Dreiundvierzig

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Vier Jungs

waren definitiv zu viel, stellte ich fest, als ich aufgrund ihrer Diskussion wegen eines Footballspiels rasch das Haus verließ. Diesmal war ich diejenige, die sich den Beifahrersitz unter den Nagel gerissen hatte, da ich als Erste an Davids SUV ankam, den er uns netterweise zur Verfügung gestellt hatte, weil Clays Auto für fünf Personen doch ein wenig eng war.

Im Rückspiegel beobachtete ich, wie die Haustür sich öffnete und der Rest der Jungs herauskam, Dean hatte seinen Blick auf das Handy gerichtet und schaute nur kurz auf, um einzuschätzen, wohin er laufen musste, um nicht gegen den Wagen zu rennen.

Wenig später wurde meine Tür aufgerissen.

„Entschuldigung, aber dieser Platz ist leider schon vergeben." Mit einem Unschuldsgrinsen und einem kräftigen Ruck zog ich die Tür wieder zu. Dean starrte mich durch das Fenster hindurch vollkommen verblüfft an.

Wie du mir, so ich dir, dachte ich schadenfroh.

„Darauf hast du sicherlich die ganze Zeit schon gewartet, hab ich recht?", seufzte er, als er sich auf den freien Sitz hinter mir niederließ. Sein Handy hatte er sogar weggesteckt, um mir mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als er sich mit den Händen an meinem Sitz abstützte und sich weiter zu mir nach vorne beugte. „Eigentlich solltest du dich mit den anderen jüngeren Mitfahrern auf die Rückbank quetschen, immerhin bist du schlanker und kleiner als ich. Bist du dir sicher, dass du den Beifahrersitz brauchst?"

Mein Blick flog für einen kurzen Moment über sein kantiges Gesicht, bis er auf seine grünen Augen traf, welche schelmisch funkelten. Er wollte mich also bloß necken.

„Manche Leute haben Glück, andere wiederum einfach nur Pech", entgegnete ich nur und drehte mich wieder nach vorne. Lachend lehnte sich Dean wieder zurück. Im Rückspiegel konnte ich sehen, wie er mir zuzwinkerte.

„Dann wollen wir doch mal sehen, wie die Sitzordnung auf dem Rückweg aussieht."

„Hoffentlich leerer, weil du uns mit deiner Anwesenheit im Kofferraum beehrst", mischte sich Theo wie immer ein und beschlagnahmte den Platz in der Mitte. Gleich darauf gesellte sich Tyson neben ihn und Clay setzte sich hinters Steuer.

„Ich ändere meine Meinung, der Film überschreitet doch etwas sehr Theos Schlafenszeit", wandte Dean sich an Clay. „Vielleicht sollten wir ihn doch lieber hier lassen. Außerdem hat er mir gerade erzählt, dass er noch einen letzten Mathetest morgen schreibt und dank des Kinobesuchs nicht mehr dafür lernen muss."

„Die widerliche Eintagsfliege lügt!"

„Ich will nichts mit euren verletzten Egos zu tun haben", erwiderte Clay bloß und startete den Motor. Automatisch blickte ich kurz nach hinten, nur um zu sehen, wie Theo Dean frech die Zunge raussteckte. Dieser wiederum grinste nur zurück und holte dann wieder sein Handy raus.

So oft wie er an diesem technischem Medium hing, würde es mich nicht wundern, wenn er bei seinem Verlust fallen würde wie Alice ins Wunderland, wobei die Geschichte in diesem Falle heißen müsste: Dean in der Realität.

Den Rest des Weges unterhielten sich die Jungs über das Videospiel, dass Tyson und Theo heute ausprobiert hatten. Wenn ich das richtig heraushörte, war Theo davon begeistert und Tyson bezeichnete die Grafik als einzig positives Element des gesamten Produkts. Dean und Clay warfen bloß ein, dass sie schon gehört hatten, dass es die Erwartung vieler zwar absolut nicht erfüllt hatte, aber dennoch einen gewissen Reiz besaß. Gespielt hätten sie es allerdings noch nicht, was sie auch nicht zu ändern beabsichtigten.

Meine Beteiligung an dem Gespräch war passiv, bis ich die Aufmerksamkeit schwinden spürte und stattdessen die Passanten beobachtete, die durch die Straßen liefen. Es waren großteils junge Leute, die sich noch mit Freunden trafen und essen gingen oder einen netten Abend in der angesagtesten Cocktailbar der Umgebung verbrachten. Ab und zu führte jemand seinen Hund aus und in den Nebengassen versteckten sich Obdachlose unter ihrem letzten Hab und Gut. Für mich war es schon immer unverständlich, wie Menschen so leben konnten oder gar dort hingekommen waren. Aber ich war auch der Ansicht, dass jeder seines Glückes Schmied war und wenn man sich bewusst dazu entschied, dauerhaft auf der Straße zu bleiben, dann konnte und wollte ich nicht helfen. Die einzigen Obdachlosen, die ich wirklich schätzte waren diejenigen, die ihr wenig Geld für ihren Hund ausgaben.

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