Kapitel eins - Wisst ihr wer?

63 11 2
                                    

Nachdem Lord Voldemort die zwei mächtigsten Auroren, die es zurzeit in England gab, höchstpersönlich ermordet und deren Sohn James Potter als Waise zurück gelassen hat, würde nichts mehr so sein wie es einmal war.

„Hey, Lily!", begrüßte Chantal Finnegan ihre beste Freundin, als diese kurz vor der Abfahrt ihr Abteil erreichte.

Lily war froh, dass Chantal sie in die Arme schloss, aber spürte, dass sich selbst die Umarmung ihrer Freundin verändert hatte. Sie begrüßte sie nicht mehr überschwänglich und stürmisch. Nein, ruhig war sie aufgestanden und hatte sie erleichtert in die Arme geschlossen, als wollte sie sagen Gut, dass dir nichts passiert ist. Wahrscheinlich sahen in diesen angstvollen Tagen alle freundschaftlichen und Liebesgesten aus. Denn niemand wusste, wer der nächste auf Voldemorts Liste war.

„Hallo, Chantal. Wie geht's dir?", fragte Lily und setzte Mercutio in seinen Katzenkorb, wo er sich friedlich zusammenrollte und die Augen vor der Realität verschloss. Lily hörte Chantal seufzen und setzte sich ihr gegenüber, um sie besorgt anzublicken.

Chantal wirkte sichtlich müde und angeschlagen. Und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Ihre Eltern waren eng mit den Potters befreundet gewesen. „Nun, mir geht's relativ gut. Ich mache mir nur Sorgen um meine Eltern. Vor allem meine Mutter nimmt das alles sehr mit. Vivian war eine sehr gute Freundin von ihr", sagte sie leise und starrte vor sich hin. Das Bild ihrer trauernden Mutter vor Augen.

Lily schluckte und lehnte sich unbehaglich zurück. Mehr brauchte Chantal nicht zu sagen. Vivian Potter, war zusammen mit Chantals Mutter in Hogwarts gewesen und sie haben zusammen studiert.

Sie holte tief Luft. Es half nichts, wo sie auch hinging verfolgte sie der Tod der Potters. Sie hatte gehofft in Hogwarts ein wenig Abstand zu finden. Aber sie hätte es besser wissen müssen. Wie konnte sie das erwarten, wenn der Sohn der Potters auf ihre Schule ging, in ihren Jahrgang, in ihr Haus. Überall waren bedrückte, angespannte und angsterfüllte Gesichter zu sehen. Lily wusste nicht, wie sie dem standhalten konnte. Sie war doch noch so jung und musste sich mit solchen Gefahren auseinandersetzen. Eigentlich war sie lebensfröhlich und nur selten schlecht gelaunt. Aber gerade, weil sie so eine fröhliche Natur war, fiel es ihr schwer, sich bei all den Depressionen, Ängsten, Verzweiflungen und Befürchtungen noch zu motivieren oder sich aufzumuntern.

„Lily!", flüsterte Chantal plötzlich scharf und zeigte mit vorgehaltener Hand auf ihre Abteiltür. Erschrocken drehte sich Lily zur Seite und konnte durch das Fenster der Schiebetür gerade noch vier Gestalten vorbeigehen sehen. Sie hielt die Luft an. Genau hatte sie die Leute nicht gesehen, aber sie wusste, dass es die Rumtreiber gewesen waren.

Im Nachhinein spürte Lily plötzlich, dass sie James gerne erkannt hätte. Sie hätte gerne gewusst, wie es ihm geht. Sie hätte ihm gerne angesehen, dass es ihm gut geht.

„Lily!", meinte Chantal erneut, etwas lauter dieses Mal und Lily ertappte sich beim Tagträumen. Hoffentlich würde Chantal nicht die aufsteigende Röte in ihrem Gesicht bemerken, denn mit einem Mal schämte sie sich dafür, an James Potter gedacht zu haben.

Sie blickte mutig in das fragende Gesicht ihrer Freundin und war erleichtert als sich deren argwöhnischer Blick verflüchtigte. „Du bist also Schulsprecherin geworden?", fragte sie schließlich und Lily atmete erleichtert auf. Darüber könnten sie gerne reden.

Lily nickte mit einem sanften Lächeln: „Ja, ich war so froh und überrascht, als ich das Abzeichen erhalten habe." Chantal grinste: „Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass du nicht genauestens auf dieses Ziel zu gearbeitet hast und nicht wusstest, dass du es sein würdest?", fragte sie mit einer Spur der Ironie in ihrer Stimme. Lily rollte nur mit den Augen und winkte ab.

„Weißt du, wer Schulsprecher ist?", entgegnete Lily stattdessen und hoffte, dass Chantal es wissen würde. Doch sie schüttelte den Kopf. „Ich vermute mal Remus ist es. Er war ja schon Vertrauensschüler in der fünften und passen würde es auch", schlussfolgerte Chantal und blickte angestrengt zur Decke, um all die anderen Möglichkeiten durchzugehen.

Lily blickte auf ihre Uhr und musste feststellen, dass sie bereits im vordersten Abteil erwartet wurde. Sie entschloss sich schweren Herzens dennoch bei den Rumtreibern vorbeizuschauen, um Remus abzuholen, falls er noch nicht vorne war. Sie stand auf und verabschiedete sich für wenige Momente von ihrer besten Freundin.

Umso weiter sie durch den Zug lief, umso mulmiger wurde ihr zu Mute. Sie musste nicht anhalten und Remus abholen. Aber es wäre unhöflich gewesen, ihn nicht daran zu erinnern, falls er noch bei seinen Freunden sein sollte. Was wenn sie sich irrte? Remus gar nicht Schulsprecher war? Lily schüttelte den Kopf. Unwahrscheinlich. Innerlich ohrfeigte sie sich für ihre Furcht. Sie hatte doch gar nichts zu befürchten. Sie war nicht Schuld an dem Tod der Potters und doch wusste sie nicht, wie sie ihnen entgegen treten sollte.

Instinktiv lief sie weiter nach vorn. Die vier saßen fast immer im selben Abteil und waren bis zum anderen Ende des Zuges zu hören, aber heute war es auf den Gängen verdächtig ruhig. Draußen regnete es und es war demzufolge auch entsprechend dunkel. Dann kam sie zu dem verheißungsvollen Abteil und hörte auch hier nicht mehr – wie sie für einen kurzen Augenblick gehofft hatte. Nein, sie würde doch nicht anhalten – oder?

„Hey, Lily!", wurde sie plötzlich begrüßte und erschrocken blickte sie auf. Sie war stehen geblieben und in diesem Moment musste Peter Pettigrew sie gesehen und die Tür zur Seite geschoben haben. Etwas verunsicherte drehte sie sich den vieren zu und wartete schon auf das Schlimmste. Aber sie atmete erleichtert auf, als sie bemerkte, dass James nicht bei ihnen war.

Also hatte sie noch etwas Zeit sich zu überlegen, wie sie James gegenübertreten könnte. Sie wusste es wirklich nicht. Denn sie glaubte auch nicht, dass es angemessen war in ihrer gewohnten Manier mit ihm zu reden, was gewöhnlich darin bestand sich gegenseitig zu beleidigen. Auch wenn er sie offensichtlich die letzten Jahre gemocht hat, so hielt ihn das nie davon ab, ihr direkt zu sagen, was er manchmal von ihr dachte. Auch Sirius Black, der, wenn die verschiedenen Nachnamen nicht wären, als sein siamesischer Zwilling durchgehen würde. Die beiden kannten sich schon ewig und hingen ständig zusammen rum. Selten, dass man sie mal getrennt sah – so wie jetzt.

Lily wollte sich gerade fragen, wo James eigentlich war, als ihr wieder Remus einfiel. Mit ihm und Peter konnte man in bestimmten Momenten noch normal reden. Wenn Peter denn mal ein Wort zu anderen verlor und mit Remus, wenn die Rumtreiber mal eine ruhige Phase hatte oder er allein war.

Er war sehr verantwortungsbewusst und manchmal wusste Lily nicht, warum er sich mit den drei anderen abgab. Aber das sollte jetzt nicht ihr Anliegen sein.

Sie blickte ein weiteres Mal durch das Abteil. Peter saß vorne an der Tür. Ihm Gegenüber saß Remus, der sie höflich anlächelte, sich aber schnell wieder seinem Buch widmete. Neben Peter saß der berühmtberüchtigte Sirius. Doch Lily erschrak, als sie ihn erblickte. Er würdigte sie keines Blickes, sondern starrte nur auf den Platz ihm gegenüber und schien sehr besorgt. Lily folgte seinen Blick und fand die Ursache. Er starrte auf James' Platz. Seine Sachen lagen dort. Ein Quidditchmagazin, von dem er jede Ausgabe seit der 1. Klasse sammelte. Er hatte einmal mit Sirius darüber geprahlt. Sonst wüsste Lily wahrscheinlich nichts von seiner Sammlung. Außerdem lag sein Brillenetui auf dem Sitz. Er war der einzige mit einer Brille, folglich musste es ihm gehören.

Erneut ohrfeigte sich Lily, als sie sich schon ein zweites Mal an diesem Tag beim Tagträumen entdeckte. „Hallo. Remus, bist du Schülersprecher? Denn wir werden vorne erwartete um die Vertrauensschüler einzuweisen.", sprudelte es aus hier heraus und wenn Remus nicht den Kopf geschüttelt und sie damit geschockt hätte, dann wäre es ihr peinlich gewesen. Stattdessen fragte sie sich, wer es denn dann sein könnte.

„Wisst ihr wer es ist?", fragte sie, als sie den ersten Schock verarbeitet hatte, doch der nächste folgte, als Sirius seinen Arm ausstreckte und auf James' Platz zeigte.

Ich verfasse dein Leben in WorteWhere stories live. Discover now