Kapitel I

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Langsam nähert sich der Zug Hogwarts und mit jedem Meter, den wir zwischen uns und King's Cross bringen, wird mir leichter ums Herz. Vaters harte Gesichtszüge verblassen, Mums stummes Ertragen geht in der Vorfreude unter - nur Bellatrix' Leiden bleibt. Sie weiß nicht, dass ich weiß, was sie alles wegen mir ertragen musste. Verstohlen mustere ich sie. Es ist fast, als würde ich mein Spiegelbild ansehen. Sie hat die sonst so widerspenstigen Locken heute Morgen noch mit einem Zauberspruch gebändigt, sodass sie ihr in sanften Wellen über die Schultern fließen. Eine exakte Kopie des Naturzustandes meiner Haare. Auch die alabasterfarbende Haut und die dunkeln Augen teilen wir. Aber ihr Gesicht ist markanter als meines, der Ausdruck ist hart und kalt. Trotz dieses entscheidenen Unterschiedes gibt es keinen, der uns nicht schon einmal für Zwillinge gehalten hat.

"Was starrst du so, Ana?", murrt sie, ohne von ihrem Buch aufzuschauen. Narcissa sieht zu mir, als interessiere sie meine Antwort wirklich.

"Es gibt keinen besonderen Grund."

"Es gibt immer einen Grund.", jetzt hebt sie den Blick. Ich zucke bloß mit den Schultern und wende mich wieder der vorbeiziehenden Landschaft zu.

"Das ist heute eure letzte Fahrt nach Hogwarts.", bemerkt Narcissa. Sie streicht sich eine hellblonde Strähne hinters Ohr. Niemand weiß, von wem sie das geerbt hat. Kein Black ist blond.
Mit ihren 13 Jahren bewundert sie unsere ältere Schwester Bellatrix mit voller Inbrunst. Bellas Wort ist ihr Gesetz und ihre Weltsicht Narcissas Religion.

"Um so besser!"

Narcissa sieht ehrfürchtig zu Bellatrix.

"Du freust dich?"

"Natürlich. Endlich können wir diese gottverdammten Mauern hinter uns lassen!"

Es versetzt mir einen Stich wie sie über Hogwarts spricht. Mein Zuhause. Meinen Rettungsring. Bella konnte ihre Emotionen schon immer wie keine Andere verstecken, aber mich hat sie noch nie getäuscht. Sie hat ebenso Angst wie ich, denn wenn Hogwarts nicht mehr ist, sind wir den Zukunftsplänen unserer Eltern ausgeliefert.
Das Öffnen der Abteiltür lässt mich aufschrecken. Mersus, einer von Bellas merkwürdigen Freunden, grinst uns breit entgegen.

"Bist du jetzt fertig mit Baby-Sitting, Bex? Wir warten alle."

Bella erhebt sich sichtlich erfreut. Auf der Schwelle dreht sie sich noch einmal um.

"Ihr kommt klar?"

Es ist eine rhetorische Frage, denn ohne auf eine Antwort zu warten, harkt sie sich bei Mersus ein und folgt ihm den Gang hinunter. Bellatrix ist viele Personen in einem Körper. Bellatrix, die sich auf Regeln und Anweisungen meines Vaters stürzt als bräuchte sie sie zum Leben. Bella, meine große, aufopfernde Schwester und Bex, die düstere, gleichgültige Bex, in der eine, über Jahre angestaute Wut, zu schlummern scheint.

"Ana?"

Narcissa schnipst mit den Fingern vor meinem Gesicht.

"Hm?"

"Ich gehe auch zu meinen Freunden.", fügt auf halbem Weg jedoch noch gönnerhaft hinzu, "Du kannst mitkommen. Ich bin sicher, sie hätten nichts dagegen einzuwenden."

"Nein, geh du nur."

Achselzuckend verschwindet sie. Das leere Abteil erscheint mir mit einem Mal viel unheimlicher, aber dennoch ist die Ruhe eine Wohltat. Seufzend erhebe ich mich ebenfalls. Die Ruhe wird mir wohl verwehrt bleiben. Hogsmeade ist nicht mehr weit entfernt. Auch ich sollte meine Freunde suchen um noch eine Kutsche zu ergattern. Ich trete auf den Gang, sammele mich einen Moment und beginne dann die Abteile nach bekannten Gesichtern abzusuchen. Es dauert nicht lange bevor mir eine ganze Gruppe Slytherins mürrisch entgegen schaut. Darunter auch Elisabeth. Sie begrüßt mich mit einem kleinen Lächeln und ich lasse mich neben ihr nieder. Sie fragt nicht nach meinen Ferien. Ich frage nicht nach ihren. 
Ein Ruck geht durch den Zug und die Bremsen kreischen voller Protest auf. Inzwischen ist es vor dem Fenster stockdunkel. Im schummrigen Licht des Bahnhofs sind die Umrisse des Wildhüters,Theo Lockwood, auszumachen. Sommerlich warme Luft schlägt mir entgegen, sobald ich mich von der Masse aus dem Zug treiben lasse. Schülerströme teilen sich. Erstklässler zu Lockwood, die älteren zu den Kutschen. Mit Elisabeth an meiner Seite klettere ich in eine der letzten Mitfahrgelegenheiten. Unter all den Schülern habe ich Bellatrix und Narcissa aus den Augen verloren, aber es braucht kein Bestätigung um zu wissen, dass sie irgendwo ganz vorne mitfahren.

Who We Were - Harry Potter Fan FictionWhere stories live. Discover now