2 - Diabeteskaffee

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Die Woche verging wie im Flug und bevor ich mich versah war es Freitag und ich hatte mit Trey, meinem Lieblingskollegen und Leidensgenossen, den Job gefasst die Akten zu sortieren. Es war die wohl langweiligste Arbeit die wir zu bieten hatten. "Ich kann nicht mehr", hörte ich Trey stöhnen, während er gleichzeitig zwei Meter vor mir in den Gang taumelte und sich theatralisch zu Boden sinken ließ. Alle vier seiner dünnen Glieder von sich gestreckt lag er da und atmete als wäre er gerade mindestens zehn Kilometer gelaufen. Dabei war mein Aktenwagen deutlich weniger voll als seiner.
"Wenn Monsieur Lee dich so sieht wird er dich bestimmt Köpfen lassen", drohte ich ihm und benutzte mit Absicht die französische Anrede. Wir machten uns manchmal etwas lustig über Mr. Lees übertrieben Stereotypisches Franzosengehabe.
"Oh weh, holde Maid so helfet mir der Strafe zu entkommen", flehte Trey in einem hochgestochenen Ton und streckte theatralisch seine knochige Hand nach mir aus. Trey und ich hatten am ersten Arbeitstag begriffen dass wir auf derselben Wellenlänge einen Schaden hatten und uns auf Anhieb verstanden. Es fühlte sich an als hätten wir uns schon immer gekannt.
"Oh edler Ritter, das kann ich nicht solange ihr euch hier niederlegt", stieg ich sofort auf sein Spiel mit ein. Ich ging zu ihm hin und ergriff seine Hand. "Kommet wir wollen uns an Speis und Trank gütlich tun", schlug ich vor da mein Magen bereits seit einer halben Stunde knurrte. 
Sofort saß Trey aufrecht, umfasste meine Hand mit seinen und strahlte übers ganze Gesicht.
"Wundervoller Einfall, gehen wir Sushi essen?", fragte er erwartungsvoll. Das fragte er jeden Mittag.
"Fragen wir doch Michele." Das war meine Antwort jeden Mittag. Ich zog ihn auf die Füße und half ihm seine Klamotten vom Staub zu befreien. Trey überragte mich um beinahe einen ganzen Kopf, auch wenn ich mit meinen eins Siebzig nicht gerade klein war. Auch wenn ich wettete das Trey gleich schwer war wie ich, wenn nicht noch leichter. Er war nicht gerade für seine Muskelkraft bekannt.
"Michele sagt bestimmt nein", maulte Trey. Ich sagte auch immer nein und das wusste er. Sushi war einfach nicht mein Ding.
"Komm wir suchen sie, wir haben nachher noch genug Zeit das hier zu erledigen", ich wies auf die Regale um uns herum.
"Wie recht ihr habt Holde Maid", flötete Trey und bot mir seinen Arm, welche ich lachend annahm. Wir hüpften zum Ausgang wo sich Trey verbeugte und mir den Vortritt ließ. Kichernd machten wir uns auf den Weg um Michele ausfindig zu machen. Sie war etwas verhaltener, fand uns meistens etwas zu kindisch und war nicht selten unsere Stimme der Vernunft. Dennoch verstanden wir uns alle sehr gut.
Michele war gerade dabei Anmeldungen zu sortieren, als wir sie abholten. Die blondierten Zapfenlöckchen hatte sie zu einem massigen Knoten auf dem Kopf gebunden. Wieder einmal beneidete ich Michele um ihre afrikanischen Wurzeln und die optischen Vorteile die es mit sich brachte. Ihr Vater hingegen war soweit ich wusste aus Irland, was den warmen, mandelfarbenen Ton ihrer Haut erklärte.
"Michele Schatz, gehen wir Mittagessen?", begrüßte Trey sie und schlang ihr einen Arm um die Schulter. Das sah ziemlich witzig aus, da Michele ihm gerade mal bis zur Schulter ging. Sein blau gefärbtes Haar biss sich sofort mit ihrem orangen Oberteil.
"Klar, lass mich das nur kurz fertig machen", sagte sie und sortierte weiter.
"Können wir Sushi essen gehen?", bettelte Trey ohne auf sie einzugehen und Michele verdrehte die Augen.
"Nein, Trey!", sagte sie bestimmt und legte ihre Papiere auf einem Stapel ab. Belustigt betrachtete ich die Beiden. Es war alles wie immer.

Trey schmollte immer noch als wir bereits beim Italiener saßen und ließ sich erst durch den süßen Kellner ablenken. Wir aßen Pizza und tauschten uns über die Woche aus.
„Was ist eigentlich mich den dunklen Augenringen Smithy? Hattest du gestern etwas zu lange Spaß?", fragte er anzüglich und spielte damit auf sein Lieblingsthema an. Sex. Ich verdrehte die Augen. Trey wusste ich redete ungern über mein Sexleben und das ich den Namen Smithy nicht mochte, aber es war ihm herzlich egal. Ich konnte Trey nicht erzählen dass mein Sexleben gänzlich unspektakulär war und ich gestern Abend lediglich eine ganze Kanne Tee getrunken hatte. Durch den Tee war ich in der Nacht aufgewacht weil ich zur Toilette musste. Natürlich hatte ich danach nicht wieder einschlafen können und hatte mich gefühlt ewig lang hin und her gewälzt. Ganz Klassisch hatte ich am Morgen meinen Wecker verschlafen und wäre beinahe zu spät gekommen. Was die nicht so professionell abgedeckten Augenringe erklärte.
Da ich das aber nicht mit Trey in einem Restaurant zur Mittagszeit besprechen wollte, oder überhaupt, zwinkerte ich ihm nur verschwörerisch zu und fragte Michele nach ihrem Sohn. Sie erzählte uns dass sie nun endlich einen Platz im Kindergarten für ihren kleinen Arthur gefunden hatte. Zwar war sie nur ein Jahr älter als ich, war aber früh schwanger geworden und hatte bereits einen Dreijährigen zuhause. Wie sie da noch ein Studium hingekriegt hatte und nun einen Vollzeitjob lag mir fern. Ich schaffte es ja nicht einmal mir rechtzeitig Kontaktlinsen zu bestellen.

Den Rest des Tages verbrachten Trey und ich damit Akten zu sortieren.
"Ich bin so froh habe ich morgen keinen Samstagsdienst!" Trey schlüpfte in seinen Mantel und sah ehrlich erleichtert aus.
"Wie schön für dich", brummte ich ihn an. Wir hatten alle drei Wochen abwechslungsweise einen Samstagsdienst zu leisten und dafür unter der Woche einen Tag frei. Den freien Tag den ich beim letzten Mal mit Eleanor verbracht hatte um einen reichen Computertypen zu suchen.
"Ach mein armes Baby!" Trey nahm mich in den Arm und drückte mich, mit der Nase voran, fest an seine muskelfreie Brust.
"Bäh!", sagte ich als er mich endlich losließ und ich die Flusen seines grauen Pullis ausspuckte. Trey wuschelte mir durch die Haare und lud sie damit statisch auf.
"Viel Spaß Liebes, wir sehen uns Montag. Außer du magst am Samstag was trinken gehen, du weißt ich bin immer dabei!" Er wackelte die Hüften und zwinkerte bevor er in Richtung der Busstation verschwand. Trey war eine Partymaus und immer dabei wenn es ums feiern ging. Bisher hatte ich mich noch nie überreden lassen, hatte ihm aber fest versprochen mal mit ihm mitzugehen.

Zuhause angekommen ging ich direkt in den Friseursalon meiner Mutter, direkt unter unserem Haus. Mrs. Jenkins, unsere Nachbarin winkte mir durchs Fenster zu und erkannte mich heute anscheinend ausnahmsweise einmal anstatt mich wieder mit ihrer Freundin Betty zu verwechseln. Da meine Mutter gerade eine Kundin hatte, grüßte ich nur höfflich und machte mich daran die Utensilien, welche meine Mutter nicht mehr gebrauchte, zu reinigen. Das war der Deal. Ich half bei der Arbeit mit und musste dafür keine Miete für mein Zimmer bezahlen. Leider war ich keines dieser verwöhnten Einzelkinder dessen Eltern ihm jeden Wunsch von den Augen ablasen.
Jeden Abend half ich meiner Mutter beim Aufräumen und wenn ich Zeit hatte übernahm ich am Samstag auch ein oder zwei Kunden von ihr. Mit der Zeit hatte mir meine Mutter nämlich einfachere Schnitte beigebracht und ich durfte von mir behaupten dass ich es ganz gut konnte.

Beim Aufräumen fragte meine Mutter mich was ich am Wochenende so vorhatte. Ich erzählte ihr dass ich morgen arbeiten würde und danach hoffentlich Zeit bei Tom verbringen konnte. Während ich Ablagen abwischte überlegte ich mir dass ich dieses Wochenende ein wenig Romantik aufbringen könnte um am Montag nicht wegen Tee Ringe unter den Augen zu haben.
Als wir den Laden aufgeräumt hatten, gingen wir über die Treppe im Hinterzimmer nach oben wo Dad uns bereits mit einem Kartoffelauflauf empfing. Dad arbeitete in einem Hotel als Personalchef und hatte ein unglaubliches Faible zum Kochen das er an mich weitervererbt hatte. Dank seiner Arbeit hatte ich einen Teil meines Studiums mitfinanziert, da ich immer mal wieder an größeren Banketts als Servicehilfskraft arbeiten konnte. "Magst du nachher die Doku über die neuen McLaren Wagen für die kommende Saison mit mir anschauen?", fragte Dad als ich mir ein weiteres Mal Auflauf nahm. Das war ein weiteres Faible das ich von meinem Dad übernommen hatte. Seit klein auf sah ich mir mit Dad die Rennen der Formel 1 an und fieberten jede Saison an den Grand Prix für das McLaren Team mit. Natürlich nur vor dem Fernseher da wir uns kein Ticket zum echten Rennen leisten konnten.
Ich seufzte enttäuscht. "Ich kann nicht", sagte ich. Hannah, die Sekretärin, hatte mir nach dem Mittagessen einen Hefter in die Hand gedrückt und mir geraten es mir bis morgen gut anzuschauen da es sich um einen wichtigen Kunden handle. "Ich muss noch was für die Arbeit tun." Dad wirkte genauso enttäuscht wie ich es war. "Dann werde ich es dir aufzeichnen damit du es dir noch ansehen kannst", sagte Dad bestimmt. Ich lehnte mich an ihn. "Danke Dad."
„Ihr seid unglaublich", kommentierte meine Mutter die den ganzen Fus um Autos die auf Teer im Kreis fuhren nicht verstand.

Nach dem Abendessen übernahm ich den Abwasch und setzte mich danach mit meinen Unterlagen an meinen Schreibtisch. Zwei Stunden später legte ich den Hefter hin, war sicher mir das meiste eingeprägt zu haben und ging ins Bett.

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©2020 by keeaty

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