14 | Gedankenflüge

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     «Wirst du denn zurückgehen?», erkundigt Ajax sich und Zale seufzt leise.

     Für einen kurzen Moment sagt er nichts, sondern blickt zu den Gleisen, auf denen vereinzelt Züge zum Stillstand gekommen sind.

      «Wahrscheinlich», antwortet er schließlich und vergräbt die Hände in den Taschen seiner Jacke. «Irgendwann. Wenn ich genug Geld habe und irgendjemanden, der mich aufnimmt.»

     Er grinst bei seinen Worten, aber es verblasst schneller, als die Farben eines Sonnenaufgangs.

     Dann kommt die Durchsage. Kündigt Zale Zug an und damit unseren Abschied.

     «Hier trennen sich dann wohl unsere Wege», bemerke ich und bringe ein Lächeln zustande. «Du musst uns definitiv besuchen kommen. Wir haben genug Platz.»

     «Ich würde sogar in eurem Garten schlafen», lacht Zale und dieses Mal senken sich seine Mundwinkel nicht.

     Kurzerhand zieht mich der Brite in eine Umarmung, die mein Herz zerreißt. Es ist vertraut und beruhigend, aber tut weh. Der Gedanke, dass er jetzt wieder alleine ist. Der Gedanke, dass seine Reise mit uns so unerwartet schnell sein Ende gefunden hat.

     «Wir sehen uns», verspricht er mir mit leiser Stimme und schenkt mir sein breites Grinsen, welches heller strahlt, als die Sonne es jemals könnte.

     Ich wünschte, wir hätten die Zeit gehabt, um den Geheimnissen seines Wesens nachzugehen. Aber wie der Feuerball, mit dem er um den wichtigsten Platz im Universum konkurriert, trägt er zu viel Mysteriöses an sich, als dass man es jemals ganz verstehen könnte.

      Nacheinander umarmt Zale auch die anderen. Der Abschied von Lovis scheint ihm am schwersten zu fallen. Es war voraussehbar, dass die beiden Freunde Probleme haben werden, getrennte Wegen gehen zu müssen.

     Zale hat über Lovis' Witze gelacht, wenn der Rest von uns bloß die Augen verdreht hat. Und Lovis hat mit einem Kescher Zales Stille gelauscht, wenn niemand sonst in der Lage war, die unausgesprochenen Worte zu fangen.

     Ich merke, dass Lovis kurz davor ist, in Tränen auszubrechen, als der Brite sich mit einem schmerzhaften Lächeln von ihm löst.

     «Wir haben noch ein Geschenk für dich», kündigt Ajax an, um die Traurigkeit der Situation irgendwie zu überspielen.

     Es funktioniert: Auf Matheas, Lovis' und meinem Gesicht bildet sich ein Grinsen, während Zale verwirrt zwischen uns hin und her blickt.

     «Wofür?», erkundigt der Brite sich schließlich neugierig und nimmt die Tüte, die Ajax in den Händen hält, dankend entgegen.

     Mathea zuckt mit den Schultern. «Einfach ein kleines Dankeschön, dass du es so lange mit uns ausgehalten hast.»

     Gerade will Zale die Tüte öffnen, da hält er in der Bewegung inne und sieht uns mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen an. «Ich habe mich zu bedanken. Nicht ihr.»

     Wenn er nur wüsste.

     Mein Blick huscht unauffällig über die Gesichter der anderen und ich weiß, dass wir alle den gleichen Gedanken im Kopf haben. Zale hat uns mehr gegeben, als er glaubt. Er ist der Grund, warum ich wieder daran glauben kann, dass es zwischen all der Fremde unserer Gesellschaft noch Nähe gibt, die wir für verloren geglaubt haben.

     Zale war unsere Sonne, wenn die Außenwelt wieder zu viel Gewicht auf uns ausgeübt und uns in betäubende Dunkelheit getaucht hat. Seine positive Art und Sicht auf das Leben haben mir Mut gemacht, daran zu glauben, dass am Ende alles gut ausgehen wird. Dass wir keine Angst vor dem Unbekannten haben müssen, denn irgendwie werden wir alles gemeinsam schaffen. Ich hoffe, dass ich eines Tages wenigstens halb so leichtlebig an das Leben herangehen kann, wie er es tut.

WAS UNS HIGH MACHT | ✓Where stories live. Discover now