Erwachen

24 8 1
                                    

Es war die Leere, die mir als erstes auffiel, als ich die Augen wieder geöffnet hatte. Dann der Staub und das trübe Licht, einer scheinbar unendlich weit entfernten Sonne. Ein Schmerz und die Erkenntnis, dass ich noch am Leben war gesellten sich rasch zu den anderen unangenehmen Empfindungen meines verlorenen Seins dazu.
Sofern es mir möglich war, ließ ich meine Augen über die Trümmerlandschaft vor mir schweifen. Bröckelndes Gestein, grauer Fels und zersprungene, rote Ziegel bildeten ein Mosaik der Verwüstung zu meinen vom Staub schwarz befleckten Füßen. Die hellen, unnachgiebigen Strahlen der Sonne begannen mich, wie kleine Folterknechte zu umhüllen. Sie bahnten sich von weit oben ihren Weg durch die von Dreck, Sand und Ruß erfüllte Luft, nur um mir unnachgiebig in die empfindlichen Augen zu scheinen. Für einen Moment, nicht länger als ein gewöhnlicher Atemzug, raubten sie mir den Überblick, über die zerstörte Welt die vor mir lag.
Erst als ich mich einigermaßen an die Helligkeit gewöhnt hatte, konnte ich erkennen, welch Schrecken, oder welch Schönheit vor mir lag. Aus Trümmern erbaute Haufen, vom Gestein geformte Bauten, vom Blut einer Fremden Seele getränkte Felsen, alles verstreut zu meinen Füßen. Ein Schlachtfeld, nein vielmehr ein namenloses Massengrab, welches sich um mich herum aufbaute.
Ich erblickte, in der Gunst des sich legenden Nebels der Zerstörung, zertrümmerte Häuser, ausgerissene Zäune und gesprengte Wege. Ich sah, schwarze Asche niederregnen, wie Schnee an Weihnachten, auf in rot getränkte Erde. Ich erspähte, unter den Resten von Mauern und Wegen, leblose Körper, die zerquetscht oder verbrannt wurden. Manch einem fehlten sämtliche Gliedmaßen, und nur der Anschein eines Torsos ragte unter einem schweren, aschebedeckten Geröllhaufen hervor.
Mein Körper sollte zu zittern beginnen, so kannte ich es, wenn einen die Angst überkam, doch ich blieb stehen, mitten in meinem Zentrum aus Asche, Blut und Staub. Zwei, drei Atemzüge brauchte es, und ich nahm mehr wahr, als nur das Gesehene Bild einer Schlacht, eines Friedhofes, einer Katastrophe. Es dauerte diesen kurzen Augenblick des Atmens, bis ich den beißenden Geruch um mich herum empfing. Ein Geruch von trockener Erde, verbrannten Gras und faulenden Kadavern. Eine Sinnesraubende Mischung aus metallischen Eisen, gegarten Fleisch und verkohlten Stoffen. Mit jedem Atemzug in dieser zerstörten Umwelt, spürte ich immer deutlicher, wie die Ascheflocken sich sanft auf meine nackte Haut legten, und ein kühler Wind den Dreck und Staub unaufhaltsam auf meinen Körper legte. Ein leichtes Kribbeln, eine Gänsehaut, überkamen mich, bei jedem weiteren leichten Luftzug, der die Grauen des Momentes an mich heran trug.
Ich sah, ich spürte und ich hörte die schrecklichen Bilder um mich herum. Ich hörte, ein Knistern der nicht erloschenen Flammen in der Ferne, hörte ein dumpfes Aufschlagen von Stein auf weiterem Stein, ein Absplittern kleiner Kiesel und helles Klick, wenn sie auf eine untere Ebene trafen. Ich war gezwungen, dem stetigem tropfen des Blutes zu lauschen, welches von einer erhöhten Stelle auf den sandigen Untergrund traf. Ich konnte meine Ohren nicht verschließen, vor dem lieblichen prasseln der Sandkörner, die durch den Wind aufgewirbelt wurden, und immer wieder neu auf die Trümmer niederregneten.

War es nun die Angst, über das was ich vor mir sah, oder die Angst über die Leere, die mich schließlich überkam, als ich das Gefühl in meinen Beinen verlor und meine Knie nachgaben. Gleichsam der Ascheflocken sank ich zu Boden und schloss für einen mir ewig erscheinenden Moment die Augen. Mit der schwärze und der Ruhe kamen dann auch endlich die Fragen, die ich mir hätte schon vom ersten Atemzug her stellen sollen.
Was war um mich herum geschehen? Wie konnte so etwas geschehen? Wie kam ich an diesen Ort der Zerstörung? Und vielleicht für mich am wichtigsten erscheinend, wer war ich?

Die Leere, welche mich mit Angst erfüllt hatte, galt nicht der Leere, die sich um mich herum ergab. Um mich herum war es nicht leer, die Luft war gefühlt mit Staub und Dreck, der Boden mit Blut und Stein. Nur in mir drinnen war diese Leere, die sich dadurch nicht füllen ließ.
Eine unerträgliche Leere, die mir mehr Angst machte, als die Tragödie, die sich außerhalb meines Geistes abspielte. Ich wusste nichts, was älter war, als der Moment an dem ich zum ersten Mal das Massengrab und die Ruinen vor mir sah. Ich konnte nicht weiter zurück denken, als bis zum ersten Atemzug, der mit Asche und Staub und Dreck befüllt durch meine Lungen gesickert war. Das letzte Geräusch, an welches ich mich erinnerte, war zugleich das erste. War die Stille, das Rieseln und Tropfen, der schrecklichen Gegend, in der ich erwacht war.
Mich hatte nicht der taube Geschmack eines Traumes begleitet, als ich in dieser Welt das erste Mal die Augen aufgeschlagen hatte. Und was mich verwunderte, ebenso wenig der von bitterem Eisen, trockener Erde oder staubiger Asche. Meine Füße waren dreckig, meine Arme und Beine auch. Von der scheinbaren Zerstörung gefärbt. Ich war nackt, kein winziger Fetzen Stoffes bedeckte mein Anblitzt, aber vor wem hätte ich es auch bedecken sollen? Die Menschen, die hier einst lebten waren nicht mehr, und scheinbar war ich auch nicht mehr.
Ich kannte keinen Namen, keine Augenfarbe, keine Sprache, keinen Klang meiner Stimme, keinen Haut Ton, den ich wohl einst gehabt hatte. Ich sah keine Haarfarbe, ich sah nur schwarze Asche und bräunlichen Staub der meine Haut sanft wie ein Kleid bedeckte.
Vorsichtig, während ich immer noch am Boden hockte, zu schwach um mich erneut auf zu richten, hob ich meine Hände in mein Sichtfeld. Lange schmale Finger, verschmutzt und mit schwarzen Fingernägeln gesäumt, ragten an einer ebenso dürr scheinenden Hand.
War ich schlank oder nur ausgemerzt, durch das was passiert war? Ich wusste es nicht.
Unendlich langsam, wie es mir selbst vorkam, stemmte ich mit der rechten Hand aufs rechte Knie gestützt, meinen Körper wieder in eine aufrechte Lage. Es schien, als wäre die Zeit um mich herum stehen geblieben. Noch immer brannte die Sonne, hell und warm von oben herab, sie schien so falsch wie ich an diesem Ort, der nur aus Tod und Verwüstung bestand, und gar keine Wärme oder Licht verdient hätte.
Sollte ich versuchen diesen grausamen Ort zu verlassen, oder wäre es sogar sinnvoller in mitten all der Ruinen, Steine, Scherben und Toten nach weiteren Hinweisen zu suchen?

--> Ich werde den Ort verlassen, und in einem anderen Gebiet nach Hinweisen suchen, die mich vielleicht weiter bringen werden.
Weiter lesen unter 1.1

--> Ich werde den Ort nicht verlassen, und hier zwischen all der Zerstörung mein Glück versuchen. Irgendwo muss ich hier doch etwas finden, was mich weiterbringt.
Weiter lesen unter 1.2

ConsiliumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt