Du bist NICHT allein

Du bist nicht allein.Meine Füße sind schwer wie Blei, die Muskeln schlaff und entkräftet. Ich weiß nicht, wie lange meine Beine mich schon tragen. Das Gefühl für Raum und Zeit ist bereits vor vielen Abzweigungen, die in die tiefschwarze Dunkelheit führen, verloren gegangen.Ich hatte einen Plan als ich aufgebrochen bin, eine Route der ich folgen wollte. Das Ziel klar vor Augen, die Hürden und Hindernisse, die den Weg dorthin pflastern würden einkalkuliert. So bin ich losgelaufen. Vermutlich habe ich zu viel Schwung genommen, vielleicht sogar eine Kreuzung übersehen, da ich den Blick bereits an die Nächste geheftet hatte.Nach einer Weile habe ich zwar bemerkt, dass ich mich verlaufen habe, doch ist es an diesem Punkt bereits zu spät gewesen, um umzukehren. Zumindest ist es das, was ich mir bis jetzt versuche einzureden. Mit ausgekühlten Gliedern, die Arme um meinen Leib geschlungen, trabe ich voran.Irgendwann wird das Licht, nach dem ich schon so lange suche auftauchen. Wenn ich einfach nur fest genug daran glaube, es mir felsenfest wünsche, dann wird es mich finden. Das wird es doch, oder? Sollte ich meine Chance auf den Funken Hoffnung bereits vertan haben? Ist der Zeitpunkt an mir vorbei gerauscht, ohne dass ich es bemerkt habe? Ich weiß es nicht – eigentlich weiß ich nichts mehr.Ich vernehme Stimmen, wie ein seichtes Zischen flüstern fremde Worte in mein Ohr, doch ich vermag sie nicht zu verstehen. Die Laute klingen dumpf und unterdrückt, als würde sie jemand gefangen halten. Dabei bin ich mir sicher, dass ihr Klang mir nicht unbekannt ist. Wer ist da? Was sagst du? Ich verstehe dich nicht.Obwohl ich die Geräusche nicht zu Worten formen kann, werden sie klarer. Ich laufe schneller, hieve mich mit beiden Händen an den Wänden abgestützt voran. Meine zittrigen Knie protestieren, wollen mich dazu zwingen langsamer zu werden, doch ich ignoriere sie. Ich kämpfe weiter, bis mein Kopf plötzlich gegen etwas Hartes prallt. Ich taumele zurück, strecke die Arme vor mir aus und ertaste die kalte Wahrheit.Eine Sackgasse. Die Betonmauer unter meinen verschlissenen Handflächen verdeutlicht mir unwiderruflich, dass der Weg hier endet. Es gibt kein Weiterkommen, ich stecke fest. Der einzige Weg, den ich gehen kann, ist der, der hinter mir liegt. Jede Bodenwelle, jedes Schlagloch und jede Pfütze, die ich überstanden habe, werde ich erneut passieren müssen. Mir bleibt keine Wahl. Ich fluche lautstark, und als ich den Hall, der von den Wenden zu mir zurückschallt vernehme, stockt mir der Atem.Ich spreche erneut, atme schwer ein und wieder aus. Das dumpfe Geräusch, dem ich gefolgt bin, stellt sich als nichts anderes heraus, als mein eigenes Echo. Es waren meine eigenen Laute, denen ich nachgeeifert bin, obwohl ich sie nicht verstehen konnte. Die Erkenntnis schlägt mir mit geballter Faust direkt ins Gesicht.Hätte ich doch nur auf mich selbst gehört. Ich hätte die Zweifel, dass es zu spät sei umzudrehen unbeachtet zurücklassen sollen, meinem Gefühl trauen und den Mut aufbringen mir einen Fehler einzugestehen. Jeder biegt einmal falsch ab, verpasst eine Ausfahrt oder reist mit überhöhter Geschwindigkeit. Das wichtige an Fehlern ist die Erkenntnis, die man daraus zieht. Denn selbst, wenn man über sie hinweg sieht, über sie steigt und weiter marschiert, erreicht man früher oder später das Ende der Sackgasse, sodass keine andere Wahl bleibt, als stehen zu bleiben oder umzukehren. Ich entscheide mich dafür kehrt zumachen, den Weg zurück zu nehmen - zurück zu mir. Es wird mir nicht leicht von der Hand gehen, ich werde frieren und die ein oder andere Blessur davon tragen, doch Wunden heilen und gegen die Kälte der Einsamkeit gibt es nur eine Lösung. Die Scheuklappen abgelegt und den Blick zu beiden Seiten schweifend, nehme ich endlich wahr, dass ich nicht der Einzige bin, der blind einer falschen Fährte folgt. Ich strecke die Hand aus, bereit sie jemand anderen zu reichen.Ich bin nicht allein. Du bist nicht allein.