Nicht nur der Boden wurde mir zu heiß. Hier brannte bald schon die Luft, wenn ich nicht gegensteuerte, denn dafür, dass ich nicht in sein Beuteschema passte, fand ich ihn ganz schön anhänglich und in Flirtstimmung zur falschen Zeit am falschen Ort. Jetzt bitte kein Extraständchen für mich, im Stil von „butterflies in your eyes and the looks to kill"! Warum nicht gleich „I need you tonight 'cause I'm not sleeping". Die Gegend war zwar ziemlich heruntergekommen, und das Haus ging mit bestem Willen nicht mal mehr als Shabby Chic durch, aber das hätte hier niemand cool gefunden. Soviel zu dem Thema „das ist nicht das Ritz, die wundern sich über gar nichts". Mayday. Mayday. Let's do the Time Warp. Oh ja, so einen hätte ich gut gebrauchen können: Einschlummern und am nächsten Morgen in aller Frühe aufwachen – wie viel da gelaufen sein wird, kann sich jeder denken. Das kommt davon, wenn zwei Leute unterschiedliche Vorstellungen haben...
Stop! You can look but you better not touch? Zu spät. Du ziehst mich an Dich und willst mich küssen – don't talk, just kiss? Noch könnte man der Fahrt die Beschleunigung nehmen und die Weichen entsprechend stellen. Welchen Charakter sollte dieser Kuss haben? Wenn's nach Dir ginge, wäre der nur der Auftakt zu mehr. Zu heiß! Too hot to handle... Wie viele Signale brauchst Du denn noch? Hoffentlich nur eins, nämlich das mit dem Zauberwort – das hat vier weiße Buchstaben und prangt für gewöhnlich inmitten eines roten, achteckigen Verkehrsschilds. „Stop, in the name of love before you break my heart!"
Das war zwar nicht das, was Du Dir vorgestellt hast, aber es war anscheinend deutlich genug, und aus dem geplanten Hot Kiss wird ein Abschiedsküßchen auf die Wange, mit dem Versprechen, am nächsten Morgen um Punkt zehn Uhr auf der Matte zu stehen, zu der Zeit, wo ich den ersten Kaffee am Morgen längst intus habe, bevor ich mich anschicke, die ausstehende Rechnung für das Zimmer zu bezahlen.
Let's do the time warp again. Erinnerungen haben die unschöne Eigenschaft, die Zeit durcheinanderzubringen und sich weder um eine chronologische Reihenfolge der Ereignisse zu scheren noch auf einen gleichförmigen Verlauf Wert zu legen: Sie springen mal vor und mal zurück, weswegen ich dieses Phänomen auch gerne als Time Warp bezeichne, auch wenn sein Erfinder anderes im Sinn gehabt hat; außerdem sehe ich manche Episoden im Zeitraffer, während andere in Zeitlupe abzulaufen scheinen, und nicht immer sind es die angenehmen.
Ein paar Stunden später saß ich mit einer Tasse löslichen Kaffees in der Lobby und wartete mit meinem gesamten Gepäck, in verkatertem und übermüdetem Zustand darauf, dass an der Rezeption endlich jemand auftauchte. Geschlafen hatte ich kaum. Die Schuld dafür dem Bier zu geben, von dem ich besser die Finger hätte lassen sollen, wäre zu einfach gewesen.
Man sollte eben niemals Craft Beer unterschätzen, besonders, wenn die Brauerei Ambitionen hat, belgischen Bieren Konkurrenz zu machen: Orval 6,2%, Duvel 8,5%, Delirium Tremens 8,5% und Delirium Noël 10% - ich wollte gar nicht wissen, wieviele Umdrehungen dieses kanadische Teufelszeug hatte. Ein echtes Killer Ale, von dem bereits zwei kleine Fläschchen reichten, um jemandem von meiner Statur die Lichter auszuschießen. Zum Glück hatte ich nur eins davon getrunken, dann war der Zwischenfall mit dem Band-Elektriker passiert, und dann...
Lieber nicht darüber nachdenken, war besser so. An die Versprechungen, die einem an Abenden wie dem Vergangenen gemacht werden, sollte ich ohnehin besser nicht glauben, denn außer einem gewaltigen Schrecken, gefolgt von einem unverbindlichen Flirt, war nichts dabei herausgesprungen. Ach, um eine Erfahrung war ich dann doch reicher geworden: Jetzt wusste ich, wie es sich anfühlte, wenn man seine letzten Barschaften zusammenkratzen durfte, um das Zimmer zu bezahlen. Doch dazu hätte jemand an der Rezeption sitzen müssen.
So wie an jedem der vergangenen Tage, die ich hier feudal residieren durfte, in einem Zimmer, dessen Wände jemand in anscheinend bekifftem Zustand verschönert hatte: knallgrünes Krokodil vor genauso schriller Palme auf senfgelbem Grund, die Decke war türkis gestrichen, und Schränke waren Fehlanzeige, genau wie die fehlende Privatdusche. Gemeinschaftsduschen waren wieder en vogue. Oder immer noch. Aber wie hatte ich so schön festgestellt? Das hier war nicht das Ritz. Im Ritz hätte ich meine Rechnung schon längst bezahlt. Wo waren denn heute bloß alle?
Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, mit meinem Gepäck einfach zur Tür hinaus zu spazieren. Da niemand meine Ausweispapiere hatte, würde mein Verschwinden sicherlich keinem auffallen. Sollte ich? Der Moment war günstig... Peng! Jaul! All those stars that shine upon you – und die Welt bleibt stehen.
Bei meinem Talent, den unpassendsten Moment zu erwischen, riß genau in dieser Sekunde jemand die Tür auf, die prompt in meinem Gesicht landete. Ein Wunder, dass ich nicht zu Boden ging, weil ich noch geistesgegenwärtig genug gewesen war, mich irgendwo festzuhalten. Nur erkennen konnte ich wegen der vielen Sterne, Punkte und Kreise, die vor meinen Augen tanzten, nichts mehr. Nur eine Stimme, und selbst die dröhnte in meinem Kopf.
Wer auch immer das war, er war wenigstens so freundlich, mich aufzusammeln und auf dem Sofa, von dem ich nie hätte aufstehen sollen, zu parken. Einen Eisbeutel hatte auch niemand zur Hand. Mist – das würde eine fette Beule geben, oder zumindest ein blaues Auge. Keine Ahnung, wie lange ich so dasaß, durch den Zusammenstoß mit der Tür und dem Unglücksraben, der an ihrer Klinke gehangen hatte, war mir mein Zeitgefühl abhanden gekommen.
„Hier..." oh nein, das war jetzt nicht das, wonach es sich anhörte „... nimm das."
Es war Mikes Stimme. Die hätte ich jederzeit wiedererkannt. Trotz meines Brummschädels war ein Irrtum ausgeschlossen. War er doch noch aufgetaucht. Und jetzt drückte er mir eine eiskalte Colaflasche in die Hand. In Ermangelung eines Eisbeutels, wie er sagte. Leider war ein blutiges Steak oder ein Beutel Tiefkühlerbsen genauso wenig verfügbar. Zum Kühlen der Stirn musste es dann eben die kalte Pepsi tun. Lieber hätte ich das Zeug getrunken.
„Komm, ich hol Dir noch einen Kaffee. Und dann lass uns hier abhauen. Oder hast Du gedacht, ich lass Dich hier hängen?"
Ehrlich gesagt, wusste ich nicht, was ich gedacht hatte. Dass er nicht mehr zurückkommen würde, nachdem der Abend nicht das Ende gefunden hatte, das er sich erhofft hatte? Offenbar hatte ich mich gründlich geirrt. Und das war nicht die einzige Fehleinschätzung von meiner Seite, denn er bezahlte nicht nur das Zimmer, sondern verkündete, dass wir jetzt erst mal ordentlich frühstücken würden und ich mein Zeug derweil im Bus lassen könnte, der draußen parkte. Wo war denn der auf einmal hergekommen? Gestern Abend war an irgendeinen fahrbaren Untersatz noch nicht einmal zu denken gewesen, und jetzt hatte seine Band auf einmal einen Bus? Irgendwo in dieser Rechnung war ein gewaltiges Logikloch, und ich war nicht in der Lage, es zu finden. Ja, wenn auch alle was trinken... Ja, klar – alle gleichzeitig.
„Hey, denk doch mal nach" - das war leichter gesagt als getan. „Unser ganzes Zeug ist da drin. Sollen wir damit etwa von Pub zu Pub, von Bar zu Bar fahren? Der Bus stand natürlich die ganze Nacht bei Danny zu Hause, und jetzt bin ich damit losgefahren, um Dich einzusammeln."
Mich einzusammeln. Tolle Wurst. Hatte ich das jetzt richtig verstanden, und er ging immer noch davon aus, dass ich sein spontan in den Raum geworfenes Jobangebot genauso spontan annehmen würde? Bis jetzt hatte ich noch gar nichts dazu gesagt. Aber so langsam sollte ich das mal tun, denn was war nochmal mein erster Gedanke gewesen? Du hast nichts zu verlieren? Außer Deinem Herzen und Deinem Verstand.. .NICHTS? - Als Kind hatte ich bei der Kirmes immer wie gebannt vor dem Schild „Junger Mann zum Mitreisen gesucht" gestanden und mich gefragt, warum sie keine junge Frau zum Mitreisen suchten.
Jetzt hatte ich die Chance, mein Work & Travel fortzusetzen – und wenn es nach ihm ging, durfte ich mich glücklich schätzen, bei der Kanadatournee von OxyGen als neuestes Crewmitglied dabei zu sein. Jetzt musste nur noch der Rest der Mannschaft informiert werden.
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Broken Strings
RomanceWork&Travel in Kanada und eine spontan getroffene Entscheidung mit unvorhergesehenen Folgen. Sie war so kurz davor, das Land zu verlassen, doch dann war da dieser eine Abend, der für sie alles veränderte. Eine Begegnung, die ihre Zukunft in neue Ba...
Chapter 3 - You can look but better not touch
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