Freunde

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Seraphin

Mit einem lauten Knall schlug Seraphin den Schrank zu, in dem sie ihre Sportsachen verstaut hatte, und bekam nicht einmal mit, dass sich Saddest an die Wand daneben gelehnt hatte und wie ein Honigkuchenpferd grinste.

„Und, war deine Pause schön?", fragte die etwas durcheinandergeratene eigentliche Brünette mit den verwirrend blaugrauen Augen und den auffällig niedlichen Grübchen in den Wangen, die viel zu gerötet waren, als dass nichts vorgefallen sein könnte. Eigentliche Brünette, weil ihre Haare in hunderten kunterbunten Strähnen erblühten, die sie aussehen ließen wie ein verdammtes Einhorn.

„Ja, ich habe unter den Blicken einer hechelnden Männermannschaft meine Runden gedreht, damit ich unserem Dozenten im Seminar nicht verbal den Kopf abreiße. Unfassbar, dass ich wegen dieses Mistkerls Gerald das Modul dieses Semester wiederholen muss und er nicht mal den Anstand hat, mich zu unterrichten", fauchte Seraphin weiter und wusste, dass sie wie eine Zicke klang.

Es war genau dieselbe Tonlage, die Dr. Gerald, ihr Dozent für außenpolitische, militärische Intervention, dazu veranlasst hatte, sie durchfallen zu lassen, obwohl ihre Abschlussarbeit einwandfrei gewesen war.

„Gut, dass du dich ausgepowert hast. Ich will nicht ins Kreuzfeuer geraten, wenn du mal wieder eine hitzige Debatte anfängst. Das ist das einzige Modul, das wir zusammen haben. Ich will es genießen", sagte Saddest und klang dabei so positiv, wie sie es immer tat.

In den letzten Wochen, bevor das neue Semester gestartet hatte, waren sie und Saddest gute Freundinnen geworden – zur allgemeinen Überraschung aller, inklusive Seraphin selbst.

Eigentlich hatte Seraphin lediglich den Kontakt zu einem ihrer Brüder gesucht, um eine Chance zu erhalten, eine der Ersten im neuen Optimierungsprogramm zu werden. Sie war bitter enttäuscht worden und am Rande auch noch mit der farbenfrohen Saddest aneinandergeraten, die ihren Brüdern und Partnern wegen der „hinreißenden Rothaarigen in ihrem Büro" die Hölle heißgemacht hatte.

Aber Saddest hatte schnell begriffen, dass Seraphin kaum mehr zu bieten hatte als ihr Aussehen und einen einflussreichen Familiennamen und dass es absolut keinen Grund gab, eifersüchtig auf sie zu sein.

Ganz im Gegenteil, Saddest hatte Mitleid mit ihr. Das würde Seraphin normalerweise wütend machen, doch wenn jemand wusste, wie es war als Frau, keinen Mann abzubekommen, dann die liebenswürdige Saddest, die aufgrund einer Herzmuskelschwäche als „defekt" angesehen wurde. Und zwar so sehr, dass sie als potenzielle Partnerin gemieden wurde.

Na ja. Bis zum letzten Sommer, in dem Saddest ihren Aschenputtel-Moment bekommen hatte, etwas, das Seraphin wohl nie passieren würde.

„Und du? Wie hast du dich ausgepowert in der Pause?", fragte Seraphin fies, worauf ihre Freundin so tiefrot anlief, dass Seraphin breit grinste.

„Ich war auch beim Sport", log Saddest freimütig und im Gegensatz zu Seraphin hundsmiserabel.

„Ach? So nennt man das also, wenn man von zwei heißen Kerlen in einem Labor flachgelegt wird, ja?", fragte Seraphin herausfordernd, und Saddests Augen blitzten kämpferisch auf.

„Ja, okay. Ich war in der Pause bei Kieran und Lucan und ja, wir hatten heißen, heftigen Sex, und zwar im Büro, nicht im Labor! Du bist so gemein, mich damit aufzuziehen!", erwiderte Saddest leise und dennoch so laut, dass einige andere Studenten sich nach den beiden Frauen umdrehten.

Einige männliche Blicke blieben an Seraphin hängen, das war sie gewohnt, und einige wenige musterten auch Saddest – zumindest so lange, bis sie den Partnerschaftsschmuck an ihrer Hand bemerkten. Ja, sie war vergeben. So wie viele Frauen in ihrem Alter, die eine Familie wollten. Nicht so wie Seraphin, die dreiundzwanzig geworden war und trotz aller Bemühungen es nicht einmal geschafft hatte, mehr als zweimal mit dem gleichen Typen auszugehen.

Seraphin - Woman's World - LeseprobeWhere stories live. Discover now