles ist jederzeit für Bedeutung. Und wenn, dann nur für uns selbst und nicht für die gesamte Welt.

     »Wenn du das so sagst, wirkt es fast schon so, als wäre ich eine Hellseherin«, meint Mathea leise kichernd. »Dabei könnten die meisten meiner Vermutungen von Pinterest stammen.«

     »Kommt am Ende nicht alles vom Pinterest?«, erwidere ich und lenke meine Augen wieder nach vorne.

     »Gefühle nicht.«

     »Nein, die vermutlich nicht«, stimme ich ihr mit leiser Stimme zu.

     Für einige Momente laufen wir schweigend nebeneinander. Ich genieße die Laute der Stadt: Die Rufe der vorbeischlendernden Menschen, das Brummen der Autos, das Rascheln der Blätter in der sanften Brise, das leise Rauschen des Wassers. Aufmerksam betrachte ich meine Umgebung, die in der hellen Sonne zu flimmern begonnen hat. Die Wärme lockt unzählige Menschen in Gruppen oder alleine auf die Straßen, über welche sie lachend und lächelnd umherhuschen. Nur die wenigsten tragen eine ausdruckslose Miene im Gesicht.

     »Hast du mit Ania in letzter Zeit geschrieben?«, erkundige ich mich ehrlich interessiert und blicke gerade rechtzeitig zu meiner besten Freundin, um die Entstehung des sanften Lächelns zu erhaschen, welches sich bei der Erwähnung ihrer Freundin auf Matheas Lippen gebildet hat.

     »Jap, sehr viel. Und mit Elin und Jaron auch. Ich soll dich von ihnen grüßen.«

     »Ich vermisse die drei«, gestehe ich seufzend. »Und Zale auch. Es hat Spaß gemacht, als wir alle zusammen in der Ruine übernachtet haben. Allgemein war die ganze Zeit mit Zale wunderschön.«

     Aus den Augenwinkeln sehe ich ein zustimmendes Nicken. »Sie fehlen mir auch.«

     Mehr sagt sie nicht. Ihre Gedanken scheinen abzuschweifen; ihr Kopf hat sich gesenkt und ihre Augen haben den grauen Grund unter unseren Füßen fixiert, dem an manchen Stellen Ausbesserung guttun würde.

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