Ally Petters

14 5 3
                                    

„Der Mann wurde mit mehreren der Morde in Verbindung gebracht, als er von Augenzeugen beschrieben und im Umkreis der Opfer aufgespürt werden konnte. Auch Drogen sollen eine Rolle gespielt haben, Amanda Handsen ist vor Ort für uns. Hallo Amanda...", hallte die Stimme der Nachrichtensprecherin durch der Taverne und ging in dem lauten Dudeln der Popmusik beinahe unter.

Ally hatte als einzige Person die Augen starr auf den Monitor gerichtet, beobachtend, wie wenige, verschwommene Bilder ihrer Tatorte auftauchten, gefolgt von dem entstellten, abgemagerten Gesicht eines Mannes. Er sah schlimm aus, grotesk, durch Drogen entstellt, wie es behauptet wurde, sie aber in dieser Extreme noch nie gesehen hatte. Seine Augen waren weit aufgerissen und Blutunterlaufen, das weiß verfärbt und sein Bild tauchte nur so kurz auf, dass man sich eine schwammige Meinung zu ihm bilden konnte. Er stellte den perfekten Täter dar und genau das schmeckte ihr nicht. Ally nippte an ihrem Bier um den sauren Geschmack im Mund runter zu spülen und drehte das Glas zwischen ihren Händen.

Ein winkender Dion McMarshall tauchte als nächstes auf, in die Kameras strahlend und zufrieden verkündend, dass dieser verzwickte Fall hatte so schnell unter seiner Kandidatur gelöst werden konnte. Dass er immerzu an die Fähigkeit seiner Polizisten und Agenten geglaubt hatte.

Es schmeckte ihr nicht. Erneut nahm sie einen großen Schluck und atmete durch die Nase, während das Bier um ihre Zunge spülte. Dann waren da Shaun und Barat, wie sie McMarshalls Hand schüttelten und schließlich von Black eine Medaille verliehen bekamen, für außergewöhnliche Leistungen.

Sie schnaubte, schluckte hart und konnte die Augen doch nicht vom Bildschirm abwenden. Es dämmerte draußen und langsam flackerten die Lichter drinnen auf, die ersten machten sich betrunken zu ihren Autos auf. Sie waren so weit außerhalb von Sydney, dass es nicht ihre Aufgabe war sie aufzuhalten.

Weiterhin erdolchte Ally mit ihren Augen den Bildschirm und die darauf abgebildeten Personen. McMarshall, der große, der Held, mit seiner Ritterschar unter ihm. Sie hatten so plötzlich einen Täter gefunden, ganz ohne Spur und aus dem Nichts.

Es schmeckte ihr nicht nur, es stank bis zum Himmel. Wütend exte sie das letzte Bisschen Bier hinab, stallte das Glas etwas zu hart zurück auf den Tresen und erntete dafür einen bösen Blick des Barkeepers.

Beinahe hätte sie ihn angeblafft, hielt sich aber zurück. Seit drei Tagen hatte sie sich in diesem Kaff vergraben, im Naturschutzpark und so weit weg von der Zivilisation, wie sie innerhalb dieser schlaflosen Nacht gekommen war. Erst hatte sie Heim fahren wollen, war in ihre Straße eingebogen und hatte die aufgerissene Haustüre gesehen, die Gestalten, welche in den Schatten lauerten und die offenen Fenster. Sie war mit dem Verkehr weiter gezogen, ihr Herz so laut pochend, dass sie Angst hatte, jemand könnte es hören.

Sie war erleichtert gewesen, wenigstens ihren Geldbeutel dabei zu haben und wurde erst langsamer, als sie Sydney weit hinter sich gelassen hatte. Die Straßen wurden schmaler, von mehr Löchern durchzogen, die Häuser seltener, bis sie durch Buschland fuhr. Ally selbst war in der Stadt groß geworden und hatte sich nie sonderlich für die große Weite von Australien interessiert. Je weiter man vom Meer und den Städten wegkam, desto komischer wurden die Leute. Bei so viel Küstenlinie, wer wollte da schon freiwillig im Land leben, vor allem die Hitze im Sommer ertragen.

Schließlich hatte sie am frühen Vormittag, nachdem sie ein paar kleinere Ortschaften passiert und beinahe hinter dem Steuer eingeschlafen war, dass sie ein Hotel finden musste. Der Ort hatte zu viele O's und A's im Namen, als dass es gesund gewesen wäre und war von einer schmutzigen Schicht roten Staubs überzogen. Es war ein kleines Kaff, mit zu vielen Bogans und SUV'S vor jeder Haustür. Die ersten verließen ihre Häuser, samt Baumfällerhemden und Vokuhila, wie es sich für den guten Australier gehörte.

Sie hatte beim einzigen Pub im Umkreis gehalten – das leider auch das einzige Hotel war-, vor welchem bereits einiges an Betrieb herrschte, kaum eine Stunde nachdem es geöffnet hatte. Das Pub selbst war klein, voller Arbeiter, welche ihre Mittagspause begannen, sich ein paar zu viele Bier und einen Burger oder Steak gönnten. Ally hatte nach einigem hin und her ein Zimmer bekommen und sich tot müde, ohne ihre Zeit mit einer Dusche zu verschwenden, geschweige denn sich auszuziehen, ins Bett fallen lassen und war augenblicklich eingeschlafen.

Stunden später war sie aufgewacht, gerädert und von einem Alptraum hochgeschreckt, in welchem sie sah, wie die Klauen nach Turner griffen und ihn vor ihren Augen zerrissen. Unangenehm hatte sie etwas hart an ihrem Bauch gespürt und gedacht, dass sie die Nächste war. Schließlich war sie soweit wach geworden, dass sie begriff sich umständlich herum drehte und nach dem harten Gegenstand unter ihrer Jacke griff. Ihre Hand schloss sich um das Buch und erst nicht begreifend was sie dort hielt hatte sie es hervor gezogen. Eine Kante von Blacks Tagebuch hatte sich wohl beim Schlafen in ihre Haut gebohrt. Ally hatte es gelangweilt aufgeschlagen, ein paar Sätze gelesen, um nach wenigen Minuten aufzugeben. Sie konnte sich nicht konzentrieren, war zu aufgewühlt und saß, nach einer schnellen Dusche, im Schankraum um sich dort im Bier zu ertränken.

Eben dies hatte sie erfolgreich getan und grunzte unverständlich, sich damit von der Bedienung verabschiedend und zurück zu ihrem Zimmer wankend. Sie musste Turner finden, sie musste wissen, was passiert war. Sie musste... krachend fiel die Tür hinter ihr zu und sie kam wankend zum Stehen. Mit einem lauten Klicken schaltete sie das Licht an, rechnete beinahe damit, dass Turner auf ihrem Bett saß und sie arrogant angrinste. Nichts dergleichen, lediglich das Tagebuch lag nach wie vor an seinem Platz und Ally ließ sich seufzend zurück auf die Laken fallen.

Ihr Ehrgefühl wollte sie wach halten, schrie, wie sie hatte so feige sein können einfach wegzurennen, ihn im Stich zu lassen. Er konnte tot sein, die Wahrscheinlichkeit war groß. Aber so etwas hatte sie noch nie gesehen, so etwas hatte sie noch nie erlebt und solch eine Angst hatte sie nie verspürt. Niemals hatte sich Ally so hilflos gefühlt, einer Situation unterlegen. Allerdings kam ihr Gewissen nicht gegen den Alkohol und die Erschöpfung an. Eine Hand auf dem Buch schlief sie ausgestreckt auf dem Bett ein.

States of BloodOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz