Kapitel 2: Klopf, klopf

56 7 21
                                    

Die Suche gestaltete sich schwieriger als erwartet. In den Weiten des Internets hatte er eine ungeheure Menge an möglichen Wohnungsgemeinschaften auffinden können, doch der größte Teil wurde von Graham frühzeitig ausgeschlossen.
Eines der Inserate bewarb ganz offen, dass es einen Balkon mit Blick auf die Hauptstraße gab. Im Erdgeschoss.
Graham konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Architekt dies für eine grandiose Idee befunden hatte.
Es war ohnehin schwierig seine Privatsphäre in dieser Stadt zu bewahren. Man konnte keine zwei Schritte machen, ohne unwissentlich auf dem Instagram-Foto von irgendeinem Hipster zu landen.
Wieso also sollte er ein Balkon im Erdgeschoss wollen? Wieso sollte das irgendjemand wollen? War ein Balkon im Erdgeschoss nicht einfach nur eine Terrasse?
Andere Inserate bewarben potenzielle Mitbewohner, die sich als lebenslustige, fröhliche Menschen gaben, die gerne auch mal laute Musik hörten oder erst spätabends heim kamen. Der absolute Albtraum für Graham.
Doch blieb ihm keine Wahl. Er kritzelte die Adressen in sein Notizbuch. Er würde jede einzelne Adresse ansteuern und sich ein eigenes Bild machen müssen.

Graham Jones warf sich in seinen karierten, grauen Anzug. Als er sich im Spiegel betrachtete, zweifelte er allerdings. War Karo nicht zu viel des Guten?
Später hielten ihn die Menschen noch für einen Nachtclubbesitzer oder etwas ähnlich verwegenes!
Er stutzte und warf die Stirn in Falten. War es denn so schlimm, wenn man ihn für Verwegen hielt? Vielleicht schadete ihm ein kleiner Imagewechsel nicht. Er lächelte überzeugt.
Das Graham noch immer so aussah, als wollte er Versicherungen verkaufen, sagte ihm an diesem Tag zum Glück niemand.
Verwegen begab er sich also auf die Suche nach seinem neuen Heim.

Auf den Straßen achtete er, wie immer, möglichst darauf, den Körperkontakt mit all den Menschen zu vermeiden, die um diese Uhrzeit unterwegs waren.
Es war nicht ganz einfach. Hier und da berührte sein Ellbogen den Arm eines fremden Passanten, doch er schrie heute nicht kurz auf, wenn dies passierte. Er hatte sich im Griff. Immerhin zog der Anzug schon genug Aufmerksamkeit auf sich, da wollte er nicht auch noch der Komische sein.
Verwegene fürchteten sich nicht vor Berührungen. Also durfte er das auch nicht.
Er wollte seinem Look immerhin entsprechen und dies gab ihm die Entschlossenheit, heute ein wenig souveräner durch die Stadt zu laufen.

Die erste Adresse war ein kleines Appartement an der Hauptstraße.
Unangenehm rutschte Graham auf der Couch herum, während die zwei Herren, die auf zwei Stühlen gegenüber von ihm saßen, ihn anstarrten.
"Alles in Ordnung?", fragte ihn einer von beiden.
Der Mann war sehr höflich gewesen, hatte Graham Tee angeboten und ihn über alles wichtige informiert. Er war Graham recht ähnlich. Beide waren Mitte Zwanzig, von schmaler Statur, mit braunen Haaren und braunen Augen. Man hätte sie für verwandt halten können.
Natürlich waren die Herren, die sich als Troy und Martin vorgestellt hatten, um einiges entspannter gewesen, als es Graham war. Aber das waren die Menschen oft.
"Der Bezug dieser Couch ist aus einem merkwürdigen Stoff.", bemerkte er und stand auf.
"Würde es ihnen etwas aus machen, wenn die Bezüge bei meinem Einzug ausgetauscht werden?", fragte er ehrlich und erntete verwirrte Blicke.
"Klar. Wenn dich das so stört.", bemerkte Troy und zuckte mit den Schultern.
Graham nickte anerkennend. Er ließ den Blick erneut über die Wohnung schweifen.
Die Fenster waren undicht. Obwohl sie geschlossen waren, spürte er den Durchzug und viel schlimmer noch, hörte er die Stadtgeräusche einer Hauptstraße. Hupende Autos und fluchende Passanten sorgten dafür, dass er sich am liebsten die Ohren ausgestochen hätte.
"Vielen Dank für ihre Zeit, Gentlemen.", verabschiedete er sich und verließ zügig das Gebäude. Troy und Martin hinterließ er mit fragenden Blicken.

Ähnlich verhielt es sich mit den restlichen Adressen.  Entweder Graham fühlte sich von etwas gestört oder aber, die Menschen fühlten sich gestört von Graham.
Mit hängenden Schultern schleppte er sich durch die Straße. Die Sonne setzte allmählich zu einem beherzten Abschied an und färbte den Horizont rötlich.
Wieso war es so schwer, eine Wohngemeinschaft zu finden? Er hatte sich doch angestrengt, nicht all zu anstrengend zu sein, aber doch hatte er kein einziges, positives Ergebnis verzeichnen können.
Es war so entmutigend. Er blieb stehen, nahm den Blick vom Boden. In Gedanken versunken, hatte er gar nicht darüber nachgedacht, wo er eigentlich hinlief.
In dieser Gegend gab es viele Reihenhäuser. Alleen mit vielen Bäumen, die immer wieder ein paar Blätter verloren, die gemächlich zu Boden gingen. Unmittelbar vor ihm eine kleine Kreuzung und an einer Straßenecke befand sich ein kleines Cafè. Wenige Tische waren vor den holzberahmten Schaufenstern hingestellt worden. Direkt an der Ecke des Gebäudes befand sich die Eingangstür. Eine knallrote Holztür mit kleinen Fenstern auf Kopfhöhe.
Graham bedachte es mit Skepsis. Er schürzte die Lippen, nickte dann aber. Er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und auch wenn er nicht gerade mit Geld prahlen konnte, ein Tee und ein Blaubeermuffin würden ihm sicher nicht schaden.

Die wundervolle Welt des Graham JonesWhere stories live. Discover now