Thought I had reason to attack, but no

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Ich bin völlig überrumpelt und überfordert. Einfach mit allem.
Er tritt einen Schritt zurück und krempelt seine Hose bis über seinen Oberschenkel hoch.
,,Was wird das?", frage ich.
,,Schau hin.", sagt er.
Ich schaue sein Bein an. Über seinen rechten Oberschenkel zieht sich eine dicke Narbe, gut 25 cm lang.
,,Was ist das?"
,,Weißt du, woher die kommt?"
Ich schüttelte entsetzt den Kopf.
,,Möchtest du das wissen?"
Ich weiß nicht, was ich machen soll.
,,Ob du das wissen möchtest?", fragt er etwas lauter.
,,Alex... ich...", setze ich an.
,,Da steckte eine scheiß Autotüre drin. Und weißt du auch wieso?"
Ich bin einfach nur noch überfordert.
,,Weil mein Konvoi in Syrien über eine Mine gefahren ist."
Ich weiß immer noch nicht, was ich sagen soll.
,,Und soll ich dir noch was sagen? Diese Narbe erinnert mich jeden Tag daran, dass ich der Einzige bin, der an dem Tag mit dem Leben davon gekommen ist. Weil mir das Teil im Unterschied zu den anderen nur im Oberschenkel und nicht im Brustkorb gesteckt hat."
,,Alex, Stopp!" Ich heule fast.
Er redet einfach weiter.

,,Du hast das Foto gesehen, oder? Der Mann darauf, Marius, der war mit mir in der Grundschule. Und die Frau, Maria, die war meine Verlobte. Ich habe an dem Tag alles verloren. Nur mein Leben nicht." Er lacht verächtlich.
,,Und du glaubst nicht, wie oft ich mir gewünscht hab, dass es an dem Tag anders für mich ausgegangen wär."
,,Ich...Alex, das tut mir leid."
,,Muss es nicht. Kannst ja nix für."

Er fährt sich durch die Haare.
,,Und natürlich weiß ich, dass jeder über mich redet. Und sich fragt, wie ich so eine Position haben kann. In meinem Alter. Willst du es wissen? Willst du wissen, wer mir die Befugnis gegeben hat, dich im Dienst zu korrigieren?"
Ich bin nur noch damit beschäftigt, mich auf den Beinen zu halten.
Ich habe solche Schuldgefühle und bereue so sehr, was ich gesagt hab.

,,Wie bringt man am besten jemandem zu Schweigen, wenn man ihn nicht töten kann, aber weiß, dass er etwas weiß, was einen komplett zerstören kann? Genau, man gibt ihm Geld. Oder bietet ihm verantwortungsvolle Positionen an. Oder eben beides."
Mir laufen die Tränen über die Wangen.
,,Weißt du, wieso? Weil an dem Tag niemand hätte sterben müssen. Weil niemand hätte verletzt werden müssen. Es wäre so einfach gewesen... Es war einfach nur ein Flüchtigkeitsfehler, unsauberes Arbeiten... und der Einzige, der das jetzt neben den Schuldigen noch weiß, bin ich."
,,Wurde das denn nie aufgearbeitet?", frage ich leise.
,,Doch, natürlich. Aber es konnte nicht zweifelsfrei die Schuld nachgewiesen werden.
Und damit ich keinen Aufstand mache... naja... du siehst es ja. Ich hätte eh keinen gemacht, es hätte mir Maria nicht zurückgebracht."
Erst gestikuliert er wild, dann lässt er seine Arme kraftlos sinken.
,,Und weißt du auch, wieso ich in einer WG wohne, obwohl ich mir ein Haus leisten könnte? Weil ich nicht alleine schlafen kann. Weil ich sonst jede Nacht davon träume." Seine Stimme ist tonlos.

Diese Aussage trifft mich mehr als alles andere. Ich fühle mich so unfassbar schlecht.
Ich schäme mich einfach nur.
,,Es tut mir so leid.", flüstere ich.
,,Muss es nicht. Du bist wundervoll. Du hast mich das alles für eine Zeit lang vergessen lassen und das hat vorher noch niemand anders geschafft. Ich wollte es dir schon länger sagen... aber sich dazu zu überwinden... vielleicht weißt du, was ich meine."
Ich weiß es.
,,Ich bin dazu noch nicht bereit.", rutscht es mir heraus. Verdammt, das sollte doch in meinem Kopf bleiben.
Er lächelt.
,,Das würde ich auch niemals verlangen. Ich weiß auch so genug über dich."
,,Ja?"
,,Ja. Nämlich, dass du einen tollen Charakter hast. Eine kompetente Notfallsanitäterin bist. Blau-grün-graue Augen hast, die... wie alles an..." Er kommt wieder näher.
,,...perfekt sind."
,,Ist das so?", flüstere ich.
,,Ja. Genauso so, wie ich es sage." Er wischt mit seinem Daumen die Tränen aus meinem Gesicht weg.
,,Ich weiß noch, dass du dafür sorgst, dass ich mich den ganzen Tag freue, abends nach Hause zu kommen. Dass..." Er verstummt.
Ich kann längst nichts mehr sagen. Ich bin einfach nur überwältigt. Von allem. Von ihm.
,,.... dass ich Angst habe dich, zu verletzen. Etwas zu tun, was du nicht möchtest. Das ist das letzte, was ich will.", fährt er fort und es klingt wie die Frage nach einem Einverständnis.
Seine eine Hand ist in meinen Haaren vergraben, seine andere liegt an meinem Rücken.
,,Ich vertraue dir.", sage ich und schließe meine Augen.

Anstatt einer Antwort spüre ich seine Lippen auf meinen. Und in diesem Moment habe ich das Gefühl, dass das alles ist, was ich jemals wollte.
Es ist... so anders als in meinem Traum.
So viel schöner, sanfter, und perfekter, als ich es mir jemals hätte vorstellen können.
Doch bevor ich wirklich realisiere, was hier grad passiert, hat er sich auch schon wieder gelöst.
Er räuspert sich.
,,Das wollt ich schon echt lange tun.", sagt er dann und grinst verlegen.
,,Ich hab letztens davon geträumt.", gebe ich zu.
,,Ich weiß."
,,Ach ja? Wie habe ich mich verraten?"
,,Eventuell hast du ‚küss mich endlich' gesagt."
,,Und du warst dir sicher, dass es um dich geht?", frage ich.
,,Ich habe es sehr gehofft."
,,Auf einmal so bescheiden.", sage ich provokant.

,,Du hast eine Fahne.", sagt er.
,,Ich hab ja auch gesoffen."
,,Ist mir gar nicht aufgefallen.", sagt er ironisch.
,,Ey!", Ich boxe ihn in die Seite.
Blitzschnell packt er mich und wirft mich über seine Schulter.
,,Du hast immer noch keine Chance. Und übrigens hast du Steinchen am oder eher im Fuß. Dreckig sind die auch."
,,Lass mich runter!" Ich strampele und versuche ihn zu treten.

In meinem Bad setzt er mich ab und sich auf den Badewannenrand.
,,Du solltest das ja kennen. Zähne putzen, abschminken, waschen."
,,Du bist nicht mein Erziehungsberechtigter.", grummle ich.
,,Ja, aber du nicht zurechnungsfähig und so fällt das Bestimmungsrecht an den behandelnden Arzt."
,,Behandelnder Arzt?", frage ich und fange an meine Zähne zu putzen.
,,Du genießt einen höheren Status als ein Privatpatient- solltest du gemerkt haben."
,,Du bischt behindert.", versuche ich zu sagen ohne mich am Schaum zu verschlucken.
,,Bitte was- ich versteh dich so schlecht. Hm, verwaschene Sprache, vielleicht ein Schlaganfall?"

Nachdem ich alles Ordnungsgemäß erledigt  und auch auf Anweisung genug Wasser getrunken habe, lege ich mich hin.

,,Gute Nacht, Josi."
,,Alex...also, wenn du nicht allein schlafen willst... ich will's jedenfalls nicht.", druckse ich herum.
Er lächelt und kommt wieder zu mir.

Irgendwann, kurz bevor ich eingeschlafen bin, spüre ich, wie er mir kurz übers Haar streicht und leise sagt:
,,War die richtige Entscheidung."

Ja, Alex. Die beste, die du treffen konntest.

_______________________________

Huhuuuu,

Sie haben es endlich geschafft sich zu küssen. Hat ja auch nur fast 40 Kapitel gedauert...🙄

Ich schlafe dann jetzt auch mal, aber das Kapitel musste noch sein.
Ich bin völlig überwältigt von euren vielen Kommentaren, Reads and Likes, welche wohl der Grund sind, wieso ich seit 6 Stunden schreibe.

Gute Nacht!❤️

Laura

P.s.: Herrje, bin ich aufgeregt, auf den ,,veröffentlichen" Button zu klicken...

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt