06 | Schlaglöcher

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     Aber irgendwie ist es selbstverständlich geworden, dass Lovis und ich uns zwar gelegentlich gegenseitig aufziehen oder nerven, aber es keine Streiterein gibt. Zumindest keine großen. Meistens ist er es dann, der mit einer extra großen Ben & Jerry's Packung in meinem Zimmer auftaucht und vorschlägt, dass wir uns alle Folgen von 'Sex Education' reinziehen könnten. Wir beiden lieben die Serie und schauen sie öfter, als gesund ist.

     Lovis weiß alles über mich und ich alles über ihn. Ich halte ihn in seinen verletzlichsten Momenten fest und er ist mein Anker, um in dieser Welt nicht verloren zu gehen. Wir haben keine Geheimnisse und ich weiß, dass er mich niemals zurücklassen wird.

     Gerade genießen wir einfach nur die Nähe der anderen Person, wobei mir auffällt, dass es schon eine Weile her ist, dass wir so zusammen Zeit verbracht haben. Ohne, dass ich es wollte, habe ich mich mehr verändert, als mir lieb ist.

     «Lovis?»

     «Ja?»

     Ich blicke konzentriert geradeaus. «Wie weit würdest du laufen, wenn du niemals eine Pause machen müsstest? Wenn es keine Hürden gäbe?»

     Ich kann mir vorstellen, wie er zunächst irritiert in meine Richtung blickt und dann wirklich über die Frage nachdenkt. Mittlerweile ist er es gewohnt, dass ich sie stelle. Ich sehe vor mir, wie er langsam die Augen schließt und sich mit der Hand durch die Haare fährt.

     «Gibt es einen Haken?»

     Ich überlege kurz. «Ich denke, der Haken ist, dass du nie weißt, ob du zurückkommen kannst.»

     «Dann würde ich nur so weit laufen, wie ich den Weg nach Hause kenne.»

     Ein mattes Lächeln legt sich auf meine Lippen, als ich seine Antwort höre.

     «Das war eine typische Lovis-Antwort», sage ich und er lacht.

     «Wie weit würdest du denn gehen?»

     Ich denke nach, während die Möwen kreischen und das Meer über den Sand rauscht. Der Wind bereitet mir Gänsehaut und weckt in mir das Bedürfnis, so weit zu rennen, wie ich kann. Und gleichzeitig will ich mich keinen Meter bewegen.

     «Wahrscheinlich keinen einzigen Schritt», antworte ich langsam. «Ich kann das Risiko nicht eingehen, nie mehr zurückkehren zu können.»

     Lovis lacht leise. «Das war eine typische Talia-Antwort.»

     Lächelnd drehe ich ihm den Kopf zu und er begegnet meinem Blick, schenkt mir ein sanftes Schmunzeln. «Was denkst du? Wo kommen wir am Ende an?»

     Ein warmes Funkeln liegt in Lovis' Augen und er wendet den Kopf ab, nachdem er die Frage gestellt hat. Erst betrachte ich sein Seitenprofil, dann blicke auch ich wieder Richtung Meer und seufze schwer, während ich über seine Frage nachdenke.

     «Ich glaube, ich will nicht an einem bestimmten Ort rauskommen», erkläre ich und vergrabe die Hände im kühlen Sand. «Deshalb weiß ich nicht, wo wir rauskommen könnten. Ich hoffe einfach, dass wir nicht mehr dorthin zurückkehren, wo wir hergekommen sind.»

     «Du willst nicht, dass wir wieder in alte Muster fallen.»

     Ich nicke langsam und mein Blick verliert sich im Nichts. «Es soll nicht wieder so werden, wie es war, bevor wir losgefahren sind.»

     Ich lausche Lovis' Atem, der regelmäßig geht und sich mit dem sanften Rauschen der Wellen vermengt. Alles an ihm strahlt Gelassenheit aus und ich liebe es. Ich liebe es, dass ich mich in seiner Nähe nie alleine fühlen muss.

WAS UNS HIGH MACHT | ✓Where stories live. Discover now