Dann spricht Daniel plötzlich weiter. Alle Blicke richten sich zu ihm. „Ich konnte nicht anders, als Laura im Einfluss von Tropfen, die einem das Denken schwer machen, zurückzulassen. Ich habe ihr eingeredet, dass sie zu der Stelle gelaufen ist, um Essen zu suchen. Soweit ich weiß, ist es ihr nicht gelungen, die Wahrheit für sich zu behalten!“ Er funkelt mich böse an. Ich erwidere seinen Blick nur. Ich frage mich, woher er das weiß. Aber wahrscheinlich hat Max es ihm erzählt.

„Eins solltet ihr noch wissen!“, sagt Max. „Auch wenn ihr es nicht bemerkt habt, ich habe alles auf Video aufgenommen.“ Ich frage mich, was er damit meint. Plötzlich greift er sich an die Brusttasche, öffnet den Reißverschluss und holt ein kleines schwarzes Ding heraus. Eine Kamera. Ich habe es schon immer vermutet! Als Max seinen Blick von der Kamera abwendet, schaut er genau mich an. „Für einen Moment dachte ich, du hättest sie gesehen, Laura.“ Ich erinnere mich. Es war, als ich noch im Einfluss der Tropfen stand. Ich habe unüberlegt, wie ich war, nach seiner Brusttasche gegriffen und sie im letzten Moment zurückgezogen, weil ich mich daran erinnert habe, dass das unhöflich ist. Danach habe ich sie mehr oder weniger vergessen. Ich habe es für zu abwegig gehalten, dass Max eine Kamera in seiner Tasche herumträgt. Das macht mich jetzt nur noch wütender. Er stopft sich die Kamera jetzt wieder ins einer Tasche. „Ich habe die ganze Zeit das Videotagebuch gedreht, ohne dass auch nur einer von euch es bemerkt hat. Abends, als es niemand gesehen hat, habe ich es verschickt. Ich kenne die Stellen, an denen man genug Empfang hat...“ In mir kocht die Wut noch mehr auf. Wie viele Sendungen haben sie ohne unser Wissen ausgestrahlt? Mir fällt ein, dass wir sie verklagen könnten... „Ach ja … Noch eins, Laura! Ich habe dich am Rand des Feldwegs gefunden, bewusstlos, wegen den Tropfen, die Daniel dir gegeben hat. Danach habe ich dich tiefer in den Wald getragen, damit Jayden dich nicht als Erster findet. Zuerst wollte ich von dir wissen, was Daniel zu dir gesagt hat, damit ich mich später vor Jayden nicht selbst verrate.“ Er wirft Jayden kurz einen Blick zu. Ich erinnere mich, wie ich einmal aufgewacht bin und bemerkt habe, dass mich jemand trägt. Ich habe es schon fast wieder vergessen, weil ich dachte, dass ich es nur mit einem anderen Moment verwechsle. Er hat mich danach über alles ausgefragt, als ich aufgewacht bin. Max' Gesicht ist jetzt wie verwandelt. Vor nicht einmal zwanzig Minuten war er noch der nette, freundliche Max. Und jetzt? Ich koche innerlich vor Wut.

„Und was wollt ihr jetzt machen?“, fragt Heather.

„Wir bringen euch wieder zurück zum Bus und lassen euch die Tour weitermachen!“, wiederholt Daniel. „Euer Gepäck ist bereits in dem Wagen dort.“ Er zeigt auf einen Gepäckwagen, der wahrscheinlich dem Flughafen gehört. „Wir haben den Wagen mit eurem Gepäck direkt abgeleitet.“ Plötzlich macht er sich an seinen Hosentaschen zu schaffen und zieht ein paar Sekunden später zwei Schlüsselbündel heraus. Ich weiß sofort, zu was sie gehören.

„Unsere Autoschlüssel!“, ruft Carter wütend. Ich hatte also Recht, Daniel hat sie tatsächlich gestohlen.

„Nach dem Absturz habe ich sie genommen und behalten“, lacht Daniel. Er wirft einen Carter zu und einen mir. Wir fangen sie beide mit einem scheppernden Geräusch auf.

Doch ich behalte ihn nicht lange bei mir. Ich schleudere ihn wieder zu Daniel zurück. „Den kannst du behalten!“, rufe ich wütend. „Ich werde nicht zu deinem Bus zurückkehren!“ Ich schiebe mich durch die anderen hindurch und setze den ersten Fuß auf die Treppe zum Flugzeug. Es wundert mich ein wenig, dass uns noch niemand gerufen hat, das Flugzeug zu betreten. Vielleicht geschieht das ja noch, wenn ich es schaffe, die Zeit ein wenig herauszuzögern?

„Willst du etwa ohne Gepäck fliegen?“, fragt Daniel spöttisch, als ich die Treppe hinauf stampfe.

Das Gepäck habe ich total vergessen. Für einen Augenblick bleibe ich stehen und überlege. Aber ich habe nichts besonders Wichtiges außer Klamotten in meinem Koffer. „Das brauche ich nicht!“

Ich will mich gerade wieder zum Flugzeugeingang umdrehen, als Daniel schreit: „Stopp!“ Ich zucke zusammen und drehe mich wieder zu ihm um. „Bevor du gehst, gibst du mir noch euer 'Rachevideo'!“

Instinktiv zuckt meine Hand in Richtung meiner Hosentasche. „Niemals!“, rufe ich.

„Ich rate dir: Gib es mir lieber jetzt, bevor ich es mir von selbst hole!“, droht er und macht einen Schritt auf die Treppe zu.

„Ach ja?“, frage ich und lasse so spöttisch wie möglich klingen. „Ich habe keine Angst vor dir, Daniel!“

Er verengt seine Augen zu Schlitzen und starrt mich böse an. Ich klammere mich mit einer Hand am Geländer fest und erwidere seinen Blick. Dann schiebt er sich mit einer ruckartigen Bewegung durch die anderen und setzt den Fuß auf die erste Stufe. Ich zwinge mich, ruhig stehen zu bleiben. Ich habe gelogen. Ich habe sehr wohl Angst vor ihm. Aber es ist besser, wenn er es nicht weiß.

Er kommt mit großen und schnellen Schritten auf mich zu. Ich klammere mich immer noch mit meiner gebrochenen Hand am Geländer fest. Es tut höllisch weh, wenn ich den Arm anspanne, aber ich kann nicht anders. Ich brauche einfach irgendetwas, wo ich mich festhalten kann.

Und dann ist er schon bei mir. Sodass die anderen es nicht hören können, flüstert er mir zu: „Ich hoffe du weißt, dass ich sehr wohl weiß, wie ich dir wehtun kann!“ Ich schaue ihn nur mit einer ausdruckslosen Miene an. Ich werde ihm den Stick nicht geben. Ich spüre in deutlich in meiner Hosentasche. Es ist, als würde er immer schwerer werden, während Daniel mich so anstarrt.

Und dann, ohne irgendeine Vorwarnung schnellt sein Arm zu meiner Hand, die noch auf dem Geländer ruht. Er greift blitzschnell nach meinem gebrochenen Unterarm. Ich kann nichts dagegen tun. Ich höre im Hintergrund, wie jemand aufschreit und wie Füße auf der Treppe trampeln. Aber ich sehe nicht, wer es ist, denn Daniel fasst schon mit seinen ganzen Fingern tief in den Bruch. Der Schmerz überspült mich unerwartet.

Alles wird schwarz vor meinen Augen.

WoodkissWhere stories live. Discover now