Erst als das sanfte Beben, als wäre in einer anderen Welt ein Berg zerbrochen, abrupt aufhörte, bemerkte Aineas die Finsternis, die auf ihn zukroch, die das schummrige Licht, welches die Gänge des Labyrinthes erhellte, gierig verschlang.

Mit einer Schnelligkeit, die Aineas sich nicht zugetraut hatte, sprang er auf, drehte sich auf den Fersen um und rannte los. Sein Kopf pochte und blubberte, als wäre er mit Wasser gefüllt und ein dunstiger Schleier legte sich über seine Augen, aber er schüttelte ihn ab.

Er stoppte allerdings sofort, als er erkannte, dass er umzingelt war. Schwärze von der einen Seite, Schatten von der anderen. Sie verschlangen das Licht des Labyrinths und er war mitten in ihrem Pfad gefangen. Er hatte kein Feuer. Er hatte kein Schwert und kein Essen. Aineas war der Dunkelheit ausgeliefert, aber aufgeben konnte er nicht. Er trug die Stärke der Seelen mit sich, die gegangen waren und sie würden ihn nicht fallen lassen. Selbst Medeia nicht. Ganz besonders Medeia nicht.

Tränen schossen ihm in die Augen und Aineas presste sich an die Wand. Von beiden Seiten kroch die Dunkelheit auf ihn zu, langsam und qualvoll, wie ein lebendes Tier mit ewigem Hunger nach Licht. Es hatte eine unerklärliche Schönheit an sich, fand er. Wie die Welt in der Dunkelheit versank, als wäre sie ein Kinderspielzeug. Würde ihn die Angst vor den kriechenden Schatten nicht beinahe lähmen, dann könnte er dieses Schauwerk beinahe als atemberaubend und verstandraubend bezeichnen. Beinahe.

Aineas' Knie zitterten. Lediglich die Wand, an die er sich drückte, hielt ihn aufrecht. In einem miesen Streich der Götter, schossen ihm die Bilder der Flammenwand in den Kopf. Auch damals hatte er sich zusammengekauert und musste von Theia gerettet werden. Aber Theia war nicht mehr da, um ihn zu retten. Niemand war da, der ihn retten könnte. Er war allein und die Dunkelheit würde ihn verschlingen.

Als die Schwärze seinen Körper umhüllte, würde es bitterkalt. So kalt, es fühlte sich an, als wäre sein Körper in Eis getaucht und seine Haut würde bei einer leichten Erschütterung einfach zerspringen. Der Gestank von Rauch drang in seine Nase und ließ ihn zittern. Irgendwo in der Dunkelheit flüsterte es, jemand lachte leise, Schritte kamen näher und entfernten sich wieder. Die Kälte krabbelte bis in seine Knochen, seine Knie gaben unter seinem Gewicht nach. Aineas rutschte auf den Boden, der Körper in eisiges Wasser getaucht. Er zitterte und schlotterte und alles brannte.

Kein Gedanken vervollständigte sich.

Es ist so kalt, ich –

Warum fühlt sich alles wie –

Ich habe so –

Rette –

Bitte –

Der –

Als Aineas die Augen aufriss, war die Schwärze verschwunden. Der Gang war in sein übliches, schummriges Licht getaucht. Stein reihte sich an Stein. Es war normal.

Aber er zitterte und war schweißgebadet. Es tropfte von seinem Kinn, sein Rücken war feucht und seine Hände zitterten. Aineas ließ einen keuchenden Atemzug los, den er angehalten hatte. Hätte er die Kraft gehabt, hätte er geweint.

Eine weitere Strafe der Götter, dachte er bitter. Der Junge versuchte sich aufzurichten, aber seine Hände und Knie zitterten so stark, dass er nicht die Stärkte fand, die er benötigte, um sich überhaupt in eine aufrechte Position zu schieben. Seine Füße rutschten auf dem Stein weg.

Was auch immer er gerade erlebt hatte, er wollte es nie wieder erleben. Es war die Angst pur gewesen. Er hatte nichts anderes gespürt. Kälte, Dunkelheit, Angst. Alles andere war unwichtig gewesen. In der Dunkelheit hatte er nicht existiert. Seine Schuld hatte nicht existiert. Alles hätte vorbei sein können.

LavýrinthosWhere stories live. Discover now