Kapitel 62.

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„Erzähl es mir!“, verlange ich und bemühe mich, dabei nicht zu streng zu klingen.

Seufzend lässt sie sich wieder auf den Boden sinken. Heather holt tief Luft, dann erzählt sie: „Er hat es mir nur verraten, weil ich sagte, dass ich nur dann niemand erzähle, dass er mein Stiefbruder ist. Tja, das habe ich sowieso schon getan, aber jetzt kann er mir ja nichts mehr anhaben.“ Sie lacht und in irgendeiner Weise erinnert sie mich dabei an Daniel. „Er sagte, dass er und Clint es schon seit dem Anfang der Tour vorhatten.“ Ich weiß nicht genau, was sie mit 'es' meint, aber das macht es nur noch spannender. „Er hat mir erzählt, dass er Clint anrufen würde, wenn die Situation brenzlig werden würde. Und dieser holt ihn dann aus der Tour heraus.“ War irgendeine Situation brenzlig für ihn? „Bis dahin würde er alles versuchen, dass du zum Schaden kommst. Wieso wollte er mir nicht verraten. Er war sozusagen der 'Spion' von uns. Alle wichtigen Informationen hat er jeden Abend an Clint weitergeleitet. Ob es Streit gab, oder was sonst passiert ist, was nicht in den Videos kam. Und Clint hat ihm Befehle gegeben, was er tun sollte. Daniel hat im Grunde die Tour geleitet. Ohne, dass es irgendjemand von uns mitbekommen hat. Nicht einmal ich, als seine Stiefschwester!“ Sie vergräbt das Gesicht in ihren Händen, als würde sie denken, sie hätte versagt. „Er hat es so gut vertuscht!“, schreit sie heraus.

Plötzlich spuckt mein Gehirn etwas aus, das ich schon tief in meinen Hinterkopf gesteckt habe: Laura, hör zu. Mein Chef … er hat etwas vor. Ich weiß nicht genau was er tun wird, aber du musst dich in Acht nehmen. Vertraue niemandem! Er ist gefährlich!

Das hat mein Dad zu mir gesagt, am Start der Tour. Hat er etwas geahnt? Meinte er, das, was gerade passiert ist? Oder etwas anderes? Er hat Recht. Clint ist gefährlich. Er hat die gesamte Tour manipuliert. Und Daniel war seine rechte Hand dabei. Und ich solle mich in Acht nehmen? Wusste er, dass Clint (oder Daniel) etwas gegen mich haben? Meinte er das?

Ich wünschte, er hätte mir mehr gesagt. Oder, dass ich jetzt ein Funkgerät oder Handy hätte, mit dem ich ihn anrufen könnte. Aber leider hat Daniel ja unsere einzigstes mitgenommen. Mit einem Schauer fällt mir auf, dass ich seit der Tour kein einziges Mal mit ihm gesprochen habe. Immer wenn ich zu Hause angerufen habe, habe ich mit Mum oder Lisa gesprochen. Haben wir vielleicht doch noch ein Funkgerät bei den Flößen? Ich habe nicht gesehen, dass er irgendeine Tasche gehabt hat, als er in den Hubschrauber gestiegen ist. Vielleicht besteht ja eine Chance, dass er das Funkgerät in seiner Tasche in der Hütte gelassen hat? Ich wäre aufgesprungen und zu den Flößen gerannt, hätte Heather nicht weitergesprochen.

„Sie wollten, dass die Tour eine komplette Katastrophe wird!“, platzt sie heraus. „Nur, damit sie etwas Spannendes für ihre Sendung haben!“ Ihre Stimme schäumt vor Wut. So abwegig es auch scheint, was sie da sagt, ich glaube ihr. „Sie hatten von Anfang an vor, dass Daniel aus der Tour austritt, sobald es gefährlich wird! Ich weiß, was Clint meinte, als er sagte, dass wir ab jetzt völlig auf uns allein gestellt sind. Die Betreuer gibt es nicht mehr. Sie können uns nicht mehr helfen! Sie wollen, dass wir ab jetzt um das blanke Überleben kämpfen! Wir haben nichts zu Essen und können auch keine Hilfe holen!“ Sie schreit fast. „Und das Schlimmste ist, dass ich die ganze Zeit schon etwas davon geahnt habe. Ich wusste, dass Clint irgendetwas vorhat. Immer habe ich versucht, es irgendwie herauszufinden, doch ich habe es nie geschafft.“ Sie seufzt nachdenklich. „Ich hätte etwas degegen tun können!“

„Aber wieso hast du mir nichts erzählt?“, frage ich und klinge dabei anklagender als ich wollte.

„Weil ich mir nicht sicher war, Laura! Ich wollte mich mit meinen Vermutungen nicht völlig zum Idioten machen, dem niemand glaubt!“ Ich kann sie verstehen.

„Du hättest mir vertrauen können“, sage ich. „Ich hätte dich nicht für einen Idioten gehalten!“ Sie lächelt gezwungen zurück.

„Ich wollte euch leicht darauf hinweisen. Aber ich glaube, ihr habt es nicht verstanden. Erinnerst du dich daran, wie Henry uns die Busse gezeigt hat? Daran, wie ich die Schlafsäcke herausgeworfen habe?“ Ich denke nach und weiß nicht genau, was sie meint. Doch dann fällt es mir wieder ein: Als Henry uns in die Busse eingeführt hat, hat er uns auch kurz die Schlafsäcke für die Tour gezeigt. Ich erinnere mich, dass sie ziemlich klein waren. Heather meinte, dass sie viel zu dünn wären, um uns wirklich zu wärmen. Henry war das so ziemlich egal und sagte, dass es Thermoschlafsäcke wären, in denen wir nicht frieren müssten. Doch genau das habe ich in so mancher Nacht getan. Heather hatte Recht gehabt. Sie waren wirklich zu dünn gewesen, um uns in der Nacht warm zu halten. Ich glaube, keiner hat die Botschaft, die Heather darin versteckt hat, bemerkt. Nämlich, dass es dem Fernsehsender egal war, ob wir im Schlafen frieren würden oder nicht. Sie sieht an meinem Blick, dass ich verstanden habe, denn sie sagt: „Ich habe zufällig mitbekommen, dass Clint für uns extra die billigeren Schlafsäcke besorgt hat. Nicht viele Leute wissen, dass sein Fernsehsender knapp bei Kasse ist.“

WoodkissOù les histoires vivent. Découvrez maintenant