Ein neuer Herr und Geständnisse

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„Sag' mal, du hast doch erzählt, ihr habt Muliomangel, richtig? Kannst du den hier gebrauchen?"

Antonius legte den Kopf schief, genau wie sein Bruder es sonst immer tat, und musterte den Germanen. „Eigentlich hatte ich geplant, demnächst einfach einen Sammelkauf an Sklaven zu machen. Die können ja ruhig billig sein. Eigentlich lohnt sich dieser eine dann nicht." Doch Gaius Lucius setzte schnell nach: „Dieser hier hat Kenntnisse in der Heilung, deshalb hatte ich gedacht, dass er vielleicht gut wäre. Na ja, sei's drum." Er hob die Schultern und wandte sich seinen Papieren erneut zu, als stünde das Angebot nicht mehr. Und wie erhofft dachte sein Sohn einige Sekunden nach und meinte dann hastig: „Ich könnte schon darüber nachdenken. Ich nehme ihn einfach ein bisschen mit zu mir, lasse ihn mit unserem Medicus arbeiten und dann sehen wir weiter." Der eigene Medicus der Familie wohnte aktuell bei Antonius Lucius, denn Tiberius war noch bis vor einigen Monaten anfällig für Krankheiten gewesen und die Sterberate der Kinder war hoch. So hatte man ihn dort eher benötigt.

Gaius Lucius nickte zufrieden und entließ sie mit einer Handbewegung. Stirrius folgte seinem neuen Herrn durch die Türe und Gänge bis in den Hof. Dort stand bereits ein Wagen, vor den zwei Maultiere gespannt waren, mit den gepackten Sachen der kleinen Familie. Lucia Maior kletterte gerade hinten hinein, ihren Sohn im Arm, als Tiberius laut anfing zu quäken. Er hatte Stirrius entdeckt und streckte seine Ärmchen nach ihm aus. Antonius warf einen düsteren Blick in Richtung des Blonden, doch er sagte nichts und wandte sich ab, um auf den Kutschbock zu steigen. Seine Mutter eilte zu ihm hin, um ihm einen Abschiedskuss auf die Wange zu drücken. Er ließ dies emotionslos geschehen und fing dann an, sich leise mit dem Sklaven, der die Zügel in der Hand hielt, zu unterhalten.

Stirrius stieg schmunzelnd nach hinten und hockte sich zwischen das Gepäck. Lucia Maior hatte sich auf eine Kiste gesetzt, die sie mit einem Kissen gepolstert hatte. Sie schaute überrascht auf, als Stirrius auf die Ladefläche kletterte. „Wer bist du? Kommst du mit uns mit?", fragte sie neugierig, während sie alle Mühe damit hatte, Tiberius auf ihrem Schoß zu behalten. „Ja", antwortete Stirrius ruhig. „Eigentlich bin ich der persönliche Sklave Eures Schwagers, doch im Moment habe ich keine Aufgabe. Ich wurde Eurem Mann vom Hausherrn anvertraut." Lucius nickte verstehend und rügte dann sanft ihren Sohn: „Was ist den auf einmal mit dir los? Kannst du heute gar nicht still sitzen?" Doch der Kleine ignorierte sie und streckte sich weiter in Richtung des Germanen. Dieser lachte nur leise und lächelte ihm zu. Tiberius Augen leuchteten auf und endlich konnte er sich aus dem Griff seiner Mutter winden. Er plumpste auf den Boden, seine Mutter sog erschrocken die Luft ein und schlug sich die Hand vor den Mund. „Oh, Götter, ist alles gut mit dir, Tiberius? Tut dir was weh?", rief sie. Doch der Kleine schien keine Schmerzen zu spüren, er zog sich entschlossen an einer Kiste hoch und tapste wackelig ein paar Schritte in Stirrius' Richtung. Doch er verlor schon bald sein Gleichgewicht und fiel in Stirrius' ausgestreckte Arme. Tiberius lachte fröhlich, als der Größere ihn zu sich hob und auf seinem Bauch platzierte. Er stemmte sich mit seinen Beinchen auf Stirrius' Oberschenkeln nach oben, lehnte halb an dessen Brust und konnte jetzt mit seinen Händen die längsten blonden Strähnen erreichen. Stirrius hielt ihn glucksend an der Taille fest und ließ sich von dem Kleinen ins Gesicht patschen, es störte ihn nicht im Geringsten.

Lucia war sichtlich verwundert. „So anhänglich ist er eigentlich nicht... Habt ihr euch schon einmal gesehen?", fragte sie nachdenklich. Der Wagen hatte sich inzwischen in Bewegung gesetzt und rollte durch das große Haupttor. „Ja, haben wir. Lucius war ja regelmäßig mit ihm im Garten und auf dem Hof, wo ich dann auch dabei war", erklärte Stirrius. Lucia nickte und betrachtete die beiden lächelnd. Sie freute sich, dass ihr Sohn mal wieder so viel Spaß mit jemandem hatte. Der Sklave knuddelte ihn und stellte ihn auch mal auf den Boden, wo er sich dann an seinem Bein hochzog und stolz grinste. Wenn er sich an Stirrius' Händen festhielt, konnte er auch schon ein paar Schritte laufen. Lucia bemerkte, dass Antonius sie vom Kutschbock aus beobachtete. Er warf den beiden immer düstere Blicke zu, die Lucia als Eifersucht interpretierte. Sie lächelte ihn versöhnlich an und insgeheim fand sie es sehr niedlich, dass ihr Mann sich drüber ärgerte, dass sein Sohn jemand anderen sehr mochte.

Die kleine Gruppe hatte eine Pause auf einer Wiese mit einigen Obstbäumen eingelegt. Es war Mittag und sie nahmen gerade einen kleinen Happen zu sich. Lucia hatte Tiberius auch schon gestillt, jetzt schlief er friedlich in Stirrius' Arm. Dieser kam erstaunlich gut mit einem Kind im Arm zurecht, er schaffte es zu essen und nebenbei den Kleinen gut festzuhalten. Sie saßen auf einer bunt gewebten Decke, auf die die beiden Sklaven das eingepackte Essen gestellt hatten. Es gab kalten Braten, Früchte, Brot und andere leichte Sachen. Antonius unterhielt sich derweil ein wenig mit seiner Frau über dies und jenes. Lucia freute sich sehr darüber, denn sie wollte schließlich die restliche Zeit ausnutzen, die ihr Mann daheim war. Irgendwann entschloss sie sich dennoch Stirrius einmal darauf anzusprechen: „Dich hat Tiberius wohl sehr gern. Hattest du vorher schon einmal mit Kindern zu tun?" Stirrius sah auf und seufzte leise. Er schien mit sich zu hadern, was er sagen sollte. Schließlich fing er leise an zu sprechen, um Tiberius nicht aufzuwecken: „Ja, hatte ich, Herrin. Um ehrlich zu sein, Tiberius erinnert mich an meinen eigenen Sohn."

Lucia war überrascht über dieses Geständnis und auch Antonius hatte zugehört und schien verwundert. Sie hatten beide nicht erwartet, dass der Sklave einen Sohn hatte. Aber wenn dieser etwa genauso alt war, wie Tiberius, war dies nicht ganz unwahrscheinlich. „Du hast also einen Sohn. Das hat Lucius gar nicht erwähnt", bemerkte Lucia. Stirrius schüttelte leicht den Kopf. „Er weiß es auch nicht." „Warum?", meldete sich Antonius zu Wort. Der Germane schaute so, als ob er eigentlich nicht so viel von sich hatte verraten wollen. Doch er erzählte es trotzdem. „Er gibt sich immer so sehr die Schuld dafür, dass ich aus meinem Leben... meiner Familie gerissen wurde. Ich wollte ihm dann nicht auch noch den Umstand anhängen, dass ich selbst eine kleine Familie habe und meinen Sohn schrecklich vermisse." Stirrius schluckte leicht, unzufrieden darüber, dass ausgerechnet Lucius' kaltherziger Bruder seinen beinahe schwächsten Punkt erfahren hatte. Tatsächlich war es wahr. Er war bisher immer der einzige Gott gewesen, der sich persönlich um seine Kinder gekümmert hatte. Zumindest hatte er sie alle regelmäßig besucht und höchstens damit aufgehört, als sie vierzehn waren. Doch er schüttelte die Gedanken ab, atmete tief durch und wechselte schließlich das Thema.

„Soll ich das Essen wieder einsammeln? Ich glaube man könnte langsam weiterfahren." Sein neuer Herr nickte langsam und gab dem anderen Sklaven, der am Wagen hatte essen müssen, ein Zeichen. Eigentlich hatte Stirrius auch am Wagen bleiben sollen, aber Tiberius hatte erfolgreich protestiert. Der Blonde gab den Racker gerade wieder an seine Mutter zurück, dann half er dabei, alle Sachen wieder in den Wagen zu legen. Es war mittlerweile früher Nachmittag und die Hitze nahm wieder etwas ab, sodass sie sich nicht mehr so sehr in den Schatten verkriechen mussten. Die Fahrt ging weiter und bald erreichten sie die Villa des Antonius Lucius. Sie war normalgroß, lag zwischen einigen anderen und besaß, im Gegensatz zu der seines Vaters, nur einen Stall für die Pferde und Maultiere, keinen ganzen Hof.

Stirrius wurde dem Medicus vorgestellt. Er war ein älterer, aber sehr weiser Mann, der sich vor allem in der Behandlung von Wunden auskannte. Stirrius würde in dessen Stube schlafen, ein Raum im Erdgeschoss, wo sich unzählige Kräuter, Pülverchen, Werkzeuge und ein Kamin mit einem Kessel darüber befanden. Für Stirrius gab es in einer leeren Ecke des Raums also nun ein Strohlager, der Medicus selbst hatte ein eigenes, kleines Zimmer.

Der Ältere ließ Stirrius einige Salben anfertigen, um seine Kenntnisse über die Heilkräuter zu testen. Am Abend hatte Stirrius das Gefühl, man könne sich tatsächlich die Finger abbrauen, so viele verschiedene Salben hatte er an diesem einen Nachmittag zubereitet. Der Medicus entließ ihn erst, als die Sonne schon fast ganz untergegangen war und er durfte sich noch etwas zu Essen aus der Küche holen. Stirrius verputzte es auf seinem Strohlager. Der Medicus hatte sich ebenfalls schon zurückgezogen.

Es fühlte sich irgendwie komisch an. Zuvor hatte Stirrius immer Lucius im Arm gehalten, wenn er im Bett gegessen hatte. Der zierliche Körper des jungen Erwachsenen hatte immer eine so schöne Wärme gespendet. Er vermisste ihn so sehr. Doch er hatte wenigstens nun die Hoffnung, ihn demnächst wieder zu sehen.

Kleine Anmerkung zum Bild oben: Es sollen Apollo und sein jüngster Sohn Hymenaeus von der Muse Urania sein.

Venimus, vidimus, amavimusDonde viven las historias. Descúbrelo ahora