Noch mehr zitternd klettern alle wieder heraus. Irgendwie erinnert es mich an den Tag, als wir uns nach dem Schwimmen in dem See im Wald verlaufen haben. Damals habe ich eine Unterkühlung bekommen, bei der ich sogar bewusstlos wurde. Ich finde es immer noch seltsam, wie mein Körper so schnell abkühlen konnte, und den anderen, wie Jayden, fast nichts zugestoßen ist. Das hat sogar die Ärztin gesagt.

Jayden wirft kurz einen Blick zu mir und ich erwidere ihn mitleidig.

Nachdem alle wieder auf Position stehen, gibt Jackson erneut den Startschuss und ich sehe die Verzweiflung in allen Augen. Wenn Jackson so weiter macht, werden sie sich erkälten, und das kann wirklich nicht im Sinne der Veranstalter sein. Ich finde sein Verhalten fast schon unmenschlich. Man könnte denken, es würde Jackson Spaß machen, sie so Leiden zu sehen. Und mindestens genauso beängstigend finde ich das Lachen seiner Mitarbeiter, die daneben stehen und die anderen auslachen. Ich würde sie gerne selbst einmal so sehen. Ich weiß genau, wie es ist, sich kaum noch bewegen zu können, weil man so sehr friert.

Es scheint, als würde diese Aufnahme endlich mal perfekt werden, denn es geschieht nichts Außergewöhnliches. Das Lachen und das Grinsen auf den Gesichtern der anderen sieht zwar verkrampft und angestrengt aus, aber wenn Jackson das nicht durchgehen lässt, dann werde ich im selbstständig meine Meinung sagen.

Wieder klettern die anderen aus dem eiskalten Wasser und ich sehe, wie Avery die Aufnahme beendet. Jackson kommt mit langen Schritten auf sie zu und beginnt ganz plötzlich zu schreien: „Das ist jetzt nicht euer Ernst oder? Könnt ihr euch nicht einmal anstrengen? Das sah nicht annähernd so aus, wie es sein sollte! Aber mir kann das ja egal sein. Es schadet ja nicht mir, sondern euch, wenn ihr euch nicht bemüht, dass die Aufnahme gut wird! Aber das eins klar ist: Ich werde das so lange mit euch machen, bis sie perfekt ist! Ist es so schwer, ein echtes Lächeln aufzusetzen und in einen Fluss zu springen?“ Seine Stimme wurde immer lauter, während er sprach. Jetzt verdreht er nur wieder die Augen, verschränkt die Arme und schnaubt gleichgültig. Er dreht sich um, um die Bahn frei zu machen, für eine weitere Aufnahme.

Doch ich mache ein paar große Schritte und packe ihn fest am Arm. Jetzt bin ich mit Anschreien an der Reihe: „Was soll das? Wollen sie so lange weiter machen, bis sie vor Frieren zusammenbrechen? Was soll das denn bringen? Eine gute Aufnahme bekommen sie jetzt garantiert nicht mehr, und schon gar keine perfekte! Das ist bestimmt nicht der Sinn, den die Firma verfolgt! Lassen sie sie eine Pause machen und versuchen sie es danach nochmal!“ In mir kocht die Wut.

Jackson reißt seinen Arm aus meinem Griff und zieht verachtend die Augenbrauen hoch. Instinktiv ziehe ich meine Schultern nach innen. Es ist unheimlich, wie er mich durch seinen bloßen Blick einschüchtert! Er packt jetzt mein Handgelenk an dem gesunden Arm, um zu verhindern, dass ich abhauen kann. Drohend zieht er mich näher an sich. Ich versuche, so stark wie möglich zu scheinen. Seine Stimme ist jetzt bedeutend leiser, sodass nur ich ihn hören kann: „Was willst du mir schon befehlen, Kleine? Denkst du etwa, ich würde auf dich hören? Es ist meine Entscheidung, was geschieht, und du hast dabei nichts zu sagen!“ Seine Augen verengen sich zu Schlitzen, dann flüstert er eindringlich: „Und jetzt halte deine Klappe!“ Wütend stößt er mich kräftig von sich weg, sodass ich nach hinten stolpere und fast auf den Boden falle. An der Stelle, wo Jackson mich festgehalten hat, ist die Haut rot geworden.

„Macht euch bereit!“, brüllt er und ich drehe mich nur um, und gehe zu dem Stuhl, auf dem ich gesessen bin. Die anderen starren mich auf dem Weg dort hin entgeistert an, doch ich ignoriere es einfach. Erst als ich mich hinsetze, schauen sie wieder nach vorne. Nein, falsch. Drei nicht. Logan, Jayden und Daniel. Jayden schaut mir direkt in die Augen und hat einen Blick aufgesetzt, der so viel bedeuten soll, wie: Danke, dass du es versucht hast. Ich weiß das zu schätzen. Und dann ändert er es in mitleidig. Logan sieht mich ungefähr genauso an, doch trotzdem blitzt tief in seine blauen Augen noch etwas anderes auf. Ich deute das als eine Mischung aus Schmerz und Frustration. Das sehe ich immer in seinem Blick, wenn er mich ansieht. Geht es um den Fast-Kuss vor vielen Tagen? Als ich ihn weggestoßen habe, weil ich nicht wollte, dass er mich küsst? Ich wusste nicht, dass ihn das so belastet. Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Schnell wendet er seinen Blick ab. Und dann starrt auch noch Daniel her. Er sieht belustigt aus, als würde es ihn amüsieren, dass Jackson meine Meinung praktisch ignoriert hat. Sein Blick sagt mir so viel wie: Du warst erbärmlich. Lass es doch einfach, uns zu helfen. Bringt doch eh nichts. Ich halte es für das Beste, wenn ich seinem Blick einfach standhalte.

Als Jackson wieder von drei runterzählt, sieht auch Daniel endlich weg.

Zwei weitere Male lässt Jackson sie aus dem Wasser klettern, ohne auch nur ein bisschen Rücksicht zu zeigen. Ich sehe die zusammengebissenen Zähne der anderen und wie Kim und Heather sich vor Zittern kaum noch auf den Bienen halten können. Ich kann nicht fassen, dass Jackson das entweder nicht sieht, oder es einfach ignoriert.

Ich beobachte Daniels vernichtende Blicke, die er Jackson zuwirft. Ich erwarte beinahe, dass er gleich zu ihm geht und ihm genauso seine Meinung sagt wie ich es getan habe.

Wieder drehen sie diese eine Szene, bis Jackson erneut unzufrieden ist und gerade ein weiteres Mal befehlen möchte, nochmal von vorne anzufangen. Das erinnert mich an diese Sage aus der griechischen Mythologie über Sisyphos, der zur Strafe immer wieder einen Stein einen Berg hinauf schieben musste, bis er kurz vor dem Gipfel wieder ins Tal hinunter rollte.

Jackson kommandiert sie ein weiteres Mal herum, er schreit, sie sollen sich wieder aufstellen. Doch Daniel kommt ihm dazwischen: Er geht Jackson entgegen, und hält direkt vor ihm an, sodass er ihm den Weg versperrt. Sie stehen nur ungefähr einen Meter von mir entfernt, sodass ich verstehen kann, was Daniel ihm zuflüstert: „Ich hoffe sie wissen, wer mein Dad ist. Nein? Dann wird es wohl Zeit: Er leitet die Tour. Er kann über alles entscheiden, was wir tun werden. Und er kann genauso gut auch veranlassen, dass sie gefeuert werden. Ich weiß, dass sie zwar der 'Chef' über diese Flöße hier sind. Aber ich weiß genauso, dass sie einen Vorgesetzten haben, dem diese Boote gehören. Wenn ich meinem Vater erzähle, wie sie uns hier quälen, wird er es ihrem Chef erzählen und ich bin mir sicher, dass er sie feuern wird! Also nehmen sie sich in Acht, mit dem was sie tun!“

Das scheint gezogen zu haben. Jacksons Augen verengen sich genauso wie bei mir vorhin zu Schlitzen. Aber es scheint, als würde er tatsächlich darüber nachdenken! Er bleibt noch einen Augenblick starr stehen, dann ruft er laut, und ich kann deutlich den wütenden Unterton in seiner Stimme hören: „Wir machen Schluss für heute!“

Ein Stöhnen geht durch die Gruppe und Heather und Kim kämpfen sich mit letzter Kraft auf das Floß. Ich springe auf und halte ihnen eine Hand hin, um sie aus dem Wasser zu ziehen. Die anderen verschwinden in ihrer jeweiligen Hütte. Nur ich bleibe auf meinem Stuhl sitzen. Während ich so dasitze, schaue ich einfach nur der Sonne zu, die immer wieder hinter den Wolken verschwindet, nur um dann wieder aufzutauchen. Ich sehe dem Strom des Wassers nach, auf dem das Floß gleitet. Die Symmetrie der Wellen, die davon ausgehen, fasziniert mich.

WoodkissWhere stories live. Discover now