19.1 Ypéfthynos - Schuld

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„Sie sind keine echte Göttin", sagte Aineas zitternd. „Eine echte Göttin würde so was nicht tun!"

„Du scheinst ja interessante Informationen von den Göttern zu beziehen, Junge. Sag, woher nimmst du die Erkenntnis, echte Götter würden Sterbliche nicht benutzen und manipulieren? Wieso willst du wissen, was die Götter denken und tun?" Die Stimme der Frau war anklagend aber auch neugierig, als hätte sie Interesse daran, mit Aineas einen kleinen Plausch zu halten. „Sag es mir, Junge. Was macht einen echten Gott aus?"

Der metallische Geruch von Blut drang an Medeias Nase. Sie würgte. Ein trockenes, schluchzendes Husten entkam ihrer Kehle, aber sie gab sich keine Mühe, es zu verbergen. Ihr ganzer Körper zitterte und bebte, aber sie wünschte sich, sie würde sich nicht mehr bewegen können. Ihr Inneres wurde ausgelöscht und verging in heißen Flammen der Schuld. Alles, was sie je ausgemacht hatte, schien im Rauch zu verschwinden. In diesem Moment wollte sie sterben. Sie wollte nicht mehr in diesem Loch aus Stein und Tod sein. Einfach aufhören zu atmen. Nicht mehr leben und endlich sterben, damit sie ihre Schwester finden konnte. Sie war schuldig. Sie hatte Theia ermordet. Ihre Geschwister würden sie ächten. Sie hatte gehofft, ihre Eltern im Nachleben wiederzusehen, aber jetzt konnte sie ihnen nicht mehr unter die toten Augen treten. Sie würde in der Unterwelt auf ewig bestraft werden und dann wäre sie von ihrer Schuld befreit. Erst dann könnte sie auf Theias Vergebung hoffen, die sie nicht verdient hatte.

„Du weißt es natürlich nicht", sagte die Frau, „aber was erwarte ich von einem sterblichen Jungen auch? Du hast schließlich dein ganzes Leben, um die Antworten auf meine Fragen zu finden. Vorausgesetzt, du überlebst", fügte sie wispernd hinzu.

Selbst Medeia spürte einen kurzen, kalten Schauer ihren Rücken hinabkriechen.

Es erklangen wieder Schritte. Das Mädchen sog scharf die Luft ein, wobei ihr Rachen vom Geruch des Blutes anfing zu brennen. Blut. Das war Theias Blut und sie hatte es vergossen. Sie, Medeia, war schuld daran.

„Nun, sagt ihr mir langsam meinen Namen?", fragte die Frau heiser. „Ich will, dass ihr wisst, wer euch beehrt hat."

„Streit und Zwietracht?", wiederholte Aineas.

„Das sagte ich."

„Dann weiß ich es", hauchte er. Ein schlurfendes Geräusch folgte, als wäre er einen zaghaften Schritt zurückgewichen. „Eris."

„Oho", erwiderte sie. „Gut gemacht, Junge."

„Aber warum", flüsterte er mit erstickter Stimme. Ein trockenes Schluchzen kam aus seiner Richtung. „Warum habt Ihr das getan?"

„Ich habe es schon gesagt. Ich brauchte einen Herold. Jemand, der meine Dienste verrichten kann. Und dieses Mädchen hatte genügend Zweifel im Herzen, dass ich nicht sehr viel tun musste. Ein paar richtige Worte und schon war sie mir gefügig. In diesem Zustand könnte ich jeden dazu bringen, sein eigenes Kind zu erdolchen", sagte Eris. Ihre Stimme war fröhlich. „Wie du siehst, ist sie schwach genug gewesen, damit ich sie einfach manipulieren kann. Immerhin hat sie ihre eigene Schwester umgebracht! Ha! Und das nicht mal für einen guten Grund. Sie haben ja nicht einmal um einen Jungen gestritten. Es war beinahe langweilig mitanzusehen, aber was will man machen?" Jetzt, da Aineas ihren Namen genannt hatte, hatte er eine Blockade gebrochen. Eris hörte nicht mehr auf zu reden. „Junge Menschen, die von Zweifeln zerfressen sind, aber einen süßen, äußerlichen Schein wahren... solche sind mir die liebsten. Es war so leicht, Medeia zu meiner Dienerin zu machen. Du solltest hören, was ich ihr gesagt habe! Das hat gereicht, damit sie sich von ihrer eigenen Schwester abwendet. Aber gut, sie hat ja noch zwei andere", fügte Eris mit dunklem Unterton hinzu.

Das reichte aus, damit das Mädchen die Kraft fand, den Kopf anzuheben. Ihre Bewegung war schwach. Ihre Augen verquollen. Ihre ganze Haut brannte. Ihr Innerstes stand in Flammen. Ihr Blick fand Eris in der Richtung, in der sie sie vermutete.

LavýrinthosWhere stories live. Discover now