2. Laub des Waldes

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Calia war nicht so begeistert. „Mir ist kalt", sagte sie schließlich. Sie fröstelte schon die ganze Zeit, wollte die Anderen damit aber nicht belasten. Doch langsam wurde es ihr unangenehm, besonders jetzt, wo sie sich nicht mehr bewegten. „Wir könnten uns höchstens versuchen gegenseitig zu wärmen, was besseres fällt mir auf die Schnelle nicht ein", antwortete Pan aus der Dunkelheit und sie rückten näher beisammen.

„Meinst du, wir finden Löschi?", fragte Nornea leise. Ihre Stimme klang brüchig, ihre Hoffnung war fast verloren. „Ja. Morgen im Tageslicht werden wir bestimmt irgendwo rauskommen und egal wo das ist, wo Zivilisation ist, ist Hilfe. Doch bis dahin werden wir uns alleine durchschlagen müssen.", sagte der Trommler zuversichtlich.

Der letzte Satz brachte sie alle zum Schweigen. Bis morgen waren sie auf sich allein gestellt. Niemand wusste, wo sie waren und sie wussten es selbst nicht.

„Da nimmt man einmal sein Handy nicht mit", versuchte Elrond es auf eine sarkastische Schiene, doch keinem war nach Lachen zumute. Der ganze Abend war schon grotesk genug, erst trafen sie auf eine sprechende Katze, dann auf eine wunderschöne Lichtung, einen gigantischen Hirsch und einem gefangenem Waldkauz und dann verschwand Löschi spurlos und sie verirrten sich in einem Wald. Es war absurd. Wie konnte so etwas in Deutschland, wo es eigentlich keinen Flecken unberührte Natur mehr gab, passieren? Überall haben Menschen ihre Finger im Spiel, doch bis auf das von Menschen gemachte Netz mit dem gefangenen Waldkauz, waren sie auf keinen einzigen Hinweis auf Zivilisation gestoßen.

„Vielleicht sollten wir versuchen ein bisschen zu schlafen, dann geht die Zeit schneller vorbei?", versuchte Pan vorzuschlagen, doch keiner antwortete. Es war nicht an Schlaf zu denken, dafür war es zu kalt und sie machten sich alle zu viele Gedanken. Pan seufzte, als er selbst anfing zu spüren, wie die Kälte in seine Glieder kroch. Dabei war er doch der, der am wenigsten schnell fror. Wie musste es dann nur den Anderen gehen? Er warf einen Blick nach links, dort wo er sie vermutete, doch bis auf Nornea, die sich an ihn gekuschelt hatte, um etwas von seiner Wärme abzubekommen, konnte er sie nicht ausmachen. Es war einfach zu dunkel.

Irgendwann musste er wohl doch in einen unruhigen Schlaf gefallen sein, denn er erwachte, als Nornea ihn am Arm rüttelte. „Schau mal", flüsterte sie und drehte sich um, um auch die anderen Zwei zu wecken. „Calia! Elrond! Seht! Dort!", raunte sie und zeigte auf einen schwachen Lichtschein zwischen den Bäumen. Sie wollte schon laut auf sich aufmerksam machen, als Pan ihr den Mund zuhielt. „Keine Ahnung, was das ist, aber es sind keine Menschen! Also warte kurz!", befahl er leise. Gespannte sahen sie auf die näherkommende Lichtquelle. Und als sie näher kam, erkannten sie es endlich. Ein Schwarm voller Glühwürmchen suchte sich seinen Weg zielsicher durch die Bäume. Doch im Gegensatz zu dem gewohnten Licht, dass man von Glühwürmchen erwartete, strahlten sie in einem hellen blau, tauchten ihre ganze Umgebung in ein magisches Licht.

Sie näherten sich nur langsam. Und als dieser merkwürdige Schwarm näherkam, erkannten sie auch warum. Der Hirsch von der Lichtung war in ihrer Mitte, umringt von den blau leuchtenden Wesen. Erhaben und nahezu lautlos suchte er sich seinen Weg. Sein Geweih war vollständig von den Glühwürmchen besetzt, sodass es wie eine leuchtende Krone aus Aquamarin erstrahlte. Die leuchtenden Wesen besetzten auch den Boden um ihn herum, sodass es aussah, als laufe er über flüssiges Wasser, mit jedem Schritt stoben sie auf und senkten sich wieder. Mit jedem Schritt erleuchteten sie die Natur ein Stück weiter und die Pflanzen schienen, als reckten sie sich dem majestätischen Tier entgegen. Die ganze Welt schien aufzublühen und auch die Menschen waren fasziniert von seinem Anblick, konnten sich kaum von ihm lösen.

Vor der Gruppe blieb er stehen, senkte sein Haupt und leuchtete so in die müden Gesichter der Band. Eine Weile blieb er so stehen, betrachtete sie, dann richtete er sich wieder auf, stieg wie ein Pferd auf die Hinterbeine, um kurz darauf seine beiden Vorderhufe fest in den Boden zu stampfen. Die Erschütterung war für Außenstehende wohl kaum merkbar, doch für die Bandmitglieder war es wie ein Erdbeben, eine innere Erschütterung. Die Glühwürmchen lösten sich nun von dem Hirsch, schwärmten aus und um die Menschen herum. Sie ließen sich auf alles um sie nieder, setzten sich auf die kalten Körper und den Boden um sie herum. Sie strahlten eine Wärme aus, die sich wie eine schützende Decke um sie alle legte und ein Gefühl mit sich brachte, welches sie durch und durch erfüllte. Es war ein Wohlbehagen, eine Freude und innere Zufriedenheit, die ihre Sorgen erst einmal beiseiteschob. Zudem wurde es angenehm warm und unweigerlich breitete sich ein Lächeln in den Gesichtern der Menschen aus. Der Hirsch schnaubte und blickte sie sanft an. „Danke", meinte Calia leise und konnte nicht anders, als ihren Kopf vor dem Tier zu senken. Es war spontan aus ihr herausgerutscht, doch es fühlte sich richtig an. Der Hirsch nickte kaum merklich, drehte sich um und verschmolz wieder mit der Dunkelheit.

Keiner wagte etwas zu sagen, keiner wollte diesen Moment zerstören, dafür war er zu schön. Stattdessen fielen sie alle in einen friedlichen Schlaf.

WaldgeisterWhere stories live. Discover now