„Ich habe keine Eltern", presste ich hervor.

Er sah mich lange mit undurchschaubarer Miene an und ich musste mich beherrschen, um seinem Blick nicht auszuweichen.

„Also schön", sagte er dann und hob einen weiteren Holzpflock auf, um ihn an anderer Stelle ins Erdreich zu rammen. „Melde dich bei Rattler dort drüben und sag ihm, dass du auf Probe hier bist. Wenn du wirklich etwas kannst, überlege ich es mir."

Ich war erstaunt über sein plötzliches Einlenken, doch einem geschenkten Gaul schaute man nicht ins Maul. Also wandte ich Liberty um und ritt auf einen der beiden Cowboys zu, die die Pferdeherde bewachten. Als der Mann mich kommen sah, lenkte er sein Pferd um und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. Sein auffälligstes Merkmal war der korrekt gestutzte Schnauzbart, der beinahe quadratisch seinen Mund und das glatt rasierte Kinn umrahmte.

Ich räusperte mich und bemühte mich um einen selbstbewussten Tonfall. „Hey, mein Name ist Harry. Ich bin euer neuer Kollege", verkündete ich.

Der Mann ließ einige Sekunden verstreichen, in denen er mich nur anstarrte. Dann warf er seinen Kopf zurück und gab ein Lachen von sich, das eher wie das Schreien eines Esels klang. Selbst sein Pferd zuckte nervös mit den Ohren.

Ich presste die Lippen zusammen. Was war bitte schön daran so lustig?

„Stu, hey, Stu," rief er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. Der andere Cowboy kam nun ebenfalls auf uns zu. „Dieses Greenhorn hier will bei uns mitmachen. Ich glaub's nicht! Wir sind Cowboys, keine Babysitter." Er kicherte wie ein Verrückter.

Der andere Mann, Stu, wandte sich mir zu. „Kümmere dich nicht um meinen Partner hier. Rattler ist ein bisschen durchgeknallt", sagte er in vertraulichem Tonfall. Sein wettergegerbtes Gesicht machte es schwer, sein Alter zu bestimmen, doch seine fältchenumrandeten Augen ließen ihn sofort sympathisch wirken.

„Hey, nenn mich nicht so, du weißt, dass ich den Namen nicht ausstehen kann!", kreischte Rattler mit übertriebener Entrüstung.

Stu tippte sich mit dem Finger an die Stirn. „Es stört ihn nicht, wenn ich ihn als durchgeknallt bezeichne, aber mit dem Namen Rattler hat er ein Problem. Das soll mal einer verstehen", raunte er mir zu und ich unterdrückte ein Grinsen.

Rattler machte ein abfälliges Geräusch und fixierte seine kleinen Augen wieder auf mich. „Kann mir nicht vorstellen, dass Bird jemanden wie dich im Team haben will", knurrte er.

„Wer ist Bird?", fragte ich an Stu gewandt, da mir Rattler nicht wie die Person erschien, die mir meine Fragen beantworten würde.

„McLane, unser Chief. Wir nennen ihn alle nur Bird", erklärte Stu.

„Weil er ein indianischer Mischling ist", ergänzte Rattler mit unverhohlener Verachtung in der Stimme.

Stu runzelte die Stirn, ging aber nicht darauf ein.

Ein Halbindianer. Also deshalb hatte er so fremdartig auf mich gewirkt. Mein Interesse war geweckt. Ich hatte noch nie einen Indianer gesehen, nur von ihnen gelesen. Aber in meinen Groschenromanen waren sie immer mit Federkrone und Lendenschurz abgebildet. Dieser ... Bird ... trug ganz normale Kleidung. Vermutlich war er unter Weißen aufgewachsen. Rasch schüttelte ich den Gedanken an McLane im Lendenschurz ab.

„Du willst also bei uns anfangen, Junge?", fragte Stu.

Ich nickte.

Rattler hob die Brauen. „Dann lass mal sehen, was du überhaupt drauf hast." Er nahm das aufgerollte Lasso von seinem Sattelhorn und warf es mir zu. Reflexartig fing ich es auf. „Hier, zeig uns, dass du ein Pferd einfangen kannst." Er nickte in Richtung Herde und kniff dann die Augen zusammen. „Da, der Braune mit den weißen Fesseln." Er grinste listig.

Der Wind des WestensWhere stories live. Discover now