Hoffnungsvolle Versprechen

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Zwar war es immer noch seltsam, einen Freund zu haben, der Gefühle beeinflussen konnte, doch nach einigen Unterhaltungen waren wir zu dem Schluss gekommen, dass seine Gabe in einigen Situationen durchaus nützlich sein konnte. So wie in dieser hier.

Len gab mir einen Kuss auf den Scheitel und ich schloss nur für einen kurzen Moment meine Augen, um mich nicht länger von der Fremden im Spiegel mit ihrer bekümmerten Miene begutachten zu lassen.

"Na los", flüsterte mir der Alpha leise ins Ohr. "Lass uns gehen."

"Okay", wisperte ich genauso leise zurück. Ich konnte mir zwar gut andere Beschäftigungen für einen verregneten Freitagnachmittag vorstellen, doch ich wusste, wie wichtig dieser heutige Anlass für Len war. Und für mich.

Es war die letzte Gelegenheit, sich noch einmal richtig von Mrs. Roberts zu verabschieden, obwohl ihre Leiche nie in dem Trümmerhaufen aus Gestein und Felsbrocken gefunden worden war. Nachdem das Feuer erloschen war, hatte sich eine Sondereinheit von Magiern daran gemacht, die Unordnung auf dem Schlachtfeld, sowie in und rundum der Burg zu untersuchen und zu beseitigen. Der Leichnam von Lens Tante blieb dabei verschollen. Man vermutete, dass das Feuer sie wohl vollständig verbrannt hatte. Deshalb würde es eine symbolische Gedenkplatte für sie und alle anderen Verschwundenen geben, die dann zu einem naheliegenden Friedhof gefahren werden, wo bereits die Urnen der Leute lagerten, welche man vor Ort gefunden hatte.

Ich löste mich widerwillig aus Lens warmer Umarmung und folgte ihm aus dem Bad, durch mein Zimmer und die Treppe hinunter in den Flur. Nevis stand fertig angezogen dort und tippte mit gerunzelter Stirn auf seinem Handy herum. Als er unsere Schritte hörte sah er auf.

"Hey Kleines, du siehst müde aus."

"Schön, dass heute alle mein Aussehen kommentieren wollen.", brummte ich und bückte mich, um meine Füße schwerfällig in meine Stiefel zu quetschen.

"Nevis", sagte Len mahnend. "Was hatten wir gesagt?"

"Jaja, keine Spitznamen mehr", seufzte der Werwolf.

"Keine Spitznamen mehr", bestätigte Len nickend, griff nach meinem Wintermantel und hielt ihn mir auf.

"Danke.", murmelte ich. Obwohl es bereits Ende Februar war, war es immer noch unglaublich kalt. Der Schnee war zwar geschmolzen, doch die Temperaturen kletterten am Tag nie über zwei Grad. Ich wünschte mir so sehr den Frühling, dass es beinahe wehtat. Vielleicht würde sich dann auch meine fortdauernde miese Laune ein Stück bessern.

"Sag mal", redete Nevis fröhlich weiter, als wir zu dritt bereits in die kalte Luft traten und ich mir vorsichtig die Kapuze über den Kopf stülpte. "was hältst du denn davon, wenn ich stattdessen dir Spitznamen gebe?"

"Nicht sehr viel.", beantwortete Len die Frage und schloss die Haustür hinter uns zu.

"Ach was . . . Miesepeter."

Mein Atem stand weiß vor meinem Gesicht, als ich hörbar ausatmete. Was war eigentlich neuerdings mit den beiden los?

"Miezekätzchen."

"Nevis!", warnte mein Freund, griff nach meiner Hand und bedachte währenddessen unseren Mitbewohner mit einem bösen Blick, der sich jedoch nicht im Geringsten beeindrucken ließ und nur grinsend mit den Augenbrauen wackelte.

"Mein Großer."

"Nevis!" Der Druck um meine Hand wurde stärker.

"Ja, Lennylein?"

Dem Werwolf traf ein Handschuh am Kopf und gleich darauf stürzte mein Freund hinterher.

"Hey, das ist meiner. Such dir gefälligst einen anderen.", beschwerte ich mich und meinte damit eher den Namen als den Handschuh. Denn der gehörte Len.

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