<2> Hier wars das <2>

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„Die Elbe sieht ein bisschen aus wie deine Haarfarbe in dem Licht.", kommentierte Timothy das dunkle Blau des Flusses unter der vor Wolken getrübten Mittagssonne. „Das liegt doch an dem ganzen Schmutz, früher war die mal wirklich schön. Also.. zumindest auf Bildern.", zuckte ein Lachen durch die Wörter des jungen Enbys.
Ebenso zuckte ihr Augenlid andauernd, um sich vor dem aufblitzenden Blinken zu schützen, das die Sonne die silbern glänzenden Schienen werfen ließ. „Grässlich, dass diese Schienen immer noch im Boden liegen. Die fahren nirgends mehr und wenn du mit dem Auto drüber fährst, rumpelt es wie..", doch ihm fiel kein Vergleich ein, „du merkst es ja."
„Das geht ja noch, aber dass die nach 50? Wie viel? Jedenfalls mehr als genug Jahren immer noch glänzen wie das Silberbesteck bei Oma.", Claude war poetischer mit ihrem Vergleich. Allein, weil sie einen gefunden hatte. „Mh", murrte Timothy, „versuch, nicht blind zu werden, oke?"

Mehr als ein Schnauben erhielt er nicht von ihr. Ein Schnauben, das im Gleichtakt mit dem erneuten Rumpeln des Cadillac ruckelte, weswegen sie Halt an der Tür suchte und sich in das beige Polster des Autos krallte. Haare wie der Fluss, Oberteil wie das Autopolster. Und ihre Augen wie das Wasser der Elbe auf den Bildern aussah, ein hell glitzerndes Blau, in dessen Mitte jemand einen tiefschwarzen Kiesel geschmissen hatte.
„Muss ich mir eigentlich Sorgen machen, dass die Karre gleich unter uns zusammenkracht?", scherzte sie ernsthaft. Sie wusste selbst nicht, wie das gemeint war.
„Das ist keine Karre", harschte Timothy zurück, als verteidigte er sein Kind, „das ist ein Cadillac der 62 Series aus 1959 und mein treuer Begleiter seit ich allein unterwegs bin."
„Traurig, dass du mehr Gesellschaft als ich hast, obwohl wir nur von einem Auto reden.", und bevor ihr Fahrer seinen urteilenden Seitenblick in Worte fassen konnte, verbesserte sie sich zügig: „Also, nicht "nur". Aber es ist immer noch ein Gegenstand. Also.. ja, Transportmittel, Ding halt. Nichts für ungut."
Zu ihrer Erleichterung grinste Timothy der Straße entgegen, der er (was Claude noch mehr erleichterte) kaum eine Sekunde die Aufmerksamkeit entzog.
„Jetzt bin ich ja hier. UND mein Cadillac auch gleich."
Claude schwieg. Timothy hatte zwar recht, sie war gerade nicht allein, aber wirklich ein Gefühl von Genuss empfand sie nicht. Eigentlich war alles genauso wie vorher. Nur ohne Regen und ohne Müllgestank.
„Woher hast du eigentlich den Cadillac? Ich meine, 1959 war ja schon vor dem Krieg ein Oldtimer und das war 2070."
„Das war 2079, hat da jemand in Geschichte nicht aufgepasst. Aber japp, der hier ist einer der wenigen Überlebenden, hat das Autoverbot, den 3. Weltkrieg und mein Makeover überlebt. Alle meine Kfz-Kenntnisse hab ich mir selbst beigebracht und an ihm hier ausprobiert."
Claude wollte aussteigen.
„Und wegen deiner Frage: Ich hab ihn von meinem Vater. Der hatte das Geld dafür und hatte die Garage, die ihn beschützt hat. Auch, wenn ich einiges reparieren musste."
Viel verstand Claude nicht von Autos und ihr Interesse hielt sich in Grenzen, solange sie nicht im nächsten Moment auf einem Haufen Metall und Stoff saß, sondern auf vier Rädern mit Tür neben sich an einem Parkplatz ankam. Am besten noch in der Nachkriegsstadt, die nur noch einige wenige Minuten entfernt sein konnte.
„Nicht mehr lang.", äußerte sie sich also.
„Mhm, da vorne sieht mans ja schon. Deutlich schneller als zu Fuß, da wärst du zwar direkt am Fluss entlang, aber auch mit dem Umweg waren wir schneller so. Gern geschehen.", lachte er sein Selbstlob ein wenig unsicher, „Ech, ja, danke.", schnaubte Claude in den Fußraum, den Kopf gesenkt, „War auch schön, mal wieder mit jemandem zu reden."
„Das klingt nicht wirklich gut.", stellte Timothy daraufhin fest. Es war unüberhörbar, dass sie auf irgendwas keine Lust hatte und auch wenn sie das nicht sagen würde war das eigentlich alles.

„Ja, sorry, es ist nur.. danke für die Fahrt und alles, aber ab Wasserbeck würd ich gern alleine weiterreisen. Nichts für Ungut.", ins Gesicht schaute sie dem Fahrer dabei nicht, doch der wollte grad ausnahmsweise eh nicht von der Straße wegschauen. „Schon gut. Ich bins ja gewohnt allein unterwegs zu sein. Und wie du meintest: War schön überhaupt mal wieder mit jemand anderem als sich selbst zu reden." Glücklicherweise hatte Claude überhaupt nicht die Schuldgefühle, als hätte sie sein Auto gestohlen als er mit vorwurfsvollen Unterton versuchte, sich beiden einzureden, dass es für ihn in Ordnung war wieder allein zu sein. „Sorry, ich hab halt was echt privates dort zu erledigen und.. du wirkst echt ganz cool, aber ich kenn dich halt doch fast gar nicht." Timothy nickte, oder besser gesagt knickte er kurz bedrückt den Kopf ein und hob ihn wieder. „Ist schon gut, ist auch besser, wenn du direkt nen anderen Weg als ich gehst, bevor ich mich noch zu sehr wieder dran gewöhne."
„Hast du wirklich niemanden, den du kennst oder mit dem du reden kannst? Mich hast du ja auch gleich angequatscht, also schwer sollte es dir doch nicht fallen, jemanden kennenzulernen."
„Du warst die erste Person, der ich seit Langem begegnet bin. Meistens bin ich abseits von Leuten unterwegs oder genau andersrum. So, dass es zu viele und zu gestresste Leute sind, als dass man jemanden kennenlernen kann."
„Und Freunde von früher-", schaffte sie noch den Ansatz ihrer Frage, doch der Anhang wurde von Timothys eiligem Einspruch begraben: „Nein. Die will ich auch nicht wiedersehen. Ich bin weg von denen. um neue Leute und ein neues Ich finden zu können und.. naja, zweites hat wenigstens funktioniert."
„Es tut mir echt leid..", piepste Claude von der ersten Gereiztheit, die sie bei Timothy erlebt hatte, eingeschüchtert. Auf dem Schrottplatz war er deutlich fröhlicher gewesen als diese paar Meter vor der Stadt.

„Da sind wir.", kündigte er an, fuhr aber noch immer umher, auf der Suche nach einem abgelegen Parkplatz. Er hätte sich nie verziehen, wenn sein einziger Weggefährte in der Stadt für sein gutes Aussehen geklaut worden wäre. Oder der Lack zerkratzt oder ein Rückspiegel abgefahren oder ein Fenster eingeschlagen- vor seinem inneren Auge spielten sich dutzende Horrorszenarien ab. Und dann fand er einen guten Platz. Außerhalb der Stadt, hinter einem der verlassenen Häuser, die die Stadt wie einen Ring der Einsamkeit umgaben, sie wurden nie renoviert und nie eingerissen, also standen sie da und zwischen zweien stand gerade so passgenau der glänzende Cadillac. So passgenau, dass die Tür bei Claude noch gut aufging, Timothy selbst musste sich aus dem Auto schälen wie aus einem zu engen Jackett. Jeden kleinen Schritt um das Auto herum taten sie gleichzeitig und genossen noch die letzten halben Minuten mit einem Lebewesen an ihrer Seite. Bis sie sich hinter dem Kofferraum gegenüber standen, Claude einen Arm vorgehalten, die Hand am Ellbogen des Anderen. Timothy ein Bein zurückgestreckt, den Fuß hinter dem Anderen.
„Also.", setzte Claude an, „Hier wars das dann."

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⏰ Last updated: Mar 23, 2020 ⏰

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