Die Stationierung eines Exempels

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R U D A L F , D E R _ H Ä S S L I C H E und D E R _ K L E I N E schreiten durch die Dunkelheit der späten Abenddämmerung. Der vergangene Tag leuchtet in nunmehr schwachem Violett zwischen den knorrigen Ästen des Gryndelwaldes hindurch. Ein zuerst schwaches, dann aber deutlich vernehmbares Summen vibriert in der kühl gewordenen Luft.

R U D A L F (in gewohnt lauter Stimme, leicht hochnäsigem Ton) : Der Phymenglöckner in den Händen der Sahlen! Was sagt man dazu?

D E R _ K L E I N E (vorlaut) : Würdet Ihr uns erzählen, wer der Phymenglöckner ist, so fiele mir sicher etwas dazu ein!

R U D A L F grunzt.

D E R _ H Ä S S L I C H E (mit der flachen Hand auf den Rücken des Kleinen schlagend, sodass dessen Glieder umeinanderpurzeln) : Nun, mein Freund, da haben wir's! Gebildet bist du auch.

D E R _ K L E I N E : Gebildet bin ich, wohl, wohl! Mit der Muttermilch schon habe ich die Mathematik des Kalligras und Myllaseis geschluckt, überhaupt war -

D E R _ H Ä S S L I C H E (ungeduldig) : Überhaupt war deine Mutter ein Hohlbuchenzwerg, eine bezeichnende Quantität Hirn kann also niemals in deinen vorlauten Schnabel geflossen sein.

D E R _ K L E I N E : Wiewohl sie die klügste Hohlbuchenzwergin des letzten Jahrdrüttels war. (andächtig) Ruhe ihre arme Seele in Frieden!

Das Summen wird lauter und klarer, schwillt schließlich an zu einem vielstimmigen Choral. Die drei Gestalten betreten den Rand einer großen Lichtung. In der Mitte brennt ein fröhliches Feuer, das tanzend und singend die drünfundsichzig Mannen des Lichterkönigs umgeben. Fast friedlich ist der Anblick ihrer schwebenden Schatten. Der rötliche Schein der Flammen spiegelt sich tausendfach in ihren Schwertern, Dolchen und Zwistäxten.

R U D A L F (die Stimme laut erhebend) : Wohlan! Mannen des Königs, unsere Zeit ist gekommen. Der Zahlenmeister hat entschieden. 

R U D A L F hält inne, bis er sich der Neugier aller Anwesenden sicher ist. Der Gesang verstummt, alle harren ihrer augenblicklichen Stellung. Zwei mal drünfundsichzig Augen hängen an ihrem Anführer.

E I N E R (ungeduldig aus der Menge rufend) : So sprecht!

Ein zweiter erhebt seine Stimme, ein dritter. Gemurmel regt sich.

R U D A L F (herrisch) : Schweigt!

Die Menge schweigt.

R U D A L F : Der Phymenglöckner benötigt unsere Hilfe. (kurze Pause) Er befindet sich im Kerker der Sahlen.

Die Menge stöhnt auf.

E I N E R (murrend) : Im Kerker der Sahlen wandelt der silberschwählige Gruhlenpfund. Sein Atemhauch verwandelt die Knochen jedes Feindes in feinstes Silber.

A N D E R E R (danebenstehend, lacht auf) : In feinstes Silber? Da komm' ich freilich mit!

E I N E R (dem anderen den Helm vom Kopf schlagend, der scheppernd zu Boden fällt) : Einfältiger Tor! Der Schädel wird dir vom Haupte fallen, darunter deine Füße zermalmen. Dich will ich rennen sehen, mit Blei in den Beinen!

A N D E R E R : Ha! Nun denn, so schneid' ich sie mir eben ab. (grinsend) 

Die Menge schweigt, die Augen einiger beginnen partiell zu zirkulieren. Jemand hustet.

E I N E R (entschlossen) : Ich scheiß' auf den Phymenglöckner!

Z W E I T E R (erst zögerlich) : Jawohl! (lauter werdend) Ich scheiß' auf den Phymenglöckner!

Ein dritter stimmt ein, ein weiterer, schließlich tobt die ganze Menge. 

M E N G E (einstimmig) : Wir scheißen auf den Phymenglöckner! (die Waffen hebend) Jawohl ja!

D E R _ K L E I N E (seine Stimme in der Masse untergehend) : Wer ist denn nun der Phymenglöckner?

R U D A L F (brüllend, rot vor Zorn) : Genug! Schweigt, wenn ich euch zu schweigen gebiete. (von einem Augenpaar zum nächsten wandernd, drohend in knurrendem Ton) Oder fordert ihr, dass ich ein Exempel stationiere?

D E R _ K L E I N E (noch über den Phymenglöckner grübelnd, einzelne Worte aufschnappend erhebt in Begeisterung seine Stimme) : Ein Exempel!

Alle schweigen, die Menge blickt furchtsam auf den Kleinen.

R U D A L F : So sei es denn! Wer gar freiwillig sein Schicksal wählt, erleichtert dem Täter die Seele. (auf den Kleinen zeigend) Ergreift ihn! 

D E R _ H Ä S S L I C H E ergreift ihn. Sein Grinsen enthüllt eine enttäuschend geringe Menge Zähne.

D E R _ K L E I N E (erblasst) : Zu Hülf! Es handelt sich um ein Irrverständnis!

R U D A L F : Beschäme dich nicht. Die Menge erwartet ein Exempel, ein grausiges Exempel, darum sei es so!

Die Menge johlt. D E R _ K L E I N E beginnt ob der ihn erwartenden Qualen zu weinen, Tränen durchnässen seinen Rauschebart. Man schiebt ihn fröhlich drängend immer weiter an das Lagerfeuer heran. Zwei starke Männer tragen einen gewaltigen Pfahl herbei, der senkrecht in die Erde geschlagen wird. Mit den Wurzeln einer Blutbirke bindet man das zappelnde Kerlchen an den Stamm, die Striemen schneiden sich tief in seine Haut.

R U D A L F (mit feierlicher Stimme) : Das Exempel ist stationiert!

Die Mannen des Lichterkönigs stimmen nun wieder zum Choral an, marschieren zu zweien gereiht am Pfahl vorrüber und verlassen Reihe um Reihe den vom Feuer erleuchteten Schauplatz. 

R U D A L F (kämpferisch) : So lasset uns denn den Phymenglöckner befreien! 

R U D A L F , D E R _ H Ä S S L I C H E und die Mannen des Lichterkönigs ab. F Y N N betritt die Szenerie, nunmehr geisterhaft tanzen seine Schatten über die verlassene Lichtung.

F Y N N (murmelnd, zu sich selbst) : Ein Feuer ohne Aufseher! Wenn Rudalfs Mutter das erfährt, wird sie brennen vor Wut. (nimmt ein leises Wimmern wahr) Nanu? Was ist denn das?

D E R _ K L E I N E (mit heiserer Stimme) : Heda! So helfet mir doch!

F Y N N (endlich den Mann erblickend) : Holla, die Waldfee! Man hat ein Exempel stationiert!

D E R _ K L E I N E (ungeduldig) : Na bindet mich schon los!

F Y N N (zögerlich) : Warum sollte ich das tun?

D E R _ K L E I N E (schluchzend) : Oh, bitte erspart mir die weitere Qual! Meine Mannen sind fort, und sie werden das Abenteuer ohne mich erleben! Oh, diese Schmerzen, dieses Stechen in meiner Brust! Man hat mich hier gelassen, zurück gelassen wie einen grauen Hund, der zu alt für den Kampf ist. Ich fürchte, ich versäume noch das Beste! Und wenn sie erst zurück sind ... scherzen werden sie über ihre Heldentaten, und ich werde ihre Witze nicht verstehen. (nachdrücklich, an den Jungen gewandt) Versteht ihr? Ich werde nicht mitlachen können. (weint bitterlich)

F Y N N (mitfühlend) : Ich verstehe euren Schmerz! Daher werde ich Euch losbinden, aber bitte versprecht mir, nicht davonzurennen.

D E R _ K L E I N E (eilig) : Ich verspreche es. 

F Y N N (ihn losbindend, ein Leuchten in seinen Augen) : Auf! Ihnen nach! Lasst sie uns jagen!

F Y N N und D E R _ K L E I N E spucken und spucken in das Lagerfeuer, bis die Glut erlischt. D E R _ K L E I N E greift sich eine auf dem Boden vergessene Zwistaxt, dann verlassen auch sie die Waldlichtung.

F Y N N (im Gehen) : Lasset das Abenteuer beginnen!

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Hach je. Auch ein Scherge des Königs bleibt von FOMO nicht verschont. Hätte ja nicht gedacht, noch am nächsten Tag an dieser Quatschgeschichte weiterzuschreiben, aber wohl habe ich Blut geleckt. Würde mich sehr über euer Feedback freuen, denn auch wenn sich das Kapitel recht schnell liest, sitze ich doch schon seit einigen Stunden hier und schreibe, lösche, schreibe. Gerne auch Kritik, damit kann ich besonders gut umgehen. (Nein ehrlich, ich muss das lernen also haut raus.) Danke fürs Lesen und schönen Abend noch!

Abenteuer aus dem GryndelwaldWhere stories live. Discover now