Erst als laute Stimmen die leisen Hintergrundgeräusche durchdringen, unterbrechen wir unser Gespräch und ich springe auf. Ich weiß sofort, wem diese Stimmen gehören. Luke und Nikan.
Kurz werfe ich Dakota einen wissenden Blick zu, bevor ich Milena versichere, dass ich gleich wieder da bin und Melissa bei ihr bleiben wird und ich mich gemeinsam mit meinem besten Freund auf den Weg mache, den aufkeimenden Streit zu unterbrechen. Ich wollte einfach einen schönen Tag mit Milena verbringen und jetzt sowas. Aber ich sollte froh sein, dass es jetzt passiert und nicht zur Zeremonie.
Vor dem Gemeinschaftsgebäude finde ich die beiden, die sich wirklich wütend anstarren. Einige Leute gucken bereits, doch keiner wagt es sich da einzumischen.
“Du hast doch keine Ahnung, was da draußen vor sich geht. Hier, unter dem Schutz deiner Mutter geht es dir gut. Aber hast du dir schon mal etwas eigenes aufgebaut? Dein eigenes Rudel? Du weißt nicht, was es bedeutet für seine Männer zu kämpfen“, brüllt Nikan Luke entgegen und klopft sich mit der Faust auf die Brust.
Die Luft ist schneidend dick und wenn das nicht sofort beendet wird, wird es eskalieren und dabei werden nicht bloß ein paar Möbel zu Bruch gehen.
“Ich kann nichts für deine scheiß Lage, also halte mich daraus. Du musst lernen die Entscheidung anderer zu akzeptieren, auch wenn sie dir nicht passt. Wenn der Alpha, den du um Hilfe bittest, sich dagegen entscheidet, dann hast du das zu akzeptieren. Also veranstalte nicht so ein Theater“, entgegnet mein Bruder in einem wesentlich ruhigeren Ton. Doch das scheint Nikan nur noch mehr zu reizen und ehe ich reagieren kann, landet seine Faust in Lukes Gesicht. Um schlimmeres zu verhindern, greifen Dakota und ich schnell ein und halten Luke an den Armen zurück, der eben auf diesen Faustschlag antworten wollte.
“Hör auf damit!“, ertönt plötzlich eine weibliche Stimme und River taucht auf. Was will sie denn hier?
“River-“, möchte ich sie davon abhalten sich hier einzumischen, doch ich werde unterbrochen.
“Nein!“ Ihre blauen Augen funkeln mich wütend an, wobei diese Wut nicht mir gilt. Sie nimmt Nikans Faust zwischen ihre Hände und schaut sich seine Fingerknöchel an. Seine Hand ist nicht wirklich verletzt, sollte aber gekühlt werden. “Komm mit“, verlangt sie und zu meiner Verwunderung folgt ihr Nikan sofort. Seine Aufmerksamkeit liegt nicht mehr auf Luke, sondern nur noch auf der zierlichen jungen Frau.
Okay, damit habe ich nicht gerechnet.
Wer hätte das gedacht?
Fast entkommt mir ein Lachen und auch Luke und Dakota scheint es ähnlich zu gehen. Die angespannte Stimmung ist sofort verflogen und wir lassen meinen Bruder wieder los.
“Was war das denn?“ Ich drehe mich um und schaue in das fragende Gesicht von Milena. Neben ihr steht Melissa, die nur entschuldigend mit den Schultern zuckt.
“Erkläre ich dir später“, sage ich und ziehe sie dann wieder zu mir. “Da wir aber einmal hier sind. Darf ich dir meinen Bruder Luke vorstellen?“ Ich deute auf den rothaarigen Mann, der sich seinen Kiefer wieder zurecht rückt und dann Milena die Hand ausstreckt.
“Willkommen in der Familie“, begrüßt er sie und Milena ergreift grinsend seine Hand. Ihr muss die Situation mindestens genauso absurd vorkommen, aber immerhin nimmt sie es mit Humor.

Nachdem sie meinen Bruder kennen gelernt hat, habe ich ihr auch noch den Rest meiner Familie vorgestellt. Angefangen mit meinen Großeltern und dann meine Eltern. Dad kennt sie bereits aus dem Restaurant, aber auch Mum hat sie ganz herzlich aufgenommen. Hoffentlich weiß Milena, dass es nun auch ihre Familie ist. Natürlich soll das kein Ersatz für ihre eigenen Eltern sein. Das ist gar nicht möglich. Aber sie soll die Chance haben, wieder Teil einer Familie zu sein.
Zum Schluss habe ich ihr noch Ahyoka und Daisy vorgestellt. Von Daisy war sie besonders begeistert, wie sie sich ständig hin und her verwandelt hat.
Jetzt befinden wir uns in meinem Zimmer. Ich sitze auf meinem Bett und beobachte Milena, wie sie alles erkundet. Viel zu entdecken gibt es da allerdings nicht. Bis auf das Bücherregal, ein paar alte CD's und mein Bett befindet sich nichts in diesem Zimmer. Es ist eigentlich wirklich nur zum schlafen da. Die restliche Zeit verbringe ich draußen in der Natur. Da fühle ich mich am wohlsten.
“Wie findest du es?“, möchte ich von ihr wissen und lasse die Frage mit Absicht so offen klingen.
“Na ja, es ist kein gewöhnliches erstes Date. Aber was ist bei dir schon gewöhnlich?“, fragt sie und dreht sie zu mir um. Ihre strahlenden Augen schauen mich an und auf ihren Lippen kann ich ein Lächeln erkennen. “Es ist schön. Ich mag deine Familie, sie sind alle so herzlich.“ Milena lässt sich dicht neben mir nieder und schaut mich abwartend an. Automatisch wandert meine Hand auf ihren Oberschenkel und ich grinse sie an.
“Da hast du Recht. Aber ich bin dennoch froh, dass wir nun ungestört sein können. Ich hatte wirklich Angst, dass dich meine Mum gar nicht mehr gehen lässt. Ich fürchte sie verlangt dich jetzt jeden Tag zu sehen. Nur so fürs Protokoll, ich habe nichts dagegen“, antworte ich und nähere mich ganz langsam ihrem Gesicht. Als ich so nah bin, dass ich ihre Sommersprossen zählen könnte, schließe ich die Augen und überbrücke auch die letzten Zentimeter, bis ihre Lippen endlich auf meinen liegen. Es fühlt sich so gut an. Sie fühlt sich so gut an. Der sanfte Druck ihrer Lippen und die Hände, die sich langsam in meinen Haaren vergraben und sanft an den Spitzen ziehen. Mein Griff auf ihrem Oberschenkel wird automatisch bestimmender und als sie meine Unterlippe zwischen ihre Zähne saugt, kann ich ein Knurren nicht unterdrücken. Milena schreckt zurück und ich kann sie nur entschuldigend anschauen.
“Sorry“, bringe ich unter zusammen gebissenen Zähnen hervor.
“Passiert das jetzt immer?“, möchte sie schmunzelnd wissen.
“Du kannst mich auch zum Schnurren bringen“, entgegne ich und vergrabe meinen Kopf an ihrem Hals, um sie spielerisch zu beißen. Sie kichert und schiebt mich an meinen Schultern wieder zurück.
“Ach ja und wie?“ Sie schaut mich fragend an, hat ihre Augenbrauen gehoben, doch das herausfordernde Grinsen verrät sie.
“Na ja, es gibt da so ein paar Sachen“, deute ich an und beuge mich wieder zu ihr vor, um ihre verführerischen Lippen zu küssen. Als ich merke, dass sich ihre Stimmung ändert, entferne ich mich sofort von ihr. “Habe ich was falsches gesagt?“
“Nein“, versichert sie mir, doch ich spüre, dass etwas nicht stimmt. “Ich meine geht das nicht alles ein bisschen schnell? Ich habe deine Familie kennen gelernt und jetzt das?“
“Das? Du meinst, dass wir über Sex reden? Geht es dir denn zu schnell? Wir können es langsamer angehen, wenn du dich bedrängt fühlst. Ich möchte nicht, dass du dich zu irgendwas gezwungen fühlst“, versichere ich ihr. Das ist das Letzte, was ich möchte. Natürlich geht es mir nicht schnell genug, aber wenn sie sich unwohl fühlt respektiere ich das.
“Ja und nein. Mir geht das nicht zu schnell. Es ist nur- Sollte es mir nicht zu schnell gehen? Wir kennen uns noch nicht so lange und ich habe schon deine Familie kennen gelernt. Jetzt sitzen wir hier und du bist so offen. Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass ich mich so wohl in jemandes Nähe fühle und habe Angst, dass es alles nur ein Traum ist“, gesteht sie und schaut niedergeschlagen nach unten.
“Hey, ich bin real. Das ist kein Traum“, versichere ich ihr und lege meine Hände an ihre Wangen, um sie dazu zu bringen mich anzusehen. Sie soll wissen, dass sie mir alles sagen kann. “Und wenn du noch nicht mit mir schlafen möchtest, dann ist das okay. Ich bin bereit, wenn du es bist und keinen Tag früher.“
“Du bist einfach unglaublich“, bringt sie mit glasigen Augen hervor, doch trägt nun wieder ein Lächeln auf den Lippen. Sie küsst meine Nasenspitze und schaut mich dann wieder an. In ihrem Blick liegt ein Funkeln, Verlangen und ja, vielleicht auch ein bisschen Hoffnung.
“Ich will übrigens mit dir schlafen“, sagt sie und nun bin ich es, der überrascht schaut. “Nicht jetzt unbedingt, wenn deine Familie unten ist. Aber prinzipiell hätte ich nichts dagegen, nur damit bescheid weißt“, fügt sie noch schnell hinzu und wirft lachend ihren Kopf in den Nacken. Oh, und allein schon dieses Lachen treibt mir das Blut zwischen die Beine. Ich muss hart schlucken. Diese Frau ist wahrhaftig meinen Träumen entsprungen.
“Hattest du denn schon mal?“, möchte ich interessiert wissen und betrachte ihre Reaktion. Als sie zögerlich nickt, verpasst es mir einen kurzen Stich, aber es ist okay. Sie hatte ein Leben vor mir, das kann ich ihr nicht verübeln.
“Es war vor zwei Jahren als meine Welt noch halb in Ordnung war. Ich habe ein Mädchen auf einer Party kennen gelernt und na ja es kam eins zum anderen. Ich dachte eigentlich, dass ich auf Frauen stehe, aber dann kamst du und hast meine Welt auf den Kopf gestellt. Ich hatte während meiner Zeit in den Pflegefamilien nie wirklich die Gelegenheit herauszufinden zu wem ich mich hingezogen fühle. Da war mein Kopf mit anderen Dingen beschäftigt“, erzählt sie mir und ich höre ihr aufmerksam zu. Es ist ein enormer Fortschritt, dass sie mir so etwas persönliches aus freien Stücken erzählt und ich bin stolz darauf, dass sie mir dieses Vertrauen entgegen bringt.
“Also, es ist schon möglich, dass du auch auf Frauen stehst. So funktioniert die Gefährten Verbindung nicht. Es geht dabei hauptsächlich um die Charaktere, die zueinander passen müssen. Dass ich biologisch betrachtet einem anderen Geschlecht angehöre, ist nur Zufall. Es kommt auch vor, dass sich Gefährten im gleichen Geschlecht wiederfinden. Das ist ganz natürlich und passiert sowohl im Tierreich, als auch bei den Menschen. Vielleicht bist du ja an beiden Geschlechtern interessiert. Das bedeutet nur für mich, dass ich jetzt doppelt aufpassen muss, weil nicht nur die halbe Bevölkerung sondern alle hinter dir her sein werden.“ Ich greife hinter ihren Rücken und verteile erneut überall Küsse auf ihrem Gesicht. Sie lacht und hält sich an meinen Oberarmen fest, bis ich wieder von ihr lasse.
“Du bist verrückt. Aber das mag ich“, antwortet sie und schenkt mir einen liebevollen Blick. Oh Götter! Ich bin bereits jetzt unsterblich in sie verliebt. Genau genommen war ich das schon immer. Aber wie bezeichnet man Liebe, wenn sie schon vor dem ersten Blick existiert? Schicksal?
“Hattest du denn schon mal Sex?“, fragt sie nun und schaut mich interessiert an.
Aber darauf gibt es nur eine Antwort und die wird sie definitiv überraschen.
“Nein.“
“Nein?“
“Nein“, bestätige ich und betrachte amüsiert ihre Verwunderung. “Ich habe dich schon immer gespürt und da war nie das Bedürfnis diese Erfahrungen mit jemand anderen zu teilen“, erkläre ich, doch ergänze noch schnell, als ich ihr aufkommendes Unbehagen spüre: “Du brauchst dich nicht schuldig fühlen. Ich mache dir keine Vorwürfe, dass du ein Leben vor mir hattest und würde auch nie verlangen, dass es anders wäre“
Nun lächelt sie wieder und ich ziehe ihr Gesicht zu mir, um meine Worte mit einem Kuss zu besiegeln.

MoonkissWhere stories live. Discover now