Auf der Suche nach Logik

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Auf der Suche nach Logik
Jenna

»Jenna!«, rief mir Lara von Weitem zu. »Wo zum Teufel hast du gesteckt? Und wieso hast du meinen Anruf nicht angenommen? Du weißt nicht, wie kurz davor ich war, bei dir zuhause anzurufen, um sicher zu gehen, dass mein Lieblingsmurmeltier nicht in den Winterschlaf gefallen ist.« Ich beschleunigte meine Schritte und schloss die kleine Brünette zur Begrüßung in eine Umarmung.

»Halten Murmeltiere überhaupt Winterschlaf?«

»Keine Ahnung, ich bin nicht Expertin auf diesem Gebiet. Aber ich bin Expertin in Sachen Jenna und ich bin mir zu neunundneunzig Prozent sicher, dass irgendwas los ist, auch wenn ich keinen Schimmer habe, was es ist.«

»Deine telepathischen Beste-Freundinnen-Kräfte werden immer besser.« Sie nickte zustimmend, entgegnete aber nichts. Das stumme Erzähl-Endlich dröhnte förmlich in meinen Ohren. Ich wies erst auf zwei freie Stühle in der letzten Reihe. Einerseits, weil ich wusste, dass die Schulklingel jede Sekunde den Beginn des Unterrichts verkünden würde, und andererseits, weil ich Lara noch ein bisschen auf die Folter spannen wollte. Ich musste die Gelegenheit nutzen, wenn ich schon mal was wirklich Interessantes zu berichten hatte.

»Bienvenue, mes enfants.« Wir hörten unserer Französischlehrerin mit halbem Ohr zu. Na gut, vielleicht eher mit einem Viertel Ohr. Ich öffnete ein Heft vor mir und zückte einen Stift, um wenigstens den Anschein einer arbeitenden Schülerin zu wahren. Eine schwache Stimme befahl mir tatsächlich aufzupassen, da es immerhin mein letztes Jahr war und ich noch so einige Abschlussprüfungen vor mir hatte, aber die Stimme, die mich darauf aufmerksam machte, dass ich den Stoff auch nachholen konnte, siegte konkurrenzlos.

»Die Busfahrt heute war wieder mal richtig eklig«, flüsterte ich. »Total überfüllt und man hätte die Luft mit einem Messer in Stücke schneiden können. Naja, aber das ist gar nicht so wichtig. Eigentlich wollte ich...«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach meine Erzählung. Wie neugierige Schüler nun mal sind, die für den Schulstoff nicht viel übrighaben, drehten wir uns alle synchron nach hinten und blickten den Eindringling an, der eben eingetreten war. Ich war die erste, die sich wieder ihrem Schreibtisch zuwandte und diesem so viel Aufmerksamkeit schenkte, wie man einem Schreibtisch nun mal schenken konnte.

»Wie schön, dass Sie uns auch noch mit Ihrer Aufmerksamkeit beehren«, begrüßte Madame DuPont den Neuankömmling abschätzig. Ich musste nicht hinsehen. Ich wusste, dass er sein charmantestes Lächeln aufgesetzt hatte, das selbst die knurrige Französischlehrerin auftauen ließ. »Setzen Sie sich«, befahl sie. Jeder andere hätte eine Standpauke zu hören bekommen, die sich gewaschen hatte.

»Oh nein«, flüsterte Lara neben mir. Irritiert drehte ich mich zu ihr. Als ich den Stuhl neben mit knarren hörte, verstand ich. Natürlich musste er sich neben mir hinsetzen. Das gehörte wohl alles zu seinem ach so tollen Plan.

»Hi.« Die Stimme war mir nur zu gut vertraut. Und es schmerzte noch immer.

»Was willst du, Philip?« Ich versuchte forsch und unbeeindruckt zu klingen. Dann versuchte ich mir einzureden, dass es funktioniert hätte. Philip verzichtete auf eine Antwort und lächelte nur. Er wusste, dass ich wusste, dass er wusste, dass ich ganz genau wusste, was er wollte. Ich wusste auch, was ich wollte. Ich wollte ihm eine reinhauen. Dass wiederum wusste er nicht.

Da es ungeschickt wäre, seinem Exfreund vor versammelter Klasse ein blaues Auge zu verpassen, beschränkte ich mich auf die passive-aggressive Variation eines Faustschlags: Ich ignorierte ihn. Erstaunlicherweise beließ er es sogar dabei und konzentrierte sich auf den Unterricht. Dass Kanada innerhalb eines Jahres aus dem Klassenclown einen vorbildlichen Schüler geformt hatte...

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⏰ Last updated: Nov 18, 2016 ⏰

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Vert MousseWhere stories live. Discover now