Kapitel 2

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Schneeflocken rieselten von oben herab und vereinten sich mit dem Schnee, der wie ein Teppich den gefrorenen Erdboden bedeckte. Ich spürte, wie meine tauben Füße immer tiefer in den Schnee einsanken, während ich in den fast schwarzen Himmel sah. Dabei fiel mein Augenmerk geradewegs auf eine Schneeflocke, die größer war als die anderen. Als sie auf die Höhe meiner Brust abgesunken war, streckte ich eine Hand hervor und beobachtete, wie die einzigartig geformte Schneeflocke langsam unter der Wärme ihr Ende fand. Eine Zeit lang beobachtete ich den Wassertropfen, der in meiner Hand von der Flocke übrig geblieben war, und zuckte diese wieder zurück.

Warum hast du das getan? Hättest du die Schneeflocke nicht einfach in Ruhe lassen können? 

Ich drehte meine Handflächen nach oben und betrachtete die Hände, die Quelle von so viel Schmerz gewesen waren.

Hättest du die Flocke in Ruhe gelassen, wäre sie ein Teil von etwas Großem geworden. Doch jetzt ist sie nur ein kleiner Tropfen Wasser, nichts weiter.

Immer noch hörte ich die Schreie der Menschen, wenn ich die Richtung meiner Gedanken nicht mehr im Zaum halten konnte. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, sodass sich die viel zu langen Fingernägel ins Fleisch bohren konnten, bis das Blut in einzelnen Tropfen auf den Schnee fiel. Doch den Schmerz spürte ich kaum. Auch die Kälte vermochte ich nicht zu spüren, obwohl ich außer eines Bademantels nichts Weiteres trug. Einzig das Zittern bedeutete mir, dass es schleunigst Zeit war, wieder zu der enormen Villa zurückzukehren, in der so viele Menschen auf meine Rückkehr warteten.

Meine Großeltern. Meine Freunde. Meine mehr als lebendigen Eltern... 

Aufbrausend hatte ich ihnen den Rücken gekehrt. Um sie zu beschützen, hatte ich mir eingeredet. Doch der eigentliche Grund, warum ich ihnen nicht mehr in die Augen sehen konnte, war ein viel weniger heroischer. Ich hatte Angst. Angst vor den Blicken. Angst vor den Reaktionen. Und Angst vor mir selbst. Ob das Zittern, das meinen gesamten Körper übermannte, von der Kälte selbst herrührte oder doch von der Wut, die in mir zum Zerbersten gespannt auf einen Auslöser wartete, konnte ich nicht genau abschätzen.

Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, blickte ich geradewegs in zig mir unbekannte, vor Angst erfüllte Gesichter. Immer noch hörte ich das Röcheln aus Dimitris Kehle, während er kläglich versuchte, nach Luft zu schnappen. Meine Hände fuhren automatisch zu meinem Kopf, als könnten sie so die Erinnerungen darin im Keim ersticken. Doch ich scheiterte.

Der Schrei, der meine Kehle verließ, war laut und voller unterdrückter Emotionen. Die Stille des Nadelwaldes, der mich umgab, verschluckte den Laut und bedeutete mir, wie unwichtig ich eigentlich war. Wie klein meine Rolle in dem ganzen Spiel war, das sich Universum nannte.

Dann wird es auch niemanden stören, wenn ich gehe...

Meine Knie gaben nach und sackten in den Schnee ein. Der Wille, meinen Körper aufrecht zu halten, war erloschen. Das Letzte, was ich spürte, bevor mich die wohlverdiente Stille in die Arme schloss, war, wie mein Kopf auf das nasse Bett aus Schnee und Blut fiel.

 Das Letzte, was ich spürte, bevor mich die wohlverdiente Stille in die Arme schloss, war, wie mein Kopf auf das nasse Bett aus Schnee und Blut fiel

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