Wenn wir Wolken werden

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"Denkst du, dass es ein Leben nach dem Tod gibt?"

Es war noch nicht ganz dunkel draussen, doch hier drin, in deinem Zimmer erkannte ich dein Gesicht kaum mehr. Die Dunkelheit schlich herein und verbreitete eine geheimnisvolle Stimmung.
Früher hätte uns dies Angst gemacht. Heute brachte es uns zum nachdenken.

"Ich weiss nicht. Vielleicht."

Gedankenverloren lagen wir auf dem Bett. Du und ich. Ganz nah bei einander und trotzdem so weit entfernt.

"Manchmal, da möchte ich einfach sterben. Denn ich bin so müde. So unglaublich müde."

Ich glaubte Erstaunen in deinem Gesicht aufblitzen zu sehen, als ich meinen Kopf dir zu wandte. Du blicktest mich ebenfalls an, doch es war dunkel, so dunkel.
Ich wusste nicht was du dachtest, hätte es gerne gewusst. Doch du bliebst still.

"Ich wäre gerne eine Wolke."

Ich glaubte, dass du lächelst, doch ich war nicht sicher, denn noch immer sagtest du nichts.

"Glaubst du, dass man zur Wolke wird, wenn man stirbt?"

Für lange Zeit blieb es still. Plötzlich fühlte ich mich so unglaublich schwer, als wäre ich lebendig begraben worden. Trauer machte sich in mir breit. Ja, ich wäre gerne eine Wolke.

"Wenn du das wünschst, dann wirst du bestimmt eine Wolke."

Deine Stimme klang unendlich traurig und ich spürte wie ich weiter in meiner eigenen Trauer versank. Inzwischen war es noch dunkler und wir lagen fast in vollkommener Schwärze. Doch ich sah, wie deine Wangen glänzten.

"Warum weinst du?"

"Es macht mich traurig..."

Ich sprach es nicht aus, doch ich war auch traurig. Ich wusste nicht genau weshalb. Vielleicht weil ich keine Wolke war und vielleicht auch nie sein würde. Vielleicht weil ich dich verlassen müsste, wenn ich eine Wolke werden würde. Ich war unschlüssig.

"Kannst du mir etwas versprechen? Wenn ich sterbe, kannst du dann in die Wolken hinauf blicken und lächeln? Ich werde dein Lächeln sehen wollen."

Ich hörte dich schluchzen.

"Ja, ja ich werde in die Wolken hinauf schauen und ich werde versuchen zu lächeln."

Dankbar rückte ich ein Stück näher an dich heran und nahm deine Hand in meine.

"Wirst du da sein, wenn ich in den Himmel schaue?"

"Ja. Ich werde immer da sein."

Ich wusste dass du versuchtest zu lächeln, auch wenn ich es nicht sah. Ich versuchte es ebenfalls.

"Wie wirst du aussehen?"

"Klein und weiss. Wie ein Popcorn. Denn Popcorn macht glücklich."

Ich nahm wahr, wie du dir die Tränen wegwischtest neben mir. Vielleicht bildete ich mir das nur ein, doch ich glaubte zu hören, wie du ein leises Lachen von dir gabst.

"Ich werde dich immer erkenne. Oder?"

"Ja."

Ich wusste nicht ob du wieder begonnen hattest zu weinen. Aber das Zimmer war dunkel und es war ausgefüllt mit Trauer. Ausgefüllt mit unsichtbaren Wolken. In diesem Moment atmeten wir Wolken, auch wenn wir keine sein konnten.

"Es ist aber noch nicht an der Zeit eine Wolke zu werden, das weisst du, oder?"

Ich blieb stumm. Gab es eine richtige Zeit? Gab es einen Augenblick im Leben, an dem man einfach so zur Wolke werden konnte, ohne grosse Schmerzen, ohne Wunden und Regen hinter sich zu lassen? Ich glaubte nicht.

"Kannst du mir versprechen, dass du mich noch nicht alleine lässt, dass du noch nicht zur Wolke wirst? Denn ich will dich hier auf der Erde, neben mir."

"Du weisst, dass ich das nicht versprechen kann."

Ich wusste was du sagen wolltest, doch ich konnte es nicht sagen, brachte es nicht über die Lippen.

"Dann versprich mir, dass du auf dich aufpassen wirst? Wirst du das tun?"

"Ja, ich werde es versuchen."

Es war still und dunkel und ich war traurig. In Gedanken war ich bei den Wolken und dachte daran, was wohl passieren würde, wenn wir Wolken werden...

Wenn wir Wolken werdenWhere stories live. Discover now