Verhängnisvolles Geheimnis

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"Angeklagter, was haben Sie zu ihrer Verteidigung zu sagen?".
Mit scharfem Blick schaut der Richter auf Noah herab.
Der 20-Jährige blonde Junge sitzt eingeschüchtert auf seinem Stuhl.
"Herr Richter, ich habe nichts getan", stammelt er.
"Können Sie mir dann erklären, warum man das Messer in Ihrem Zimmer gefunden hat?"
Noah antwortet leise: "Nein, ich weiß es nicht."

Mit scharfem Ton fährt der Richter fort: "Ich kann es mir auch nicht anders erklären, als dass Sie das blutige Messer nach Ihrer Tat dort verstecken wollten."
Noah starrt auf den Tisch vor sich. Er weiß nicht, wie ihm geschieht.
Vor ein paar Tagen war alles noch in bester Ordnung und jetzt sitzt er in diesem kalten Raum. Er spürt den Argwohn des Richters und der durchbohrende Blick, der seinen Kopf durchleuchten will, um alle Geheimnisse ans Licht zu bringen.

"Wie war das Verhältnis zu Ihrem Vater?"
Der Junge schweigt. Es war nicht immer das Beste, aber es war in Ordnung.
"Angeklagter! Sprechen Sie!", sagt der Richter scharf. Für ihn ist es doch schon klar, dass es Noah war.
Noah atmet tief durch: "Das Verhältnis war in Ordnung."
Der Richter schnauft: "In Ordnung? Was heißt denn in Ordnung? Haben Sie ihn umgebracht oder nicht?"
"Nein!"
"Wie kommt dann das Messer in Ihr Zimmer? Wurde es nach der Tat vielleicht dorthin geweht?"
Noah sieht dem Richter ins Gesicht: "Ich weiß es nicht! Ich habe es jedenfalls nicht dorthin getan. Aber mein bester Freund hat an diesem Tag bei mir übernachtet und er hatte auch Zugang zu meinem Zimmer!"
Der Richter zieht eine Augenbraue hoch: "Moment, jetzt wollen Sie mir erzählen, dass Ihr bester Freund Ihren Vater erstochen hat?"
Noah hebt verzweifelt die Hände: "Nein, das habe ich so nicht gesagt. Ich meine nur, dass ich nicht der Einzige war, der sich in meinem Zimmer aufgehalten hat."
Da ertönt hinter ihm, aus dem Zuschauerbereich, eine Stimme: "Noah! Das ist nicht fair, ich habe damit nichts zu tun!"
"Ruhe!"

Der Richter fährt sich durch die Haare: "Dann erzählen Sie doch mal, was Sie an dem Nachmittag mit ihrem Freund gemacht haben."
Noah nickt schwer: "Wir waren auf dem Fußballplatz. Also, er, ich und Paul, mein Bruder. Da haben wir ein paar Freunde getroffen und mit ihnen gekickt. Irgendwann ist Paul mit ein paar Freunden gegangen und wir sind eine halbe Stunde später dann auch nach Hause."
Noah unterbricht sich und beginnt zu schweigen.
"Was haben Sie dann zuhause gemacht? Waren Sie immer zu zweit unterwegs?"
"Nein", sagt er kleinlaut, "ich habe geduscht und er war alleine und umgekehrt."

"So, dann würde ich den Freund bitten, jetzt als Zeugen auszusagen!"
Alle Köpfe drehen sich zu ihm. Die braunen Haare fliegen ihm ins Gesicht und er wird augenblicklich bleich.
Der Richter betrachtet ihn und sagt forsch: "Nur keine falsche Scham, ich erlaube Ihnen jetzt auszusagen und sich gegebenenfalls zu verteidigen."
Langsam erhebt sich der ebenfalls 20-Jährige und macht einen Schritt nach vorne. Paul, der neben ihm sitzt, erhebt das Wort: "Entschuldigen Sie, aber Sie können doch nicht einfach einen Zuschauer befragen und…"
"Ich kann tun, was ich für nötig erachte, um den Fall zu lösen", unterbricht ihn der Richter und nickt einem Mann zu: "Erklären Sie dem jungen Mann seine Rechte."
Der Mann nickt kurz und bittet den verängstigten Jungen nach draußen.

Noah ist irritiert: "Sie wollen jetzt auch noch Simon verhören? Er hat damit bestimmt nichts zu tun!"
Der Richter betrachtet ihn: "Das haben Sie uns gerade aber anders erzählt."
"Was? Nein, ich habe…" Noah ist außer sich, merkt aber schnell, dass es seine Schuld war und Widerspruch sowieso alles noch schlimmer macht.
Der Richter sortiert ein paar Papiere auf seinem Tisch und wartet auf den Freund: "Ich bin mal gespannt, was er uns zu erzählen hat."

Wenige Minuten später öffnet sich die große Holztür und die beiden kehren zurück.
Der Richter ergreift wieder das Wort: "Wie ist Ihr Name?"
"Simon Halson."
"Sehr schön, dann nehmen Sie doch bitte dort Platz", sagt er und zeigt auf einen Tisch in unmittelbarer Nähe zu Noah.
Doch Simon beachtet ihn mit keinem Blick. In sich gesunken und schweigend sitzt er auf dem Stuhl und starrt vor sich auf die Tischplatte.
"Also", knöpft sich der Richter seinen neuen Verdächtigen vor, "können Sie Angaben dazu machen, was Ihr Freund gemacht hat, während Sie geduscht haben? Haben Sie Schreie oder einen Streit gehört?"
Simon schüttelt den Kopf: "Ich kann mich an nichts erinnern."
"Hm… na gut, wo haben Sie sich denn rumgetrieben, während ihr Freund geduscht hat."
"Ich war in seinem Zimmer und habe Musik gehört."
Wieder wendet sich der Richter an Noah: "Können Sie das bestätigen?"
Noah nickt: "Ja, ich habe die Musik gehört."
"Also war es laute Musik?"
"Ja, aber was interessiert Sie denn jetzt die Musik?"

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