Auf der Flucht ♤

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"Seid gegrüßt, edler Ritter", ertönte die Stimme des Reimerlings.

Plötzlich verzogen sich die Mundwinkel des gemeinen Angreifers zu einem grausamen, riesigen... Grinsen?

Dayna war nun völlig baff.

"Seid gegrüßt, kleines Wesen", wandte er der Fremde sich Schemen zu.
Nach diesen Worten richtete er sein Augenmerk direkt auf Dayna.

Plötzlich bekamen seine Augen einen ganz eigenartigen Ausdruck, welchen sie noch nicht zuordnen konnte. Zu gerne hätte sie gerade in diesem Moment gewusst, ob er sie mit brutaler Mordlust ansah oder ihr doch nur einen Kugelschreiber zurückbringen wollte, der ihr an dem Morgen im Park vielleicht oder vielleicht auch nicht aus der Tasche gerutscht war. Sie wünschte sich Letzteres, auch wenn sie nicht so wirklich daran glaubte.

Nach einigen Sekunden hatte sich der Riese dann aber auch schon wieder gefangen.

"Du musst mit mir mitkommen.", befahl er schroff.

Autsch

Die Teenagerin zuckte unwillkürlich zusammen, während ihr Herz einen Schlag aussetzte.

Genau das Gegenteil von dem, was ich gehofft hatte

"Nein!", brachte sie daraufhin ängstlich hervor.

Und ängstlich war noch untertrieben. Ihr schmächtiger Körper wurde von einem unangenehmen Zittern erschüttert, welches durch das frostige Wetter verstärkt wurde. Ihre Kehle brannte von der Anstrengung ihres misslungenen Marathons.

Der Kriminelle streckte ihr seine Hand entgegen und wiederholte dabei seine Worte eindringlich.
"Du musst mit mir mitkommen - jetzt."

"Schemen", flüsterte Dayna dem Zwerg zu. "Kannst du nicht irgendwas tun?"

Es drehte sich um und schaute verwirrt zu ihr hinauf.
"Wieso?"

Dayna sammelte all ihre übriggeblienene Kraft, um den zu kurz geratenen Kerl nicht sofort aufs Unbarmherzigste anzugehen.

"Wieso?", äffte Dayna es allerdings schon ein wenig energischer nach.
"Vielleicht, weil er ein grausamer, verrückter Mörder ist, der will das ich mit ihm mitgehe, damit er mich in einer dunklen Ecke umbringen kann?!"

Hoffnungsvoll erwartete sie eine diesmal passendere Erdwiderung von dem kleinen Wesen.

"Nein, Fräulein.", zerschmetterte es ihren Optimismus.

Nachdem sie einige ihr ewig vorkommende Sekunden gewartet hatte und Schemen indes keine Anstalten zu machen schien, weiter zu sprechen, musste sie wie gewöhnlich nachhaken.
"Was meinst du damit?"

"Keinen Schaden sollt ihr nehmen von eurem edlen Ritter, nicht böse ist er, nur seine Geschichte ist bitter."
Der Reimerling räusperte sich kurz. "Entschuldigung, Fräulein. Was ich meinte war; der edle Ritter möchte euch nichts tun. Doch solltet ihr dies nicht wissen? Schließlich teilt ihr euch das Mal."

Mit seinen zusammengezogenen Brauen wirkte das Wesen nun tatsächlich völlig durcheinander.

Das Mal ...

Dayna fasste sich an die schmerzende Stelle oberhalb ihrer Brust. Sie war ganz heiß geworden, glühte regelrecht.

Der Mann mit den stechend türkisen Augen meldete sich nun wieder zu Wort:
"Hey, Mädchen. Vertraust du deinem Reimerling?"

Er weiß, was ein Reimerling ist?

"J-j-ja", stammelte sie verängstigt.

Irgendwie hatte sie zu hoffen gewagt, er würde sich in Luft auflösen, wenn sie ihn nur lange genug ignorierte.

Falsch gedacht.

Der Mann nickte.
"Er hat Recht, ich tue dir nichts. Du kannst ihn mitnehmen wenn du möchtest, aber er muss sich unsichtbar machen."

Dayna wog im Sekundenschnelle ihre Möglichkeiten ab. Sie wollte den gefährlichen Gegner keinesfalls zu ihrem Nachteil verärgern. Also entschloss sie sich, voerst zuzustimmen und dann den richtigen Moment abzupassen, um sich aus dem Staub zu machen.

Das ist ein guter Plan, versuchte sie sich selbst zu motivieren.

"Okay", gab sie sich scheinheilig geschlagen.
Dann erst blickte sie auf ihren Gefährten hinab.
"Du kannst dich doch unsichtbar machen, oder?"

Das Wesen nickte. "Wie ihr wünscht, wertes Fräulein."

Die Stelle an der es bis eben gestanden hatte, verschwamm plötzlich vor ihren Augen und bereits einen Wimpernschlag später konnte sie ihn nicht mehr erkennen.

☆☆☆

Daynas Herz raste.
Hauptsächlich natürlich vor Angst, auch wenn sie sich selbst eingestehen musste, dass auch etwas Aufregung sich zu ihren momentanen Empfindungen gesellt hatte.

Mit wackeligen Beinen war sie dem mysteriösen, furchteinflösenden Fremden gefolgt und hatte auf die perfekte Gelegenheit gewartet, um sich unbemerkt davonzustehlen. Sie kannte sich doch bestimmt besser in dieser Gegend aus, hatte sie sich gedacht. Schließlich vermutete sie stark, dass er kein Ortsansässiger war, bei der Art, wie er sich verhielt. Fast, als käme er von einem Ort, an dem ganz andere Sitten und Gebräuche herrschten.

Viel zu schnell war ihr Entführer dann allerdings in eine Seitengasse eingebogen, welche Dayna leider überhaupt nicht wiedererkannte. Während die Verzweiflung schon schleichend an ihr zu nagen begann, kam sie trotzdem nicht umhin, die Schönheit der Gebäude in dieser Straße wahrzunehmen. Alles workte so idyllisch und doch auf eine wundersame Weise mystisch. Als wäre dies längst vergessene Pfad in andere Welt. Verwundert fragte sie sich, weshalb sie hier entlang liefen und wohin der Ältere sie eigentlich bringen wollte - um sie dann vermutlich grausam zu ermorden.

"Hörst du mir nicht zu?", drang völlig unerwartet eine tiefe Stimme an ihr Ohr.

Perplex versuchte sie die Quelle auszumachen, um dann unwillig feststellen zu müssen, dass ihr unliebsamer Wegführer wohl schon seit einer Weile mit - oder besser gesagt zu - ihr sprach.

"W-was?"

Der Unbekannte hob eine Braue und musterte sie misbilligend.
"Ich sagte; wir werden gleich in einen Hof einbiegen, der zu einem großen Gebäude gehört. Dort treten wir dann durch das Tor, welches uns auf die andere Seite bringt."

Panik machte sich sofort wieder in ihrer Brust breit und schnürte ihr schmerzvoll die Kehle zu.

DIE ANDERE SEITE?! So nennt er das also, wenn er jemanden umbringt?

"Alles in Ordnung?", fragte der Mann sie augenscheinlich besorgt und fügte unsicher hinzu: "Du atmest so komisch. Brauchst du eine Pause?"

Eine Pause.

Das könnte ihre Gelegenheit sein, sich blitzartig aus dem Staub zu machen, bevor der perfide Plan dieses Psychopathen sie geradewegs in seine Falle locken würde. Doch Todesangst gepaart mit Neugier machten die Teenagerin anscheinend nahezu redelustig.

"Was meinst du mit "der anderen Seite"?", gestikulierte sie mit Gänsefüßchen, ohne sich dabei überhaupt sicher zu sein, ob sie es wirklich wissen wollte.

Ein leichtes Lächeln umspielte für den Hauch einer Sekunde die wohlgeformten Lippen des viel zu hübschen Brünneten, bevor er sich fing und stattdessen einen abwägenden Gesichtsausdruck aufsetzte.
"Das wirst du schon noch sehen."

Burning ShadowsWhere stories live. Discover now