„Das ist nicht Dein Ernst! Laufen?"
Wie schön, dass er jetzt den Fehler in der Rechnung entdeckte, und meine Hoffnung auf einenfahrbaren Untersatz keimte erneut auf.
„Barfuß... Hier ist alles voller Scherben!"
Ja, das soll rund um Bars und Kneipenöfters vorkommen. Was wirst Du tun? Manche Fragen stellt man sich besser nicht, auch nicht im Geiste. Denn dass er mich hochheben würde, um mich die restlichen Blocks durch die Straßen zu tragen, das hatte ich nun wirklich nicht kommen sehen. Jetzt war ich es, die sich fragte, ob er noch alle Tassen im Schrank hatte.
Bis ans Ziel tragen? Na schönen Dank auch, aber Du wirst bald merken, was für ein Gewicht Du Dir mit mir aufgehalst hast.
Er deutete meine Fassungslosigkeit jedoch komplett anders: „Die werden sicher komisch gucken in deinem Hotel, wenn ich dich bis dahin trage."
Klar – wenn du überhaupt so weit kommst. Aber das musste ich ihm nicht auf die Nase binden.
„Niemand wird komisch gucken", erwiderte ich statt dessen. „Hey, ich logiere nicht im Ritz, sondern in einem Hostel. In einer nicht so feinen Gegend"
Nicht so feine Gegend? Die Untertreibung des Tages.
„Da wundert sich keiner. Auch nicht darüber, dass Du mich fünf Blocks tragen willst..."
„Ach ja? Übers Wollen sind wir doch längst hinaus."
Was wollte er mir damit sagen? Dass die Devise „weniger schnacken – mehr machen" angesagt war? Und wieso überhaupt „wir"? Die Nummer mit dem Bringservice wollte er jetzt nicht wirklich bis zum Ende durchziehen? Da hatte ich wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden.
„Du kannst mich übrigens so langsam runterlassen. So schlimm ist das Pflaster hier auch nicht, und sauberer werden meine Füße jetzt auch nicht mehr."
„Aber auch nicht unbedingt wärmer." Touché! - Inzwischen war die Temperatur um ein, zwei weitere Grad gesunken. Ob es da wirklich so erstrebenswert war, mit nackten Sohlen auf kaltem Asphalt zu gehen? „Ich weiß nicht, ob Du das wirklich willst."
Gute Frage. Die Aussicht schien mir wenig verlockend. Na gut, wenn's denn sein musste. Aber je länger wir so unterwegs waren, so nah beieinander, fragte ich mich, ob mir dieses Getragenwerden wirklich so unangenehm war, wie ich vorgab. Andererseits – war das nicht genau die Situation, vor der weibliche Nachtschwärmer immer wieder gewarnt wurden? Allein in einer unbekannten Gegend mit einem Fremden, von dem man nie wissen konnte, was der im Schilde führte.
Wie blöd konnte man eigentlich noch sein? Ich hatte noch nicht mal ein Pfefferspray bei mir. Was für ein Hin und Her! Typisch – diese Hysterie sah mir ähnlich, und ich machte aus einer Mücke einen Elefanten. Schließlich hatte es in der Bar genug Zeugen dafür gegeben, wie er sich darum gerissen hatte, mich zu begleiten. Da würde er wohl kaum so dämlich sein, mich in ein Gebüsch oder einen Hauseingang zu zerren. Man würde ihn als Ersten verdächtigen. Denn das wäre ganz miese Publicity für eine Band, wenn sich ihr Blickfang am Mikrofon als eine moderne Version von Jack the Ripper entpuppt.
Haben wir etwa zu viele schlechte Filme und Serien gesehen? CSI Vancouver. Der neue Serienhit aus Kanada. Entspann Dich – bald sind wir da. Oder ziehen wir diese Aussage nochmal zurück?
Meine Gedanken waren das reinste Chaos, und inzwischen war das Hostel in greifbare Nähe gerückt.
Lieber Lieferheld, Sie haben Ihr Ziel erreicht (eines meiner liebsten Hobbys: Navi spielen) – wir sind da; Du kannst mich jetzt wirklich runterlassen: „We're almost there. I really believe you can let me down."
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Broken Strings
RomanceWork&Travel in Kanada und eine spontan getroffene Entscheidung mit unvorhergesehenen Folgen. Sie war so kurz davor, das Land zu verlassen, doch dann war da dieser eine Abend, der für sie alles veränderte. Eine Begegnung, die ihre Zukunft in neue Ba...
Chapter 3 - You can look but better not touch
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