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„Sie kommen jetzt erstmal da runter", sagt der Bulle neben ihr.

„All's klar", nuschelte ich und richtete den Blick auf die Sprossen, auf denen meine Füße standen. Okay, hoch hatte geklappt und wie kam ich jetzt wieder runter? Ich sicherte die Flasche an meinem Oberkörper und schaute nochmal nach oben.

„Geht das auch schneller?", drängelte der Bulle.

Ich will dich hier sehen, Junge. Fresse halten.

Ich war einmal frech zu den Bullen gewesen und hatte härter kassiert als bei der Schlägerei, wegen der sie ins Heim gekommen waren. Mitten ins Gesicht hatte der Hurensohn mich geboxt und es dann auf den anderen Jungen geschoben, der mit blutiger Nase neben mir saß.

„Ihr seht aus wie Zwillinge", hatte er gelacht, als auch mir das Blut übers Gesicht gelaufen und in meinen Schoß getropft war.

„'ch versuchs", brachte ich hervor. Meine Zunge fühlte sich an, als sei sie zu groß für meinen Mund. Ich musste nur das, was ich eben gemacht hatte, rückwärts machen. Also Flasche sichern, an eine tiefere Sprosse greifen, festhalten, einen Fuß runter, dann den nächsten. Funktionierte, okay. Nochmal, das ganze Spiel von vorn.

Ich hörte den Bullen seufzen.

„Geben Sie mir bitte Ihren Ausweis", forderte er, als ich endlich vor ihm stand. Der Boden fühlte sich irgendwie nicht viel fester an als die Leiter gerade.

„Sekunde", nuschelte ich, eine Hand noch an der Leiter. Ich beugte mich runter, fixierte eine freie, gerade Fläche auf dem Boden und senkte die Flasche ganz langsam. Stellte sie ganz vorsichtig und gerade hin. Mit einem dumpfen Pochen kam sie am Boden auf und der Inhalt schwappte gegen die Glaswände.

Ich zog mich an der Leiter wieder in eine aufrechte Position und lehnte mich gegen sie, als ich mein Portemonnaie aus meiner Hosentasche holte. Ich kramte den Ausweis hervor und drückte ihn dem Bullen in der Hand, die Bullin leuchtete mit der Lampe drauf.

„Herr Dibowski", sagte er. „Sie sind unbefugt hier eingedrungen."

Ich spürte den Schweiß auf meiner Stirn. Schmeckte den säuerlichen Speichel und schluckte ihn, doch er lief sofort nach. Ich rülpste, um die Übelkeit loszuwerden, aber sie verschwand nicht. Was für ein beschissener Tag.

„Gerade achtzehn geworden, was?", sagte die Polizistin, nachdem ihr Kollege zu Ende geschwafelt hatte. „Das wollten Sie wohl feiern."

„Hab nix gemacht", nuschelte ich und lehnte mich gegen die Leiter. Vielleicht, wenn ich einfach kurz die Augen zumachte ... Nein, scheiß Idee. Die Welt drehte sich um mich herum und ich konnte mich gerade noch mit einem Schritt zur Seite vor dem Absturz retten.

„Kommen Sie bitte von dem Kran weg", forderte der Bulle mich auf. Guter Witz. „Ich sage es kein zweites Mal."

„'s ja gut, ey." Ein Hicksen löste sich aus meiner Kehle und ich machte ein paar Schritte vorwärts, zumindest so halbwegs, ehe der bittere Speichel in meinem Mund überhandnahm und ich den Wichsern vor die Füße kotzte. Der Bulle packte mich, bevor ich umkippen konnte.

„Ich würde sagen, Sie begleiten uns für heute Nacht", meinte er und irgendwie klang Ausnüchterungszelle immer noch besser als heute Nacht nochmal auf Vero zu treffen.


Am nächsten Morgen fühlte mein Kopf sich an, als würde jemand mit Presslufthämmern darauf einhämmern. Hätte ich auch direkt auf der Baustelle pennen können, wäre aufs gleich rausgekommen.

Die Polizisten gaben mir mein Handy, mein Portemonnaie und meinen Gürtel zurück und ich steuerte den Ausgang an, während ich ihn durch die Laschen meiner Jeans fädelte. Die Gürtelschnalle noch offen in der Hand blieb mein Blick an den Besucherstühlen hängen. Eine junge Frau saß dort, zerzaustes blondes Haar, Jogginghose an den Beinen, Smartphone in der Hand und Kaugummi im Mund. Ich blieb stehen. Zog den Gürtel durch die Schnalle. Hob den Blick wieder. Sie hatte von ihrem Handy aufgesehen und ihr Blick ruhte auf meinem Schritt.

„Da sehen wir uns nach Jahren wieder und du willst mir noch vor dem Hallo deinen Schwanz zeigen?", fragte Tessa.

Grinsend zog ich den Gürtel wieder aus der Schnalle, ließ ihn offen runterhängen und trat näher an sie heran.

„Wär doch 'ne angemessene Begrüßung, findest du nicht?", fragte ich und blieb so nah neben ihrem Sitz stehen, dass mein Schritt auf der Höhe ihres Gesichts war.

Tessa griff an meinen Hosenbund, schaute zu mir hoch, ließ eine pinke Kaugummiblase platzen und grinste.

„Und ich zeige dir dann meine Titten?", fragte sie.

„Ganz genau."

„Hmm. Nee, ich glaub nicht." Sie stand auf und schob ihr Handy in die Tasche ihrer Jogginghose, dann zog sie mich in eine Umarmung. „Mann, Janko, was machst du hier?"

„Geburtstag nachfeiern oder so", grinste ich.

„Stimmt, der war gerade erst, oder?"

„Gestern."

„Alles Gute nachträglich."

Mit Tessa hatte ich Kindergeburtstag gefeiert. Mit Luftballons und Kuchen mit Kerzen drauf. Auch meinen dreizehnten hatten wir noch zusammen gefeiert, an meinem vierzehnten hatte ich im Bett in meinem neuen Zimmer im Heim gelegen und nicht geheult, um nicht auf die Schnauze zu kriegen.

„Was machst du hier?", fragte ich und schloss meinen Gürtel nun doch.

„Ich hol meinen Bruder ab, der wurde gestern einkassiert", winkte sie ab.

Wieso hatte ich Tessa eigentlich nicht mehr getroffen, nachdem ich ins Heim gekommen war?

„Du siehst heißer aus", meinte ich und fragte mich gleich darauf ob das ein Kompliment war, dass man einer Frau machte. War ich überhaupt schon wieder nüchtern?

„Heißer als mit vierzehn?", fragte sie und zog grinsend die Augenbrauen hoch.

Ich nickte. „Ja. Schon."

Sie lachte. „Wow. Was machst du eigentlich hier?"

„Ich hab ein bisschen zu krass gefeiert oder so", sagte ich. Was bedeutete das jetzt eigentlich für meine Mutprobe? Bestanden oder durchgefallen? War nicht meine Schuld, dass die Bullen aufgetaucht waren. Durchgefallen wäre also echt mies, aber in der Schule hatte sowas ja auch keinen interessiert.

„So siehst du auch aus", meinte Tessa und trat dann an mir vorbei auf den Flur, wo gerade ein Kerl auf uns zukam, der genau wie ich Jeans und T-Shirt trug. Morice, Tessas älterer Bruder. Mit ihm hatte ich nie wirklich was zu tun gehabt.

„Wer's'n der Vogel?", fragte er Tessa und nickte in meine Richtung.

„Janko. Erinnerst du dich?"

„Keine Ahnung." Er wandte sich in meine Richtung. „Ey, Mann, ich hab dich schon mal gesehen. Du hängst doch mit dieser Drecksgruppe von Vero, oder?"

„Kann schon sein", erwiderte ich und Tessa wandte mir den Blick zu.

„Echt jetzt?"

„Was dagegen?"

„Die machen doch diese bescheuerten Mutproben, oder?", fragte Tessa, während ihr Bruder sagte: „Ja, 'n Messer, dass ich dem Hund gerne zwischen die Rippen rammen würde. Können wir jetzt gehen?" Tessa schaute ihn an und verdrehte die Augen.

„Mach's gut", sagte sie zu mir.

Ich behielt ihren Bruder im Auge.

„Du auch." Eigentlich würde ich echt gerne mit ihr was trinken gehen. Oder einfach reden. Über früher. Aber ich blieb stehen, während Tessa und ihr Bruder die Wache verließen und mir nur die Gedanken Mamas selbstgemachten Eistee und die Zitronenkekse in dem großen gelben Eimer blieben, die sie mir und Tessa im Sommer immer gekauft hatte. Für eine Sekunde schmeckte ich die geschmolzene Schokolade auf meiner Zunge und hörte mein eigenes unbeschwertes Lachen in meinen Ohren.

Mamakind [pausiert]Where stories live. Discover now