♪♪♪ „Sweet sweet sweet, could you taste it," ♪♪♪ plärrte es aus dem Radio, das zu dieser frühen Stunde jemand eingeschaltet hatte.
Mit ersten Gästen rechnete man um kurz nach sechs Uhr noch nicht. Es konnte ja keiner wissen, dass ich auch in dieser Nacht nicht vernünftig geschlafen hatte. Aber nicht, weil es mit meinem Liebsten so heiß hergegangen war, sondern weil mein Schlafrhythmus machte, was er wollte. Und im Augenblick wurde ich durch das kleinste Geräusch wach. Natürlich fand ich es rührend, dass Mike sich bemüht hatte, beim Betreten des Zimmers aus Rücksicht auf mich besonders leise zu sein.
Leider war er im Dunkeln so blind wie ein Maulwurf, und weil er kein Licht anmachen wollte, war er über seine eigenen Füße gestolpert und mit dem Bettpfosten kollidiert, um schließlich unsanft neben mir zu landen. Jeder hätte da geflucht, denn wie sich das anfühlte, wusste ich aus eigener Erfahrung; und es reichte schon, dass ich mir das vorstellte, um endgültig wach zu sein. Irgendwann zwischen zwei und drei Uhr zurückzukehren und dabei noch stocknüchtern zu sein... really? Are you kidding me? Ärger, Dein Name ist Mitchell...
Jedenfalls war ich danach so schnell nicht mehr eingeschlafen, nach mehrmaligem, schier endlosem Wälzen von der einen auf die andere Seite, untermalt von seinen Schnarchgeräuschen, hatte ich irgendwann meine verzweifelten Versuche, wieder einzuschlafen, schließlich aufgegeben – nur um festzustellen, dass beim nächsten Blick auf das Handydisplay einige Stunden vergangen waren. Resigniert musste ich mir eingestehen, dass für mich die Nacht nun definitiv vorbei war und ich besser daran tat, meinen Allerwertesten aus dem Bett zu schwingen.
Ein kurzer Spaziergang zur nächsten Tankstelle, auf der Suche nach Kaffee, würde das Gefühl der Zerschlagenheit bestimmt vertreiben. So gesehen, war frische Luft, bestimmt nicht das verkehrteste; so empfindlich kühl, wie es draußen war. Ja, Mitte September war das Klima schon nicht mehr so sommerlich. Aber ich hatte schon größere Kälte ausgehalten. Strömenden Regen wie den, der mich vor der Tür erwartete, fand ich dagegen nicht so prickelnd. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.
Aber zu meiner Erleichterung brannte im Frühstücksraum schon Licht, auch wenn es noch kein Frühstück gab. Die Kaffeemaschine war jedoch bereits in Betrieb, um die Frühaufsteher zu versorgen. Leute wie mich, die so früh noch keinen Bissen herunterbrachten und nur eines brauchten: Kaffee - extra stark und heiß wie die Hölle; nur süß durfte er nicht sein. Sauer natürlich auch nicht.
♪♪♪ You'll never, never, never... taste it.♪♪♪
Von daher passte das Lied aus dem Radio ausgezeichnet. Nur war mir an diesem Morgen leider nicht danach. Üblicherweise begann ich den Tag nicht mit Totenstille, und zum Wachwerden waren schnellere Songs für mich genau das Richtige, aber heute hätte es eine ruhigere Nummer auch getan. Wie ging der Spruch nochmal? 'Kaffee schmeckt am besten, wenn man ihn morgens trinkt und alle ihr Maul halten'. Ha ha, wem das eingefallen war, der war mit Sicherheit niemand, der laut trällernd den neuen Tag umarmte. Im Stillen sympathisierte ich mit ihm, ließ mir aber nichts anmerken.
Morgenmuffel gut und schön, aber schlechte Laune an anderen auszulassen, nur weil sie morgens besser in die Gänge kommen als ich, bringe ich dann doch nicht über mich. Lieber ziehe ich mich dann zurück, um noch ein paar Minuten für mich zu haben. In öffentlichen Verkehrsmitteln ist das dann ganz gerne ein Fensterplatz am Ende des Waggons. Also setzte ich mich im Schneidersitz auf eine der Bänke im hinteren Bereich, wo mich nicht gleich jeder sah und ging auf Tuchfühlung mit meiner extragroßen Kaffeetasse.
Wenigstens ein Pluspunkt in diesem Etablissement, das wegen der Konferenzräume und des großen LKW-Parkplatzes schräg gegenüber bei Geschäftsleuten und Fernfahrern sehr beliebt war; was nicht zuletzt auch an den moderaten Preisen lag. Eines musste ich Brian lassen: Bei der Organisation unserer Unterkunft für die nächsten Tage hatte er nicht daneben gegriffen.
Die Aussicht aus dem Panoramafenstern war zwar nicht berauschend, aber damit konnte ich leben, denn am Essen gab es nichts auszusetzen. Auch am Kaffee nicht – und genau davon reichte mir heute morgen eine einzige Tasse nicht. Nachschub musste her. Mit diesem Wunsch war ich trotz der frühen Stunde inzwischen nicht mehr die Einzige.
Vor mir an der Maschine stand Steve und zapfte sich seelenruhig eine ganze Kanne ab. Wow – eine ganze Kanne! Selbst ich hätte mich das nie getraut, dabei war ich bei meinen Freunden als Coffee-Junkie verschrien, zumal der Mann einen Herzinfarkt überstanden hatte. Das lag bereits zwar ein paar Wochen zurück, trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Ärzte, die ihn behandelt hatten, das gutheißen würden. Ich hatte jedoch das Gefühl, in ein Wespennest zu stechen, wenn ich ihn gezielt darauf ansprechen würde.
Abwarten und Tee trinken, war in solchen Fällen mein bevorzugtes Motto. Natürlich war das nur symbolisch gemeint, aber so wie es aussah, mochte auch Mr. Harris Tee, und zwar wörtlich. Erst Kaffee – jetzt Tee... was hatte er damit vor? Und schon stand ich mit einem Fuß an der Schwelle zu meinem nächsten Fettnäpfchen.
Bloß jetzt nichts dummes von mir geben... aber da war es schon zu spät. Ja, der Tee sei besser, als er gedacht hatte, und mit Kaffee hätte er es nicht so, auch wenn es nicht so aussah. Ja, ja, es ist nie so, wie es aussieht, dachte ich. Aber in diesem Fall stimmte es sogar. Die Kanne war für seine Kollegen am Set. Stimmt. Wie hatte ich bloß Dave, Paul und Frank vergessen können. Aus den Augen, aus dem Sinn... Aber vielen Dank für die freundliche Erinnerung...
Meine nicht vorhandene Begeisterung bei der Erwähnung des zuletzt genannten Namens konnte ich darum nur sehr schlecht verbergen, aber Steve war zu taktvoll, um darauf einzugehen. Statt dessen nahm er unser Zusammentreffen am Kaffeeautomaten zum Anlass, um mir noch einmal zu danken. Leider war ja mein Besuch im Krankenhaus so kurz vor unserer Abreise doch etwas knapp ausgefallen. Viel Zeit war nicht für ein ausführlicheres Gespräch gewesen.
Ja, komm du nur erst mal an – und dann viel Spaß beim Begutachten der Schäden; ich wette, Frank lässt keine Gelegenheit verstreichen, Dir meine Unfähigkeit aufs Brot zu schmieren.
Viel konnte er ihm in der kurzen Zeit nicht erzählt haben, dennoch musste eine Planänderung her. Dieser falschen Schlange das Feld überlassen? Never! Nur sollte ihm ein anderer als ich die Augen öffnen, dann dazu war ich zu stark involviert, und da der Typ von Anfang an ein rotes Tuch gewesen war, stand zu befürchten, dass ich mich im Ton vergriff oder komplett vergaß. Objektivität sah anders aus. Höchste Zeit für einen Themenwechsel.
Nichts leichter als das, denn wir waren schon bald nicht mehr alleine; nach und nach trudelten meine Kollegen ein. Oder sollte ich 'meine ehemaligen' sagen? So richtig angekommen war ich an meinem neuen Platz noch nicht. Dazu hätte ich mich als Teil der Band fühlen müssen; tat ich aber nicht. Auf irgendeine Weise fühlte ich mich eher mit Leslie, Dave und Bradley verbunden als mit Sue oder Madlyn, obwohl die beiden wirklich nett waren.
Dennoch waren nicht sie es gewesen, mit denen ich stundenlang auf Landstraßen unterwegs gewesen war oder Dutzende von Sicherungen überprüft und kilometerweise Kabel verlegt hatte. Das sahen die drei ähnlich und setzten sich mit ihrem Geschirr zu uns an den Tisch. Schön, dass Dave einen großen Stapel Pancakes mitgebracht hatte, an dem wir uns bedienen durften; eine Einladung, die mich mit einschloss. Kaffee musste ich auch keinen mehr holen, das hatte Steve mit seiner Kanne schon getan.
Sollte noch etwas fehlen, so konnte ja ich losziehen. Obst oder Joghurt zum Beispiel für Leslie oder Croissants für Bradley. Oder mich... Wie lange hatte ich schon keine Croissants mehr gegessen? Oder Scones? Mit Erdbeermarmelade und Clotted Cream. Ach ja, morgens um sieben konnte die Welt doch noch in Ordnung sein. Bei diesem riesigen Angebot an leckeren Speisen konnte selbst ich nicht widerstehen.
Bis ich mein Tablett mit allem, was das Herz begehrte, beladen hatte und an den Tisch zurückgekehrt war, hatte der Stapel Pancakes deutlich an Höhe eingebüßt, und Dave war gerade dabei, Steve über den Verlauf der letzten Wochen ins Bild zu setzen, wobei er auch unsere Startschwierigkeiten nicht ausließ, den kaputtgegangenen und inzwischen reparierten Verstärker inklusive.
Mir war klar, dass genau das Stichwort war, das ich insgeheim befürchtet hatte. Nun würde sich zeigen, ob der Versuch erfolgreich gewesen oder völlig danebengegangen war.
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Broken Strings
RomanceWork&Travel in Kanada und eine spontan getroffene Entscheidung mit unvorhergesehenen Folgen. Sie war so kurz davor, das Land zu verlassen, doch dann war da dieser eine Abend, der für sie alles veränderte. Eine Begegnung, die ihre Zukunft in neue Ba...
Chapter 32 - I'm locked out and it's my fault
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