VIER

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Ich hatte nie einen Kater, wenn ich feiern war und am nächsten Tag aufwachte. Menschen, die den nächsten Tag im Bett versauerten, konnte ich nicht verstehen. Mir ging es auch nach Alkoholexzessen blendend. So wie heute.

Leider hatte mein Helfer mir keinen Wecker ge­stellt. Ich wachte erst auf, als die schwache Dezem­bersonne mir mitten ins Gesicht schien. Unter­schwellig spürte ich zwar eine leichte Übelkeit und ich hatte tierischen Durst, aber mich plagten weder Kopfschmerzen noch andere Einschränkungen.

Ich stand auf und zwang mich, nicht auf die Uhr zu sehen. Da die Sonne hoch genug stand, um in mein Zimmer zu scheinen, war es sowieso viel zu spät. Ob ich zwei oder zweieinhalb Stunden zu spät kam, war nun auch egal. Also duschte ich in aller Ruhe, frühstückte vor dem Fernseher und trank einen Kaffee. Erst dann blickte ich auf die Uhr. Gleich halb eins. Als Angestellte hätte ich bei meinem Chef si­cherlich eine Abmahnung bekommen. Selbstständig zu sein, hatte also doch ein paar Vorzüge. Aber ich konnte Raphael nicht den ganzen Tag warten lassen. Ich musste also wohl oder übel den Walk of Shame auf mich nehmen und zu ihm fahren. Alleine der Ge­danke an den vielsagenden Blick, den er mir zuwerfen würde, ließ mich erröten. Wie peinlich, dass er mich nach oben hatte bringen müssen! Fast fand ich es schade, keinen Filmriss zu haben. Ich wusste noch genau, wie ich mich aus dem Taxi heraus übergeben hatte und dass Raphael mich ins Bett gebracht hatte. Und wie er mir diese süße Kindergeschichte seiner Mutter erzählt hatte. Aber ich hatte nur dagelegen und war eingeschlafen. Peinlich, peinlich.

»Es nützt nichts«, sagte ich zu mir selbst. »Die Villa der Schande wartet auf mich.«

Ich packte meine Sachen zusammen und ging zu meinem Wagen.

Es hatte geschneit! Und wie! Die Bürgersteige waren zentimeterhoch bedeckt, die Straßen hingegen waren matschig. Es hatte milden Frost und ich war froh, meine Winterreifen vor wenigen Wochen aufgezogen zu haben. Wir hatten hier um Weihnachten eigentlich nie Schnee. Vielleicht konnte ich ja tatsächlich auf weiße Weihnacht hoffen! In drei Tagen war es bereits soweit.

Ich fuhr die altbekannte Strecke zur Gloeckner-Villa langsamer als sonst. Zwei Unfälle in einer Wo­che konnte ich mir nicht erlauben. Die Landschaft war einmalig und bestätigte mir jedes Mal wieder neu, dass das hier meine Herzensheimat war. Die Felder und Wiesen waren schneebedeckt, der Himmel strahlend blau. Ich konnte kilometerweit in die Ferne schauen oder mir auf der anderen Straßenseite die eingeschneiten Bauernhäuser ansehen.

Ich bog in die Auffahrt zur Villa und parkte direkt vor der Treppe. Ein schwarzer Kleinwagen mit Ol­denburger Kennzeichen parkte dort ebenfalls. Ich stieg aus, griff nach meinem Arbeitskasten mit mei­nen Plänen, ein paar Farbtuben und feinen Pinseln und ging die Stufen hinauf. Gerade als ich klingeln wollte, öffnete sich die Tür.

»Dann bis nächstes Jahr«, hörte ich Raphael sagen.

Eine blonde Frau, etwa einen Kopf kleiner als ich, wäre fast in mich hineingerannt. »Frohe Weihn... oh! Entschuldigung.« Sie blieb stehen und machte mir Platz.

»Nichts passiert«, sagte ich freundlich und schob mich an ihr vorbei ins Innere. Raphael lächelte mich an. Ich konnte keinen Vorwurf oder Spott in seinem Gesicht ablesen.

»Auf Wiedersehen ...«, sagte die Frau und wollte noch etwas hinzufügen, aber Raphael schloss die Tür, bevor sie geendet hatte. Er trug einen teuer wirken­den Pullover, der passend auf seine Figur geschnitten war. Seine leuchtenden Augen fixierten mich. »Gut geschlafen?«

Er konnte es sich also doch nicht verkneifen.

»Es ist mir so peinlich«, fing ich an, aber Raphael lachte.

»Unsinn, das muss doch mal sein. Du glaubst nicht, was ich heute Morgen für Kopfschmerzen hatte. Elli musste mich quasi aus dem Bett klingeln. Tut mir leid, ich habe euch gar nicht einander vorge­stellt.« Er deutete mit einer Hand nach draußen in die Richtung der Frau, der er die Tür vor der Nase zuge­schlagen hatte. »Das ist Elli, unsere Haushaltshilfe.«

Liebe ist VertrauenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt