Über das Reisen: Prag

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Besucht man Prag mit dem Auto, heißt einen die Stadt nicht gerade willkommen: lange fährt man durch heruntergekommene Wohn- und Gewerbegebiete, die den Besucher daran erinnern, dass man trotz allem Aufschwung und EU und tralala im ehemaligen Ostblock ist. Vielleicht entsteht dieser Eindruck aber auch nur, weil man ihn geradezu erwartet und danach Ausschau hält. Ist man allerdings erst mal im Stadtzentrum Prags angelangt, wandelt sich der Eindruck augenblicklich: ein Meer aus sehr gut erhaltenen Wohngebäuden im Jungenstil, großen Plätzen, kleinen Gassen und Kirchen will entdeckt werden. Wir bezogen unser Quartier im Hotel Europa direkt am Wenzelsplatz. 

Nun bin ich vielleicht schon etwas verwöhnt, was grandiose Plätze angeht. Trafalgar Square, Petersplatz, Times Square und selbst - als eine deutlich kleinere Version - der Frankfurter Römerberg verdienen ihren Namen als Platz. Der Wenzelsplatz hat diese Bezeichnung allerdings wohl mangels Alternativen verliehen bekommen, bis er sich im Laufe der Zeit im Gedächtnis der Bevölkerung verankert hat. Denn eigentlich ist der Wenzelsplatz gar kein Platz. Stellen Sie sich den Circus Maximus in Rom vor: zwei parallel laufende Geraden gesäumt von hohen Tribünen (bzw. Häusern) mit einer Tribüne (bzw. Nationalmuseum) am Kopfende und einer von Zuschauern (bzw. Touristen) gesäumten Mitte. Der Vergleich ist zutreffend, denn wie mir mein Reisebegleiter erzählte, war der Wenzelsplatz tatsächlich ursprünglich ein Pferdemarkt. Und auf den langen "Geraden" konnten die potentiellen Käufer die Qualitäten der Pferde testen. Jedenfalls ist es mehr eine Prachtstraße denn ein Platz - was seiner Attraktivität für Einheimische wie Besucher in keinster Weise schmälern soll.

Seinem Namen alle Ehre machend, wirkt das Hotel Europa in der Tat außerordentlich grandios und luxuriös. Eine breiter Front mit einladendem Restaurant, große Fenster und eine helle, anscheinend frisch renovierte Fassade lassen den ehemaligen Bürgerpalast zum Blickfang werden. Ein Gang durch das Hotel ist wie ein Gang durch die Prager Innenstadt selbst: an der dunklen und kalten Rezeption vorbei geht man nach oben, wo uns ein überaus imposantes und reich verziertes Treppenhaus empfing. Hier wird der noble Ursprung des Hotels deutlich - bis man dann auf dem Weg zu seinem Zimmer in einen der vielen Seitenflügel geht. Nicht, dass diese den charakterlosen und austauschbaren Charme der vielen Hotelketten hätten, die dunkelrote Teppichböden und beige Wände mit beliebigen Bildern zum internationalen Standard erhoben haben, keineswegs. Es herrscht vielmehr gar keine Atmosphäre. Nicht mal mehr die eines langweiligen Hotelflures. Das Gebäude wirkt eher wir ein altes, verlassenes Krankenhaus. Große Türen, hohe Decken, karge, weiße Wände. Spartanische Zimmer. Nichts würde weniger zum grandiosen Treppenhaus passen. Was wohl ein halbwegs passabler Innenarchitekt mit ein wenig Sinn für Beleuchtung aus diesem Hotel machen könnte?

Aber man fährt ja nicht nach Prag der Hotels wegen. Überhaupt sind mir Menschen, die das Hotel als den Mittelpunkt ihres Urlaubs ansehen, höchst suspekt. Einer meiner besten Klo-Lektüren ist das Buch "A Thousand Places to see before you die" von Patricia Schulz. Sagen wir so: wäre Frau Schulz auf eigene Kosten gereist und hätte nicht in wirklich JEDES Hotel einchecken können, würde sie lediglich auf siebenhundert Plätze kommen. Der Rest sind Hotels. Nicht dass ich nicht auch schöne Architektur, eine tolle Lage und einen guten Service zu schätzen wüsste. Von gutem Essen ganz zu schweigen. Aber bis auf wenige Ausnahmen ist das Hotel lediglich eine Notwendigkeit, keinesfalls der Grund einen fremden Ort zu besuchen. Was nützt das schönste Hotel, wenn es an einem ansonsten vollkommen uninteressanten Ort steht? Eine Stadt wie Prag ist in Jahrhunderten gewachsen und dadurch sehenswert - ein Hotel wird in wenigen Monaten erbaut und schafft nichts als eine künstliche Welt, in der man sich im besten Fall nachts und beim Frühstück so wohl wie möglich fühlen sollte. Alles andere ist Zeitverschwendung und Angabe.  

Nun war dies mein erster Besuch in Prag. Schon seit langem wollte ich diese Stadt besuchen, ohne zu wissen, warum eigentlich. Freunde und Bekannte schwärmten mir von ihrem Charme vor - und vor dem Bier, das hier angeblich günstiger als Wasser sein sollte. Die Umstände unseres Besuches auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll, erlaubten mir einen Luxus, der nur noch sehr wenigen Reisenden vergönnt ist: ohne jedwede Vorkenntnis der Sehenswürdigkeiten, ohne die sonst zwingend notwendige Planung einer solchen Reise, ja ohne Orientierung über die Stadt konnte ich mich einfach fallen lassen. Meine Reisebegleiter hatten im Vorfeld jegliche notwendige und darüber hinausgehende Information beschafft und zu unser aller Vorteil in den Reiseplan eingepflegt. Ich selbst jedoch war vom Luxus der Unkenntnis beseelt.

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