Eine Aufgabe

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F Y N N - ein abenteuerlustiger Junge in Matrosenkleidung, mit Sommersprossen und güldenem Haar, das in Wellen unter einer schiefen Schirmmütze hervorquillt. Ein verschlagener Ausdruck liegt in seinen Zügen.

G W E N D A L L - die Last eines langen Lebens liegt auf seiner Schulter, die ungewöhnlich dürre Statur verleiht ihm das Aussehen eines wackeligen Garderobenständers. Auf der überaus spitzen Nase balanciert ein schlecht geputzter Nasenzwicker, den er immer wieder zurecht rückt. Seine Lippen verziehen sich bei jedem Wort zu einem leichten Kräuseln.

G W E N D A L L buckelt bei Flammenschein einer niedergebrannten Kerze in seiner Erdhöhle unter den Wurzeln einer Eiche. Wachs läuft über den Tisch und tropft zu Boden. Da ertönen von oben hohl die eiligen Fußstapfen F Y N N S , der im nächsten Augenblick am unteren Ende der knorrigen Wendeltreppe erscheint. Gwendall blickt auf.

G W E N D A L L (mit langsamer Stimme) : Was ist dein Begehr?

F Y N N (in leichter Aufregung) : Ich bin müde, doch kann ich nicht schlafen.

G W E N D A L L (abweisend) : Nachtruhe wirst du hier nicht finden.

F Y N N : Das ist mir wohl bewusst. (setzt eine Miene auf, als zitiere er einen weisen Propheten) Wen der Schlaf meidet, der muss sein Glück im Gegenteil suchen.

G W E N D A L L blickt nachdenklich drein. Schließlich überfliegt er mit der Nase am Papier eine lange Liste, die auf seinem Pult liegt. Unten angelangt beginnt er von neuem, doch auch auf den zweiten Versuch findet er das Gesuchte nicht.

G W E N D A L L (zögernd) : Ich befürchte, dass ich diesmal nichts für dich habe.

F Y N N: Was?

G W E N D A L L : Sehr wohl. Heute Nacht gibt es nichts für dich zu tun. Nun geh, und lege dich schlafen.

F Y N N : Aber ... ich kann nicht schlafen.

G W E N D A L L nimmt einen tiefen Zug der staubigen Luft. Sein Buckel hebt sich um ein beachtliches Stück, dann fällt die Figur wieder in sich zusammen.

G W E N D A L L (langsam beginnend) : Es tut mir Leid, mein Junge, aber diese Liste ist alles, was ich heute Abend erhalten habe. Rudalf und die Mannen des Lichterkönigs werden jeden Augenblick hier sein, und wenn ich ihnen nichts zu bieten habe, werden die blutrünstigen Knaben mein Stübchen in Flammen setzen. Und das Übrige dieser Liste -

F Y N N (eifrig) : Ja, was ist mit dem Übrigen?

G W E N D A L L zieht nachdenklich seine weißen Brauen zusammen und betrachtet ihn mit väterlichem Blick.

G W E N D A L L : Das Übrige ist nichts für dich, mein Junge.

F Y N N : Aber -

G W E N D A L L : Keine Wiederrede. Ab nach Hause!

F Y N N rührt sich nicht von der Stelle und schweigt. Da beginnt er, mit seinen Füßen auf und ab zu wippen, und ein träumerischer Gedanke erglüht in seinen Augen.

F Y N N : Erinnert Ihr Euch an den gefleckten Säbelwahntiger? Das war vielleicht ein starkes Stück! Oder der siebenköpfige Hippotaurus ... um ein Haar hätte mich seine Kralle in den Boden genagelt. Wenn nicht der -

G W E N D A L L : Genug! Es ist nicht recht, dass du dich meinethalben unnötig in Gefahr begibst. Das Übrige dieser Liste nämlich ist entweder bereits vergeben oder betrifft die fünf Hologryphen. Und du kennst sehr wohl den Grund, warum sich für letzteres kein Abnehmer findet.

F Y N N (erfürchtig, flüsternd) : Die Hologryphen! 

F Y N N S Blick weitet sich, seine Augen beginnen zu leuchten. 

F Y N N : Oh, ein Schwert nur bräuchte ich, eine eherne Rüstung ...

Schlagartig, wie ein plötzlich aufziehendes Gewitter, verändert sich der Ausdruck in G W E N D A L L S Gesicht. Seine Nasenflügel beginnen zu zittern, die dunklen Augen färben sich tiefschwarz.

G W E N D A L L : Törichter Junge, schweig! Dein Vater hat nicht mit seinem kostbaren Leben geblutet, auf dass du dein eigenes für billig Los verwettest. (freundlicher) Nun geh, gib deiner guten Mutter einen Nachtkuss. Der Schlaf wird dich zur rechten Zeit finden.

F Y N N (trotzig) : Und wenn Ihr mir schon nicht die Hologryphen überlasst, so warte ich eben auf Rudalf und schließe mich seiner Bande an!

G W E N D A L L will gerade etwas erwidern, da werden plötzlich Stimmen laut und es erscheint der Teufel, von dem die Rede ward. R U D A L F , ein unrasierter großer Haudegen, und zwei seiner Kumpanen, die sich gerade lauthals über irgendeinen Witz das Zwerchfell zerreißen, treten in die kleine Stube. Mit einem Male wirkt der Raum sehr eng.

D E R _ K L E I N E (erregt, seine Stimme vor Lachen überschlagend) : ... und dann, und dann, dann hat er das Schwert gepackt und es in sein Herz gerammt, sodass das Blut aus ihm gesprudelt ist wie der Brunnen der Jungfräulichkeit.

D E R _ H Ä S S L I C H E gluckst, als wolle er das Gesagte mit einem derben Kommentar versehen, doch R U D A L F gibt ihm einen Stoß. 

R U D A L F (an G W E N D A L L gewandt) : Nun denn, mein alter Freund ... sprich! Womit füllst du heut' das Begehr dieser einsamen Seelen? (grinsend)

G W E N D A L L (kurz angebunden) : Der Phymenglöckner benötigt eure Hilfe. Ihr findet ihn im Kerker der Sahlen. (presst die Lippen aufeinander und wendet sich wieder seiner Arbeit zu)

R U D A L F ( F Y N N erblickend, immer noch ein Grinsen im Gesicht, spielt mit einem Dolch in seiner Hand) : Ein Abenteuer und ein Held! Davon kannst du heute Nacht nur träumen! 

Mit der Spitze der Klinge vor dem Jungen herumfuchtelnd hält er für einen Moment inne, F Y N N fröstelt. Er findet R U D A L F unheimlich. Nicht, weil der Mann so groß ist, sondern weil er unberechenbar handelt. Die Frauen im Dorf fürchten sich vor ihm, jede weiß ihre eigene grausige Geschichte von ihm zu erzählen. Einmal hatte ihn ein Kneipengeselle in seiner Trunkenheit unsanft gepackt, woraufhin R U D A L F ihm die Hand mit dem Schwert abschlug. Zurecht!, wäre die Stimme seiner Verteidigung gewesen.

R U D A L F (sich losreißend, erhebt seine dröhnende Stimme) : Auf, auf, mein Heer, in den Kampf!

Mit euphorischem Gebrüll stürmen die Kerle die Treppe hinauf, mit einem Knall schließt sich die Luke und plötzlich ist es gespenstisch still in Gwendalls Kämmerchen. Der alte Mann zuckt nur mit den Augenbrauen, als gefalle ihm die Geschichte nicht, da erwacht F Y N N aus seiner Starre und springt ebenfalls die Stufen empor, den Männern hinterher.

G W E N D A L L setzt an, ihn zurückzurufen, da ist der Knabe auch schon verschwunden. Die Luke knallt erneut, bringt die Luft zum Erzittern und erlöscht schließlich Gwendalls Kerze. Finsternis.

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Was ist denn mit mir passiert? Aus Langeweile hab ich mich an den Laptop gesetzt, um seit Ewigkeiten mal wieder zu schreiben. Keines meiner alten Drafts hat mich wirklich angesprochen, und so habe ich eben frei drauf los improvisiert. Jetzt ist es spät in der Nacht und irgendwie habe ich das unstillbare Bedürfnis, mein seltsames Dialog-Stück (das gegen Ende doch mehr in Richtung Erzählung rutscht) mit euch zu teilen, bevor ich mich endlich zu Bett begebe. Schlafen können werde ich allerdings sehr gut!

Abenteuer aus dem GryndelwaldWhere stories live. Discover now