1. Kapitel

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Stöhnend richtete ich mich auf. Meine Matratze müsste unbedingt mal ausgetauscht werden, dass würde mir zumindest mir meine Wirbelsäule danken. Aber unser Geld langte ja gerademal so für anständige Kleidung und das notwendigste Essen. Mit Kreuzschmerzen richtete ich mich auf und rieb mir die Augen. Ein normaler Schüler würde das Wochenende willkommen heißen, feiern gehen oder noch 3 weitere Stunden schlafen. Schon länger träumte ich davon, wie ein normaler Teenager zur Highschool zu gehen, Freunde zu treffen oder mit meinem Schwarm in einer Eckedes Flurs wild knutschend von einem Lehrer erwischt zu werden. Aber das alles ist in den letzten 19 Jahren an mir vorbei gegangen. Ich hockte jetzt schon mein Leben lang in diesem Loch fest, ohne Aussicht auf Verbesserung, habe noch nie ein anderes Land besucht. Nicht mal etwas anderes gesehen, außer unser Nachbardorf und vielleicht den Wald, wenn man den dazu zählen konnte. Also auchkeine Highschool oder College. Meine Mutter unterrichtete mich in den letztenJahren zu Hause, aber auch nur an Wochenenden, da sie unter der Woche mitunserem Bauernhof beschäftigt war. Jetzt, wo sie mir alle Basics erklärt hatte und der Meinung war, dass ich auf dem College bestens zurecht kommen würde, schickte sie mich an ein College, weiter von hier entfernt, als mir lieb ist. Ganz urplötzlich. Sie wollte, dass ich irgendetwas studiere und damit mir ein besseres Leben aufbaue als das hier. Wie ist mir allerdings dabei eine Frage,da ich ja nicht mal einen Mensch des anderen Geschlechts getroffen habe. Alsobis jetzt sieht meine Zukunft sehr primitiv aus. Aber ich habe mir in den letzten paar Jahren angewöhnt, nicht zu sehr über die Zukunft nachzudenken (die kann man sowieso nicht mehr ändern), sondern jeden Tag so zu nehmen, wie erkommt. Manchmal klappt das besser und manchmal nicht so gut. Früher habe ich mir noch meine Fantasiewelt zusammengeträumt, aber jetzt mit 19 ist mein Leitsatznur noch „einfach diesen Tag überleben". Jetzt war früher Morgen an einem Samstag,ich war noch todmüde, aber es sah eigentlich nach einem Super-Tag aus. Vor ca.3 Jahren setzte ich mich dafür ein, dass wenigstens Samstage für mich frei bliebenund tatsächlich, was mich sehr wunderte, erlaubten mir meine Eltern, unter derBedingung, dass ich nachts nicht mehr fort ginge, diese Tage für meine eigenenInteressen zu nutzen, da ich nicht mehr so viel Stoff für das College zu lernenhatte. Und so plante ich, heute noch einmal zu der Ruine zu gehen, in der ichmich als kleines Mädchen so gerne mit Fantasiefreunden getroffen habe. Ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass ich schon fast die Hälfte des Tages verschlafenhatte. Ich konnte mich nur noch daran erinnern, dass ich tot müde vom Ausmistendes Kuhstalls in mein Bett gefallen war und sofort tief und fest eingeschlafenwar. Aber wenn ich jetzt im Bett liegen bliebe, würde ich mit Sicherheit nocheinmal einschlafen. Bevor mich die Müdigkeit ein weiteres Mal übermannen konnte,schwang ich meine Beine über die Bettkante, zog meine Hausschuhe, die ich mirvor ein paar Jahren gegönnt hatte, als ich jeden Winter von unseren kaltenFliesen krank wurde, und torkelte Richtung Badezimmer. Ein Blick in den Spiegelbestätigte meine Vermutung. Gestern Abend war ich so müde gewesen, dass ichkeine Zeit mehr gefunden, mich „Bettfertig" zu machen. Meine Haare sahen soaus, als hätte ein Vogel darin genistet und die Ringe um meine Augen ließenerahnen, wie viel ich heute Nacht geschlafen hatte. Ich nahm die Bürste von demRegal und fuhr mit ihr durch meine dicken Locken. Als ich das dritte Mal mitdieser hängen blieb, gab ich es auf, diese entwirren zu wollen, und band mirmeine braunen, lockigen Haare mit einem Gummi nach hinten und wusch mir mit einemTuch das Gesicht, tuschte die Wimpern und die Ringe verdeckte ich mit demteuren Concealer meiner Mutter. Dieser war das einzige, was meine Mutter sich,trotz unserer Geldebbe, kaufte. Schnell war ich auch angezogen, riss die Badtürauf, nahm in der Eile zwei Stufen auf einmal und ging Richtung Haustür, währendich mir die Jacke überzog, die ich von dem Haken genommen hatte. „Mom? Ich binmal weg!", rief ich meiner Mutter, die in der Küche gerade einen Hefeteig bearbeitete, zu. „Ist gut Chriss! Sei aber bitte bis spätestens zum Abendessen zurück." „Ist gut Mom!" Ich schnappte mir noch einen Apfel aus der Schale, dieauf unserem Küchentisch stand und steckte ihn mir in die Tasche, die ich mirebenfalls von meinem Haken nahm und knöpfte meine Jacke zu. Am Ende zog ichnoch meine Hausschuhe aus und tappte barfuß zu dem kleinen Schuhschrank, in demdrei Schuhe standen, die wir uns, als der Verkauf mal gut lief, gekauft hatten.Ich hatte meine nicht oft an, aber heute sah es draußen etwas kühler als sonstaus. Als ich gerade aus der Tür trat, lief ich fast in meinen Vater hinein, dermich verwirrt anblickte. „Chriss! Wohin gehst du?" Ich zuckte nur mit denSchultern und machte mich auf den Weg Richtung Bäume, die ich schon am Horizontentdecken konnte. Ich habe schon seit längerem keine Lust mehr, mit meinemVater zu reden. Er hatte sich sehr verändert in der letzten Zeit und ich hatteso ein Gefühl, das ich eine Last für ihn wäre, denn mit meiner Mom kam er nachwie vor bestens aus. Als ich ihn daraufhin deswegen ansprach, meinte er nur, erhabe wenig geschlafen und sei deshalb so wortkarg. Dies hätte ich auchgeglaubt, hätte ich ihn nicht 5 Minuten später mit meiner Mutter laut lachengehört. Vielleicht aber hatte ich auch etwas getan, was ihn verärgert hatte. Aberdann konnte man doch miteinander reden, oder? Ich lief über unseren Hof und ander Kreuzung, wo man entweder Richtung Dorf, Richtung Wald oder unseren Bauernhofkam, nahm ich den Weg nach rechts Richtung Wald und stapfte den steinigen Weg entlang.Man kam auch zu den Bäumen über unser Grundstück, aber dafür musste man anunseren Koppeln für Schafe, Kühe und unserem Pferd vorbei, außerdem am Hühnerund Schweinestall, sowie an unseren Eseln. Obwohl man eigentlich denkt, dassdieser Weg viel kürzer war, lief man solche Schleifen, dass dieser ein totalerUmweg war. Früher durfte ich an Sonntagen ab und zu auf dem Pferd reiten, daswir einmal auf meinen Wunsch hin, mit dem Hintergedanken, es später zuschlachten, gekauft hatten. Ich hatte aber meinen Vater so lange angebettelt,dass arme Pferd doch in Ruhe zu lassen, dass er tatsächlich einwilligte und mirdas Pferd für Reitübungen überließ. Damals freute ich mich immer, wenn ichendlich meine geliebte Tory satteln und Richtung nächstgelegenes Dorfgaloppieren durfte. Dort kannte mich jeder und ich fühlte mich, wie in einerkleinen Gemeinschaft, wenn ich die strahlenden Gesichter sah, die mir zulächelten,sobald ich sie grüßte. Auf dem Pfad lagen einzelne lose Steine, und ich kicktesie gedankenverloren ein paar Metern vor mir her. Sie kullerten noch ein Stückvor mir entlang, bevor sie endgültig liegen blieben. Nach einiger Zeit, diesich eher wie Stunden als Minuten anfühlte, kam ich bei den ersten Bäumen an.


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⏰ Last updated: Nov 20, 2018 ⏰

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