Einundvierzig

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Zolas Haus

war zwar keine Villa und demnach kein so großes Baukonstrukt wie das der McCains, aber so modern und stilvoll eingerichtet, dass ich fast schon das Gefühl hatte, nichts berühren zu dürfen, um nichts versehentlich zu beschmutzen oder sogar kaputtzumachen. In den Fluren und im Wohnzimmer hingen reihenweise abstrakte und realistische Gemälde, mal zeigten sie Natur, mal Menschen oder Tiere, ganz selten sogar architektonische Gebilde.

Das Wohnzimmer war über das Esszimmer mit der Küche offen zugänglich. Die eine Wand der Küche wies allerdings nur bodenlange Fenster auf und bot somit einen sonnigen Blick auf den peniblen Garten, die Küche selbst bestand aus einer riesigen Kücheninsel, an deren Ecke sogar eine kleine Sitznische eingebaut war. Im Esszimmer setzte ein langer Esstisch mit einer Baumkante als Tischplatte einen angenehmen Akzent. Über eine kleine Treppe konnte man dann die weiße Couch in U-Form erreichen, die mir ein wenig hart und... unbenutzt erschien. Der Plasmafernseher davor war sicherlich größer als die Windschutzscheibe von Davids SUV.

Fotos oder andere persönliche Gegenstände entdeckte ich kaum welche, außer auf der weißen Kommode im Esszimmer, auf der ein Hochzeitsfoto von Zolas Eltern und ein paar Familienfotos mit den Verwandten und sogar Zolas Abschlussfoto standen. Auf dem Esstisch standen drei Vasen mit grünen Pflanzen und auf dem Couchtisch stand eine leere Vase.

Ansonsten war das einzig Bunte in den Räumen der Obstkorb und die Kräuterpöttchen auf der Kücheninsel.

„Die Filme werden wir auf dem großen Fernseher schauen, ansonsten bleiben wir am besten in meinem Zimmer", schlug Zola vor, während sie Gläser und Knabberzeug aus den Küchenregalen zusammensuchte. Mit drei Gläsern in der Hand machte sie eine weitläufige Geste. „Ansonsten finde ich es hier unten sehr ungemütlich. Aber das ist halt der Stil meiner Eltern. Wahrscheinlich würde es hier unten auch etwas heimeliger aussehen, wenn sie öfters zu Hause wären."

„Ich wollte es aus Höflichkeit nicht ansprechen", stimmte ihr Kenzie zu und rieb sich unwohl den Oberarm, als wäre ihr kalt. Kein Wunder, die kühle Atmosphäre hier unten war nicht gerade einladend.

Nachdem Zola uns Chips, Schokolade und diverse Getränke in die Hand gedrückt hatte, führte sie uns zurück in den Flur, von wo aus wir die dunkle Betontreppe hinauf bis in das Dachgeschoss nahmen – Zolas Reich. Hier befand sich nicht nur ein kleines, aber geräumiges Badezimmer, sondern auch ihr großes Zimmer, welches ein totaler Kontrast zu der eigentlichen Innenarchitektur des Hauses bildete. Die Wände waren voll mit den verschiedensten Zeichnungen, auf dem Schreibtisch herrschte ein künstlerisches Chaos aus Pinseln, Papieren und Stiften und direkt neben der Treppe diente ein bereits überquellendes Bücherregal als Wand.

Uns zuliebe hätte Zola aufgeräumt, erklärte sie uns lachend und entschuldigte sich gleich für das Chaos auf dem Schreibtisch. Auch wenn dieses Zimmer normalerweise das Paradebeispiel für Unordnung war, fühlte ich mich seltsamerweise sofort wohl hier. Vielleicht lag das ganz einfach daran, dass mir die Sterilität in den unteren Geschossen zuwider war. Das Bedürfnis, erstmal Ordnung im Bücherregal und auf dem Schreibtisch zu schaffen war zwar deutlich vorhanden, aber ich wollte Zolas persönliche Note nicht niederwalzen mit meinem Zwang, das kam mir in diesem Moment einfach nur unangebracht vor, wenn nicht sogar falsch. Das Chaos und die Stilvarietät in diesem Zimmer interpretierte ich nicht nur als Zolas Ausdruck ihrer Persönlichkeit, sondern auch als rebellischen Akt gegen die Penibilität ihrer Eltern – vielleicht sogar auch gegen ihre Eltern selbst. Deswegen sagte und tat ich nichts in der Richtung und setzte mich entspannt vor dem Bücherregal in den kleinen, grünen Ohrensessel, in dem Zola wohl immer gerne las.

„Wenigstens einer in diesem Haus kennt sich mit Wohnlichkeit aus", kommentierte Kenzie und ließ sich erleichtert auf Zolas großem Bett, das an der Giebelwand stand, zwischen bunten Kissen und einer riesigen Kuscheldecke nieder. Über dem Bett hing sogar ein wunderschöner Traumfänger in Form einer Eule.

Im freien FallWhere stories live. Discover now