Außerdem kam mir es mir gar nicht so ungelegen, dass wir insgesamt mehr Platz hatten, auch wenn mein Herzblatt trotz Brians Aufforderung, sich anzuschnallen, sich der Länge nach auf der Bank ausstreckte und seinen Kopf so auf meinem Schoß positionierte, dass er mir aus der Froschperspektive in die Augen schauen konnte. Der Gipfel der Romantik?
Äh, so war das aber nicht geplant, Mr. Mitchell, dass Sie mich die gesamte Strecke über anhimmeln. Okay, so können Sie mir zwar keine schlüpfrigen Nachrichten aufs Handy zu schicken. But this is ...
Natürlich freute ich mich, ihn wieder zu haben, und er hatte er mir ja auch deutlich genug zu verstehen gegeben, wie sehr er mich vermisst hatte. Schon allein, weil ich mich jetzt, wo er die Brille abgenommen hatte, davon überzeugen konnte, dass er sich kein zweites Veilchen eingehandelt hatte. Wenigstens dieser Kelch war an ihm vorbeigegangen, gut zu wissen, aber so froh ich darüber war – so viel Anhänglichkeit wurde aber selbst mir dann doch etwas zu viel.
„Hey, Baby. So sehr ich mich auch freue, Dich zu sehen, langsam wirst Du mir echt zu schwer."
Höflicher ging es wirklich nicht, aber ich wusste, er würde es mir nicht übelnehmen. Mit dieser Einschätzung lag ich richtig. Mit einem Seufzer im Stil von „Wenn's denn sein muss", erhob er sich umständlich, nahm aber trotzdem den ihm zugedachten Platz ein und ließ die Finger bei sich. Die wurden ja schließlich noch gebraucht, um sich anzuschnallen. Fein. Jetzt, wo wir das geklärt hatten, konnte ich mich auf andere Dinge konzentrieren. In unmittelbarer Nähe von Mike ging das so schlecht.
Andere Dinge? Die Landschaft, durch die wir fahren? Monotonie in Grün, ein Baum reiht sich an den anderen, nach einer Weile wird's langweilig... Die Musikmagazine im Fußraum, die ich nicht entsorgt habe. Dazwischen eine Tattoozeitschrift. Hey, wäre das nicht noch ein passendes Souvenir zum Abschluss? Kreuz, Herz und Anker – ein Seemannsgrab... Oder doch lieber ein Schmetterling... Besser nicht. John und sein Kaffeebecher? Kaffee... Hm. Ja. Jetzt einen Kaffee – das wär's.
„Here comes the sun!"
The sun - so hatte noch niemand den Becher genannt, der mir vom Beifahrersitz nach hinten durchgereicht wurde. „Auch einen, Mike?"
Sein Best Buddy konnte anscheinend wirklich Gedanken lesen. So langsam wurde er mir unheimlich. Stille Wasser sollte man niemals unterschätzen: Er hat sich sogar selbst ein Theremin gebaut und spielt das Ding richtig gut... Was konnte er denn alles noch? Vielleicht einen Verstärker reparieren? Dave würde begeistert sein.
„Ach, übrigens - schicker Pulli. Steht Dir gut, das Teil."
Ha ha. Dass es Deiner ist, habe ich inzwischen auch kapiert.
Nun wusste ich, dass es eines gab, was er nicht konnte: witzig sein. Das nämlich hatten schon ganz andere versucht und waren grandios gescheitert, meistens an Mike, der so viel „Esprit" entsprechend quittierte. Aber jetzt... Nix. Niente. Nitschewo. Seine einzige Reaktion: eine hochgezogene Augenbraue, eher amüsiert als irritiert oder skeptisch. Das machte er auch nicht bei jedem. Entweder lag es an seinem Best Buddy oder daran, dass er heute besonders entspannt war.
„Ja, wirklich, Süße. Du solltest öfters Oversized tragen", warf er mit einem süffisanten Grinsen ein. „Cover as much as you can... denn Du weisst ja: Vorfreude ist die schönste Freude." Wiggle an eyebrow... Zwinker, zwinker, peng! Ab heute ist mein Aszendent nicht mehr Jungfrau, sondern Hummer!
Oops – während ich gerade noch die Contenance bewahrte und es schaffte, mich nicht an meinem Kaffee zu verschlucken, hatte John nicht ganz so viel Glück. Den Kaffee, von dem er gerade einen kräftigen Schluck genommen hatte, prustete er in hohem Bogen gegen die Scheibe, sehr zum Unmut von Brian, der von dieser Dusche ebenfalls einen Schwall abbekommen hatte. Und vorbei war es mit der Harmonie.
Bosheit, Dein Name ist Mitchell. Besser, Du stehst Deinem Freund bei, denn der hustet sich gleich die Seele aus dem Leib. Währenddessen suchte ich nach einem Lappen, mit dem man den See beseitigen konnte. Oh ja, diese Fahrt, die so harmonisch begonnen hatte, würde bestimmt nicht langweilig werden. Aber selbst die abwechslungsreichste Fahrt führt irgendwann dazu, dass die Müdigkeit kommt. Bei den einen dauert es länger, bei den anderen geht es schneller. Mich erwischte es kurz nach Sonnenuntergang.
Als ich wieder zu mir kam, bog der Ford durch ein großes Schiebetor in einen nur notdürftig beleuchteten Hof ein, und kam mit quietschenden Reifen zum Stehen.
„Also Leute, da sind wir", verkündete er das Offensichtliche.
Wir waren da, aber wo waren die anderen? Egal, erst mal raus aus der Karre. Dann fuhr Brian den Ford in eine Garage. Benommen stand ich auf dem Hof. Ich hatte den größten Teil der Fahrt über tief und fest geschlafen, aber deshalb war ich jetzt noch lange nicht fit und ausgeruht. In mir schrie alles nach einem Bett. Das Display meines Telefons zeigte den 6. September an, und Mitternacht war lange vorbei. Auf den Freund, der mit unserer späten Ankunft angeblich kein Problem hatte, war ich jetzt aber gespannt. Eine solche Hasta-Mañana-Mentalität besaß niemand, den ich näher kannte. Deshalb fand ich es immer spannend, auf Leute zu treffen, für die alles ganz easy war.
„Hi, Kelly. Schön, dass Ihr endlich da seid."
Aus der Garage kam ein Typ und begrüßte Brian mit Handschlag. Jake. Was folgte, war der übliche Smalltalk, bei dem ich mich fragte, wie lange er dauern würde. Da sie sich länger nicht gesehen hatten, stellte ich mich auf längeres Warten ein. Am liebsten hätte ich mich wieder in den Ford gesetzt, dort bekam wenigstens niemand mit, wenn ich gähnen musste. Zu spät. Er hat es gesehen.
„Mensch Brian. Wie unhöflich von mir. Da stehen wir hier rum und reden und reden, während meine Gäste im Stehen gleich einschlafen."
Gäste? Wenn überhaupt, dann gibt sich nur ein Gast im Moment diese Blöße. Wie peinlich. Er musste ja sonst was von mir denken.
„Falls Du Deine Leute suchst, die habe ich im Neubau hinter der Garage einquartiert. Wir erweitern nämlich gerade. Das Hilton ist es zwar nicht gerade, aber es ist warm, es ist trocken, und die Anschlüsse sind schon gelegt. Fehlt nur noch der Putz."
Das Hilton ist es nicht? Mach Sachen! Ich persönlich hätte sogar im Ford übernachtet, aber so, wie er unser Nachtquartier beschrieb, klang das doch gar nicht so übel; da hatte ich bereits schon ganz andere Buden erlebt – die meisten davon weniger fein. Man konnte sich eben nicht immer aussuchen, wohin es einen verschlug. Nur bei Sue und Madlyn konnte ich mir vorstellen, dass sie sich unter diesem „Schnäppchen" etwas ganz anderes vorgestellt hatten. Und dann noch drei Nächte. Das konnte echt heiter werden.
Aber eigentlich waren mir Sue und Madlyn oder ihre Befindlichkeiten so ziemlich egal. Mir war kalt, ich musste dringend auf die Toilette und hundemüde war ich obendrein. Kein Wunder, dass ich einfach losplapperte, ohne zu überlegen.
„Okay, dann zeig uns doch mal diesen Neubau. Ich bin schon sehr gespannt..." - oops, Andrea, seit wann duzt Du denn wildfremde Leute? Wie unverschämt war das denn?
„Na, wen haben wir denn da?" fragte er Brian. „Deine Kleine?"
Kleine? Äh, was war denn das für eine Einstellung? Contenance wahren, Leute, Contenance ... Vor allem Sie, Mr. Mitchell. Sagen Sie jetzt bloß nichts Unbedachtes. Aber dazu hatte er gar nicht erst die Chance, denn Brian kam ihm zuvor.
„Schön wär's, Reed."
Schön wär's? Was ist denn mit dem los?
„Jake, das ist Andrea. Sie gehört zu Mike. Und der vierte im Bunde ist John, unser Keyboarder. Den Rest hast Du ja bereits kennengelernt."
Und so endete die verspätete Vorstellungsrunde; wurde ja auch langsam mal Zeit. Vielleicht ging es endlich langsam mal weiter.
„Aber den Neubau könnt ihr vergessen. So ein Riesenpalast ist das nun auch wieder nicht. Nee, im Clubhaus sind noch ein paar Plätze frei."
Clubhaus? What the... Wenn der Typ jetzt auch noch 'ne Kutte trägt, dann fall ich vom Glauben ab. Sons of Anarchy in British Columbia? Are you kidding me? Ich hoffe nicht.
Aber selbst wenn... ändern ließ sich das jetzt, mitten in der Nacht, sowieso nicht mehr. Und wohin hätten wir jetzt noch ausweichen können? Für ein Ultimatum im Stil von „Should I stay or should I go" war dies der falsche Zeitpunkt – wenn es irgend etwas zu klären gab, würde es warten müssen.
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Broken Strings
RomanceWork&Travel in Kanada und eine spontan getroffene Entscheidung mit unvorhergesehenen Folgen. Sie war so kurz davor, das Land zu verlassen, doch dann war da dieser eine Abend, der für sie alles veränderte. Eine Begegnung, die ihre Zukunft in neue Ba...
Chapter 23 - The man with the plan
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