Niemand ist perfekt

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"Ich hoffe du weißt, dass du mir diese Geschichte gerade gedanklich an den Kopf geschmissen hast.", ertönt die Stimme des schwarzhaarigen und ich drehe langsam meinen Kopf. Meine Augen sehen ihn müde an. "Ich hoffe du weißt, dass ich das mit Absicht gemacht habe, um langes Gerede zu verhindern." Für einen Moment mustert er mich noch, bevor er ebenfalls nach vorn sieht. Ich tue es ihm gleich. "Vielleicht war es nicht die richtige Methode. Aber sie war wirksam.", meint er nur und ich lege den Kopf schief, während ich in der Ferne einen Baum betrachte. "Wirksam... Ich glaube, ich haue Morgen einfach ab. Fang in einem neuen Land ein neues Leben an. Zieh mir da etwas hoch, in was sich hoffentlich niemand einmischt. Oder ich kann ihn töten. Eins von beiden."

Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie Alucard sich nach vorn lehnt. "Du willst also davon laufen? Wie ein kleines Häschen? Dich nicht der Herausforderung stellen?" Stille kehrt ein. Würde ich mich dieser Herausforderung stellen? Ist es überhaupt eine Herausforderung für mich, oder einfach nur ein gezwungenes Leben? "Alucard. Ich bin nicht wie du. Ich bin kein badass. Ich bin ein Feigling. Lieber laufe ich, als zu kämpfen. Ich halte den Frieden und zerstöre ihn nicht absichtlich. Ich ziehe mich aus allem raus, was mir gefährlich werden können. Ich kämpfe nur, wenn es wirklich notwendig ist. Oder ich einen Aussetzer habe. Und dann nicht einmal auf einem annehmbaren Level. Ich würde mich sogar unter Seras setzen. Wenn nicht sogar auf die gleiche Höhe eines Menschen. Und ich meine MICH. Nicht das ich das da ist, wenn der Schalter umgelegt wird. Das ich, welches an sich die Kontrolle hat."

Langsam lasse ich meinen Kopf nach unten sinken und starre auf meine eigenen Hände. "Ich bin zu gefährlich, wenn ich wütend werde. Ich kann das nicht kontrollieren. Es starben immer Menschen, wenn das passierte. Und als Ärztin..." Ich schnaube amüsiert und hebe eine Hand. Drehe sie vor meinem Gesicht und betrachte sie, als hätte ich sie noch nie gesehen. "Als Ärztin sollte ich Leben retten. Nicht zerstören. Ich sollte Menschen beruhigen und sie nicht in Panik versetzen. Ich sollte-" "Du kannst und wirst nie die perfekte Ärztin sein.", unterbricht mich Alucard und ich lasse meine Hand sinken, während ich zu ihm sehe. Er hingegen, sieht weiterhin nach vorn. "Es gibt nie etwas wirklich Perfektes. Ich lebe lang genug, um das sagen zu können. Weder Liebe, noch Dinge, die man sich selbst beibringt."

Seine Augen treffen meine, als er zu mir sieht. "Perfektion gibt es nicht. Selbst ich, als Urvampir, habe meine Fehler. Sie liegen überall. In meinem Charakter. In meinem Umgang mit anderen. In meinem Kampfstil. Nichts und niemand ist perfekt, Alexandra. Versuch es nicht zu sein. Das wird dich auffressen. Ich habe lange Jahre nach Perfektion gestrebt. Habe sie in allem gesucht. Und irgendwann merkte ich, dass es so etwas nicht gibt. Es gibt nichts Fehlerfreies. Häng dich nicht daran auf. Mach das Beste draus. Werde die beste in deinem Gebiet. Lern neues. Und vor allem... lern dich selbst kennen. Alle Facetten. Du bist niemand anderes, nur weil du plötzlich kämpfst. Es ist ein Teil von dir, den du nicht akzeptierst. Du bist Ärztin und kämpfst? Ja und? Dann ist es halt so. Du rettest als Draculina Leben? Deine Entscheidung. Lass dich von nichts und niemandem abbringen. Es ist dein Weg. Du willst es? Du machst es."

Perplex starre ich ihn an. Also erstens habe ich nicht damit gerechnet, dass er so etwas einfach so zugeben würde. Zweitens, woher hat er diese Sätze? Aus einem Buch über Selbsthilfe? Und drittens... Wieso hilft mir das irgendwie?! In meinem Kopf geht es gerade drunter und drüber und ich versuche, alles irgendwie zu ordnen. Mit meinen eigenen Gedanken ein klein wenig überfordert, lehne ich mich nach rechts, an Alucard ran. Mir ist egal, ob er meckert oder nicht. Zusätzlich nehme ich seinen Oberarm in meine Arme und drücke diesen an mich, als wäre es ein Kuscheltier aus meinem Bett. Lege meinen Kopf daran und muss mit dem Input zurechtkommen. Von einem Mann, mit dem ich irgendwie eine gemeinsame Vergangenheit und eine kleine Bindung habe, gesagt zu bekommen, dass es mein Weg ist... Das lässt gerade alles irgendwie da oben kollabieren.

Alucard hingegen lässt alles zu und sieht nur nach vorn. Soll sich die kleine erst einmal damit abfinden. Seine Gedanken schweifen zu vorhin. Dem kleinen Kampf. Anfangs hat er sie wirklich nicht für voll genommen. Aber je weiter der Kampf fortschritt, desto mehr musste er sich doch tatsächlich anstrengen, die Oberhand zu behalten. Er konnte ihre Augenbewegungen wahrnehmen. Wie sie ihn analysierte. Eine beachtliche Leistung, dass muss er zugeben. Und dass sie einen Treffer gelandet hat, war nicht schlecht. Dennoch hatte der Spaß sein jähes Ende, als die Lady zum Abbruch rief. Zu dem Zeitpunkt nutzte er seine wahre Stärke und konnte die blauhaarige ohne Probleme auf den Boden der Tatsachen bringen.

Der Griff um seinen Arm wird locker und er sieht auf die Seite. Sie ist doch glatt wieder eingeschlafen. Kein Wunder. Erst die totale Verausgabung mit dem Schattenreisen und dann der Kampf. Aber jetzt heißt es aufpassen. Sollte er irgendwann einmal IHR Blut trinken, steht das Band. Die emotionale Bindung. Und das möchte er gern verhindern. Ein Band, mit Seras, reicht ihm völlig aus. Langsam, ohne die Ärztin zu wecken, zieht er seinen Oberarm aus ihrem gelockerten Griff und stützt sie, ehe er sie wieder hoch hebt. "Du kannst einem aber auch extra Arbeit verpassen, hm?", brummt der Vampir und als Antwort rollt sie sich in seinen Armen noch einmal zusammen, bevor sie sich an ihn kuschelt. Ist er so gemütlich?

In Gedanken fragt er Seras, wo denn das Zimmer von Doktor Kindred liegen würde und ihm wird auch sogleich der richtige Ort geschickt. Langsam sinkt Alucard im Schatten ein und hält Alexandra an sich, ehe er zum richtigen Zimmer reist und dort wieder aus dem Schatten steigt. Für ihn ist diese Art der Reise mit keinerlei Problemen behaftet. Er kann sie so oft machen, wie er will. Das wichtigste hat Seras wohl schon hergebracht. Die Matratze mit der Heimaterde. Auf diese legt Alucard sie und dreht sich um, ehe er stoppt und genervt die Augen schließt. Mit einem leicht verzogenem Gesichtsausdruck dreht er sich wieder um, deckt sie zu und verschwindet dann selbst in seinem Keller, um sich in seinen Sarg zu legen. Auf SEINE Heimaterde. Morgen wird es ein unterhaltsamer Tag, so viel steht fest.

Once I was seven years oldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt