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"Wenn man eine Sache mehrmals träumt, wird sie eines Tages wahr und wenn dir eine Person in deinen Träumen oft erscheint, wirst du ihr vielleicht einmal begegnen."

Schon als ich diese Worte zum ersten Mal hörte, machte ich sie zu meinem Mantra. Bis heute weiß ich zwar nicht einmal, wann, wo oder von wem ich sie hörte, dennoch schrieb ich sie auf und hängte sie an meinen Spiegel. Ich wiederholte sie wie ein Gebet und glaubte daran, wie andere an Gott.

Man konnte sogar meinen, ich gab mich ihnen hin (im Geheimen versteht sich). Es war mir unangenehm, meine Gefühle und Gedanken auszusprechen. Außerdem gehen Wünsche ja auch nur dann in Erfüllung, wenn man sie geheim hält.

Die Erfüllung der eigenen Wünsche lösen bei uns Menschen gewisse Gefühle und Emotionen aus. Manchen verleihen sie sogar einen neuen Lebenssinn, was daran liegt, dass man das Gefühl bekommt, etwas im Leben erreicht zu haben, anstatt seine Lebenszeit zu verschwenden. Immerhin zeigt es uns auch, dass wir unser Leben selbst in der Hand haben; wir können darüber entscheiden, was mit uns passiert oder aus uns wird und das allein durch das Erfüllen unserer Wünsche.

Auf der weiterführenden Schule bekam ich immer öfter mit, wie begeistert meine Klassenkameraden darüber waren, wenn ihnen etwas im Wachzustand passierte, was sie zuvor geträumt hatten - wobei, würde man das Descartes erzählen, würde er zuerst hinterfragen, wie wir denn überhaupt sicher sein können, ob wir träumen oder wach sind oder ob unser Wachzustand nicht einfach eine Illusion ist usw.

Ich jedenfalls wollte dieses Gefühl, dass meine Träume Realität würden, auch spüren. Ich sehnte mich nach dieser Begeisterung in den Augen. Jedoch standen mir die Oneirios - die griechischen Traumgötter - dabei ein wenig im Weg. Um ehrlich zu sein, weiß ich kaum etwas über diese Fabelwesen, dementsprechend auch nicht, ob sie bloß für den Inhalt der Träume oder auch für deren Einfluss oder Kollision mit meiner Welt verantwortlich waren. Vielleicht könnte mich irgendwann jemand eines Besseren belehren.
Außerdem erschien es mir äußerst praktisch, sie dafür zur Rechenschaft zu ziehen, da ich mir die Nichterfüllung nicht anders erklären konnte (oder wollte). Selbst wenn sie nur für den Inhalt meiner Träume verantwortlich waren: dann waren meine Träume einfach zu abstrakt, um wahr zu werden.
Mir ist natürlich bewusst, dass man Träume im übertragenem Sinne verstehen soll oder besser gesagt muss, aber jeder meiner Träume wirkte wie ein Puzzleteil einer anderen Welt.

Die Tatsache, dass ich der Einzige in meinem Freundeskreis war, dessen Träume nicht wahr werden wollten, verwirrte mich, woraufhin ich das Gespräch mit meinem Vater suchte. Ich redete mir ein, an mir würde etwas nicht stimmen, weil mir meine Träume nicht begegnen wollten und ich mich so sehr danach sehnte, dass es mich nahezu umbrachte. Denn etwas krampfhaft zu wollen, raubt dir erst den Verstand und bringt dich dann um.

Selbstverständlich erzählte ich ihm nicht, was ich träumte - das würde meine Chancen nur verschlechtern. Mein Vater reagierte überrascht und erst machte er den Eindruck, als hielt er mich für verrückt oder eigenartig, er stempelte mein Gerede über Träume bestimmt als Aberglaube ab, was ich ihm nicht böse nahm.
Doch als meine Augen anfingen glasig zu werden, weil ich ehrlich an meinen Gedanken verzweifelte, begriff er wie ernst es mir war. Er bat mich neben sich und rückte seine Lesebrille zurecht. Ich erinnere mich noch genau an seine Worte: "Manchmal reicht es nicht aus, einfach nur an etwas zu glauben. Manchmal muss man die Dinge niederschreiben, damit sie wahr werden. Manchmal musst du sie dir wie ein Gebet täglich vor Augen führen."

Seine Worte waren der Grund meines Mantras und sie veranlassten mich dazu, ein Traumtagebuch zu schreiben. Am Anfang war es reine Routine, dann wurde es ein Ritual und schließlich eine Sucht.

Verstärkt wurde meine Traumtagebuch-Sucht durch die Tatsache, dass ich seit meiner Pubertät an der seltenen Schlafkrankheit Narkolepsie leide, welche durch den Verlust von Nervenzellen, die einen bestimmten Botenstoff produzieren sollten, verursacht wird. Glücklicherweise ist die Narkolepsie bei mir noch nicht so stark ausgeprägt und es kommt daher eher selten zu sogenannten Schlafattacken, jedoch kann bei mir auch nicht sicher festgestellt werden, in welchen Situationen ich dem Schlaf verfalle, wohingegen bei anderen Patienten häufig Stresssituationen der Auslöser dafür sind oder bei Patienten mit Traumata triggernde Ereignisse den Schlafzustand auslösen.

the prophecy of thousand lifesWhere stories live. Discover now