Ein letzter Brief: Kurzgeschichte

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„Sir?" Farid blickte von seinem Brief auf und starrte die Stewardess einen Moment lang orientierungslos an. In Gedanken war er noch bei Cecile. Er sah sie vor sich, wie sie am Fenster stand. Als er ihren Leib von hinten umschlang und versuchte, Jamila durch den Bauch hindurch zu kitzeln, kicherte sie. Sie blickten sich wissend an. Cecile nahm sich vor, ihrer Tochter, die schon bald das Licht der Welt erblicken würde, einen der Briefe von Farid vorzulesen. Wie hatten sie bloß all diese Jahre ohne einander gelebt? So lange hatte Cecile etwas gesucht, das sie erreichte und berührte. Als sie plötzlich schwanger wurde, war es das natürlichste von der Welt.

Er hatte gerade in Amerika Fuß gefasst, da kreuzten sich ihre Wege. Schnell entwickelte sich zwischen den zwei Fremden eine Freundschaft und bald entfachte sich eine Liebe. Und von da an fingen auch die Briefe an. Denn wie es so kam, sorgte eine eifersüchtige Freundin Farids dafür, dass die Einwanderungsbehörde Cecile bei der Arbeit überraschte.

Cecile verließ das Land - doch in Begleitung. In ihrem Leib lebte bereits Jamila. Als sie sich am Flughafen verabschiedeten, schöpfte sie neue Hoffnung, Farids sicherer Blick gab ihr Mut. Als sie an Bord ging und den Füllhalter, den er ihr vor Abflug geschenkt hatte, herausholte und das erste Mal die blaue Tinte auf das Papier setzte, begann eine Tradition von Flughäfen und Briefen.

So verbrachte Cecile ihre Schwangerschaft im Kreise der Familie in Deutschland. Sie vermisste die sonnigen Tage in Kalifornien. Hier waren die Tage trüb und die ersten Monate der Schwangerschaft beschwerlich. In den Nächten weinte sie oft, sie wünschte, Farid könnte die Herztöne des gemeinsamen Kindes hören. Doch am Tag war sie glücklich und strickte Strampler. Manchmal schrieb sie stundenlang, berichtete ihrem Farid über alles was im Alltag geschah und sie beschäftigte. Sie schrieb Gedichte und probierte neue Rezepte aus, ihr Bauch wuchs mit den Monaten an und die Briefe wurden immer sehnsüchtiger. Im sechsten Schwangerschaftsmonat, überraschte er sie an ihrem Geburtstag mit einem Telegramm. Sie konnte es kaum fassen. Schon morgen würde er in Deutschland sein. Jamila trat sie. Cecile war der glücklichste Mensch auf der Welt.

Sie erlebten einen der schönsten Monate ihres Lebens. Farid war erstaunt und erfreut über die große Kugel, die er nun jeden Abend und jeden Morgen liebevoll streicheln und beschützen durfte, häufig lauschte er an ihrem Bauch. Dann machten sich Sorgen breit. Bald würden sie eine eigene Bleibe brauchen und Farid musste dringend arbeiten, doch die nötigen Formalitäten würden noch lange dauern.

Kurz vor dem achten Schwangerschaftsmonat verabschiedeten sich Farid und Cecile erneut. Diesmal war sie es, die ihrem Liebsten einen Füllhalter schenkte, mit dem er ihr von Malta aus schreiben sollte. Im Flugzeug packte Farid das Ultraschallfoto aus, seine Tränen nässten das Papier noch vor der Tinte.

Am 8. Mai 1989 rief man Farid auf der Arbeit an. Jamila war geboren. Sie saugte bereits an der Brust ihrer Mutter. Er legte auf, und weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, nahm er einen Stift und begann zu schreiben.

Einen Monat später reiste Farid nach Deutschland. Auf dem Flug las er noch einmal all die Briefe, die ihn in den letzten Monaten der Schwangerschaft in Malta erreicht hatten. Mit jedem Buchstaben wuchs die Sehnsucht und Freude. Sein Herz drohte zu platzen. Nur noch einige Monate in Malta, sagte er sich...

So viel Erleichterung war in der Luft als die kleine Familie in der Wohnung von Ceciles Vater lebte. Farid bekochte und verwöhnte seine zwei Mädchen. Er wollte die schwierigen Tage so gerne wieder gut machen. Wenn Farid in Ceciles Augen blickte, wusste er, dass er mit Cecile eine Frau gefunden hatte, die klug und einfühlsam war. Auch stark war sie gewesen. Sie lehnte es ab, Jamila nicht zu stillen, um ihren starken Husten und die Kopfschmerzen anständig zu behandeln. Also verbrachte sie die Zeit zwar keuchend aber lächelnd, wenn sie ihre Tochter stillte.

Farid versuchte, Cecile zu überreden, etwas gegen den starken Husten einzunehmen, doch vergebens. Also nahm er ihr am vorletzten Abend vor der Rückkehr ihres Vaters zumindest die Kleine ab, um ihr etwas Zeit für sich zu gönnen und schlief mit Jamila im Arm ein.

Als Farid am nächsten Morgen erwachte, rief er einen Krankenwagen. Cecile erwachte an diesem Tag nicht mehr.

Am Abend erreichte Farid die Wohnung, in die er noch vor kurzem mit seiner kleinen Familie eingezogen war. Ceciles Mutter stellte das Babyfon neben Farid auf und ging. Lange saß er da und starrte auf seine Hände. Dann setzte er sich an den Tisch, holte aus seiner alten Reisetasche all die Briefe, die ihm Cecile je geschrieben hatte heraus und setzte den Füllhalter ein letztes Mal auf das Papier.

Er legte seinen Brief zu den Briefen seiner verstorbenen Frau und wickelte sie in Zeitung. Das Schwarz der Buchstaben verschwamm vor seinen Augen.

Das Babyfon erklang.

Ein letzter BriefWhere stories live. Discover now