Wieder lausche ich angestrengt, ob ich auch noch andere Stimmen erkennen kann. Vielleicht hat er ja die andere Gruppe gefunden, die nach Essen sucht. Doch ich höre nichts. Nichts außer seiner Stimme. Das ist seltsam. Weil so wie er klingt, müsste er eigentlich mit jemand anderem reden. Und telefonieren ist hier unmöglich. Oder doch? Hat er ein Funkgerät?

Ich schleiche langsam und so leise wie möglich in die Richtung, aus der das Geräusch kommt. Die gefallenen Blätter rascheln unter meinen Schuhsohlen. Ich hoffe, dass er es nicht hört. Aber seine Stimme klingt aufgeregt und ein bisschen wütend. Das sagt mir, dass ich lieber vorsichtig sein sollte.

Während ich vorwärts schleiche, wird seine Stimme immer lauter. Ich trete unvorsichtig auf einen dicken Ast, der zerbricht und ein lautes Geräusch macht. Daniels Stimme verstummt und für einen Moment denke ich, er hätte mich entdeckt. Lautes Rascheln, als würde er auf den gefallenen Blättern treten, erfüllt meine Ohren.

„Hallo?“, schreit er und ich höre deutlich seine Wut heraus. „Wer ist da?“

Ich verstecke mich schnell hinter einem dicken Baum und lausche angestrengt. „Hallo?“, ruft er nochmal. Diesmal lauter. Er klingt wütend und ich möchte mir lieber nicht vorstellen, was passieren würde, wenn er mich jetzt sehen könnte. Er würde mich wahrscheinlich zu Hackfleisch verarbeiten. Ich drücke mich stärker an den Baum und hoffe, dass er mir seinen Schutz schenkt.

Ich traue mir kaum noch zu atmen und halte voller Spannung die Luft an. Ich höre knirschende Schritte auf der Erde und erwarte, dass er mich gleich sieht. Ich kneife die Augen zu und hoffe, dass sich die Erde auftut und mich verschluckt. Vielleicht hilft es ja etwas, wenn ich ganz fest daran glaube?

Meine Lunge brennt und schreit nach Luft. Meine Augen sind zusammengekniffen und mein Kopf hofft, dass nichts passiert. Unglaublich, wie viel Angst ich plötzlich vor Daniel habe. Aber ich traue mich nicht, nach Luft zu schnappen oder die Augen zu öffnen. Egal, wie nötig ich es hätte.

Noch schlimmer ist es, dass ich nicht weiß, wo Daniel jetzt steht und was er tut. Schließlich sagt er kein Wort mehr und seine Schritte kann ich auch nicht mehr hören. Mein Herz hämmert vor Angst in meiner Brust und ist kurz davor, herauszuspringen.

Und dann kommt die Erlösung. Ich höre eine Stimme, wie aus einem Telefon. Ich kann zwar nicht verstehen, was sie sagt, doch Daniel antwortet darauf: „Es ist nichts. Hier ist nichts. Ich dachte, ich hätte etwas gehört. Aber wahrscheinlich war es doch bloß ein Eichhörnchen.“

Erleichtert schnappe ich nach Luft und öffne die Augen. Seine Stimme entfernt sich wieder ein bisschen, aber ich kann trotzdem verstehen, was er sagt: „Bist du noch da?“ Es antwortet eine andere leise Stimme aus dem Gerät, die ich nicht richtig verstehen kann.

„Ich halte das hier nicht mehr aus!“, sagt Daniel laut und zornig. „Könnt ihr nichts machen? Hilf mir gefälligst!“ Er macht eine Pause, als würde er jemandem zuhören. Dann spricht er noch wütender weiter: „Ich weiß es nicht! Ich weiß es wirklich nicht! Irgendwo an den Ufern des Eabamet Lake!“

Eabamet Lake? Ich glaube, das hat Benjamin einmal erwähnt, als Heather gefragt hat, wie der See bei Fort Hope heißt. Die Person am Handy muss anscheinend nach dem Ort gefragt haben.

Eine längere Pause folgt darauf, in der ich kein Wort verstehen kann, das die andere Person sagt. Doch dann schreit Daniel plötzlich so laut, dass ich zusammenzucke: „Das ist mir egal! Ich will dass ihr alles dafür tut! Holt mich hier raus!“ Ich höre ein lautes Stampfen, als würde er mit einem Fuß auf den Boden treten. Dann stöhnt er wütend auf. Etwas fällt auf den Boden. Es klingt, als würde etwas metallisches auf einen Stein treffen. Danach ist seine Stimme verstummt. Genauso wie die aus dem Gerät.

Angespannt lausche ich weiter, doch ich höre nichts mehr. Minute um Minute vergeht, ohne dass ich mich bewege oder etwas anderes höre, als das Rascheln von Blättern, die an den Bäumen hinunter fallen oder das Zwitschern von Vögeln, die nach dem Wutausbruch von Daniel wieder eingesetzt haben.

Ich höre nichts mehr, was darauf hindeuten könnte, dass Daniel noch anwesend ist. Trotzdem traue ich mich nicht, mich von der Stelle zu bewegen. Ich habe auch keine Schritte gehört, wie Daniel geht. Also muss er wohl doch noch da sein.

Ich versuche, mich an dem Baum entlang zu schieben, und am Stamm vorbei zu schauen, um zu sehen, ob er noch da ist. Ich trete aus dem Schatten und werde sofort von der Sonne geblendet.

Entsetzt stelle ich fest, dass etwas in meiner Nase furchtbar kitzelt. Ich bin kurz davor, einen Niesanfall zu bekommen! Oh nein!, denke ich und versuche verzweifelt, es zu unterdrücken. Wieso jetzt? Kann das nicht ein bisschen warten? Ich drücke meinen Arm so fest wie möglich auf meinen Mund, um das Geräusch so leise wie möglich zu machen. Ich strenge mich an, es zu unterdrücken. Doch das gelingt mir nicht.

Ich kann nur zusehen, wie es plötzlich aus mir herausbricht.

Fast zeitgleich höre ich wieder das Rascheln, als würde jemand auf den Blättern laufen. Ich stehe unfähig, mich zu bewegen, da und krümme mich alle paar Sekunden vor Niesen. Und das Schlimmste ist, dass ich nicht aufsehen kann, um zu sehen, wo Daniel ist. Das Einzige, was ich sehe, sind die gold-braunen Blätter auf dem Boden. Es will einfach nicht aufhören!

Und dann packt mich plötzlich jemand am Handgelenk und zieht mich zu sich.

WoodkissWhere stories live. Discover now