Die Sache ist komisch

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Manchmal, da - nein anders.

Gestern -

Das gefällt mir auch nicht, aber tun wir einmal so als ob, damit ich endlich anfangen kann. Die Sache ist nämlich komisch.

Gestern lag ein Brief für mich auf der Arbeit. Das ist auf mehrere Arten ungewöhnlich für mich.

Erstens bin ich es nicht gewohnt, Briefe an mich adressiert zu bekommen.

Zweitens ist die Tatsache, dass ein Brief, der weder Rechnung noch Werbung noch Mahnungen zu Studiengebühren enthält, überhaupt versandt wird, ungewöhnlich.

Drittens lag er auf dem Schreibtisch auf meiner Arbeit. Wenn er wenigstens in meinem Postkasten gelegen hätte, zwischen den Werbungen oder Rechnungen oder Mahnungen. In diesem kleinen, braunen Kasten, zweiter von unten vorn an der Tür zum Mehrfamilienhaus. Das heißt für mich nämlich nun, dass ich nicht mit dem Brief in meiner Hand direkt zu meiner Freundin gehen kann, um ihr verwundert zu sagen, dass mir jemand einen Brief geschickt hat, sondern ich mich verantworten muss, warum auf der Arbeit ein Brief für mich liegt.

"Warum schickt man dir den nicht nach Hause?", hatte mich meine Chefin gefragt.

"Ich hab keine Ahnung", musste ich wahrheitsgetreu antworten. Also nahm ich den Brief verwundert und steckte ihn in meinen Rucksack, zwischen meinen gepunkteten Notizblock und meine alte Federtasche, die noch Klebstoffreste aus der Schulzeit unten am Boden hat. Vorsichtshalber muss ich hinzufügen, dass meine Leistungen heute unter meinem Standard lagen; der Brief ließ mich nicht in Ruhe. Er war eindeutig an mich adressiert, denn mein Vorname wurde in kalligrafischer Meisterleistung in die Mitte des Umschlags gefertigt. Er wurde nicht einfach gemalt; ich wusste nicht, dass die geschriebene Form meines Namens von so melancholischer Schönheit umgeben - ich schweife ab. Mein Name auf dem Umschlag formulierte die Fragen für mich, denn in meinem Kopf rauschte es: Sollte ich ihn gleich öffnen? Später? Abends allein? Mit meiner Freundin zusammen? Es machte mich wahnsinnig. Es machte mich so wahnsinnig, dass ich einen waghalsigen Plan entwerfen würde.

Ich stieg nicht in die Bahn in Richtung Norden - die mich normalerweise wieder nach Hause bringen würde - sondern in die Richtung Westen, zum Bahnhof und lief schnurstracks geradeaus ohne Umwege über den effizientesten Weg möglich zur Dame am Informationsschalter, um mir relevante Informationen zu erhalten.

"Wie gelange ich so schnell wie möglich nach Posen?", fragte ich die Dame, ohne sie zu begrüßen (ich weiß, wie unhöflich das ist).

Nach einigem hin und her auf ihrem geheimnisvollen Bildschirm, der meinen neugierigen Blicken verborgen blieb, antwortete sie: Sie fahren mit dem RE nach Berlin Ostkreuz, nehmen die S-Bahn nach Berlin-Mahlsdorf und von da nehmen sie einen Zug nach Kostrzyn. Von da aus können Sie einen Zug nach Posen nehmen."

"Mit wie viel muss ich rechnen?"

"Das kann ich Ihnen nicht sagen, das kommt auf die Preise der S-Bahnen und der in Polen an."

Ich öffnete mein Konto auf meinem Handy. Für ein Motel und den Zug sollte es reichen. Außerdem sollte ich in zwei Tagen Geld bekommen.

"Vielen Dank", sagte ich und verabschiedete mich. Ich hatte das Bedürfnis, mich für die fehlende Begrüßung zu entschuldigen, dann aber dachte ich darüber nach, wie komisch es für die Dame am Empfang wäre, wenn ich jetzt umkehrte und zu ihr sagte: "Entschuldigen Sie, dass ich sie vorhin nicht begrüßt habe. Es kommt nicht wieder vor."

Ich finde das schon komisch.

* * *

Ich weiß nicht, wieso genau ich nach Posen wollte. Der Name hatte einfach schon länger in meinem Kopf herum gespukt und mein ausformulierter, waghalsiger Plan benötigte ein geschichtsträchtiges, kulturell bereicherndes Ziel, also wieso nicht Posen? Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich, wieso genau ich nach Posen wollte; eben wegen dieser Gründe.

Die Sache ist komischWhere stories live. Discover now