2| Illusion eines Engels

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Eleya

Unschlüssig stand ich vor dem Spiegel. Seit gefühlten Stunden blickte ich meinem ausdruckslosen Ebenbild entgegen und versuchte, im Stillen Abschied von meinen schwarzen Haaren und den dunklen Augen zu nehmen.

"Du kannst dich jederzeit zurückverwandeln, mach jetzt mal kein Drama draus, Eleya", sprach Levian, der genauso lang auf meinem Himmelbett saß, wie ich vor dem Spiegel stand.

Seufztend schaute ich zu meinem Bruder herunter. Er hatte ja keine schwarzen Haare, sondern schon so eine engelsähnliche Haarfarbe. Wieso konnte er nicht gleich den Gott spielen, der das Engelsreich stärkt?

"Ich will nicht so aussehen wie diese Weicheier", motzte ich gequält und Levian verdrehte die Augen.

"Ich bin auch blond, weißblond sogar, und sehe ich aus wie ein Weichei?", wollte Levian rhetorisch wissen.

"Ja", fuhr ich ihn an. Natürlich stimmte das nicht, aber das brauchte ich ihm ja nicht noch unter die Nase reiben.

"Levi, du bist einer der Familie Card, du könntest grüne Haare haben und würdest aussehen wie Sex in Person. Das haben wir nunmal so an uns", quengelte ich dann nachgiebig und ließ mich neben ihm aufs Bett fallen. Dann vergrub ich mein Gesicht in den weichen Kissen.

"Apropos Sex. Leya ich habe mit Marcus geredet und wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass du, naja- dass dir der Geschlechtsverkehr mit den Engeln in der nächsten Zeit untersagt bleibt."

Sofort richtete ich mich auf. "Das ist nicht euer Ernst! Wieso? Mit wem soll ich denn dann schlafen?", rief ich erschüttert. Was erlaubten sich meine Brüder überhaupt, über mein Liebesleben zu entscheiden?

"Lass es uns erklären. Du kannst Sex nur haben, wenn du in deinem richtigen Körper bist, weil man sich in einer Illusion nicht fortpflanzen ka-"

"Ich kann mich eh nicht fortpflanzen!"
"Ja erklär das doch den Naturgesetzen!", rief Levian zurück und ich schenkte ihm als Antwort nur einen giftigen Blick, ehe ich mein Gesicht wieder in das Kissen drückte. Das konnten meine Brüder sowas von vergessen!

"Jetzt verwandle dich schon, Leya. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit, bis sich die Portale zu der Akademie schließen", forderte er mich schließlich sanft auf und strich mir über den Rücken. Seufzend erhob ich mich und schlürfte hinüber zu dem Wandspiel.

Nur schwierig konnte ich mich von meinem richtigen Aussehen trennen, bis der schwatze Rauch aus meinen Hautzellen austrat und meinen Körper in warm einhüllte. Die Kraft zischte wie elektrische Energie durch meine Adern, bereit, um Meisterwerke zu verüben.

Genervt schloss ich die Augen, stellte mir eine engelsgleiche Person vor, mit dessen Aussehen ich bedenkfrei vor in diese Schule treten konnte. Ich fing an bei den Haaren, orientierte mich dabei an Levians sanften Wellen, ja fast schon Locken, von einer hellblonden Farbe. Meine Kopfhaut prickelte, als ich mich den Augen zuwandte. Dabei entschloss ich mich, klassisch die himmelsblaue Iris zu wählen und mich von meinen fast schwarzen Augen zu verabschieden. Das Prickeln an meiner Kopfhaut stellte sich langsam aber sicher ein, an dessen Stelle breitete sich nun eine angenehme Wärme um meine Augenpartie aus. Leise knurrte ich. Auch wenn ich mein Aussehen noch nicht mal gesehen hatte, hasste ich es jetzt schon abgrundtief. Es spiegelte einfach nicht meine Seele wider.

Daraufhin wählte ich einen neutralen, blasseren Hautton, eine etwas kleinere Oberweite, die einem gut gefülltem B Körbchen entsprach, und schmalere Lippen, heller und herzförmiger. Zum Schluss sorgten unscheinbare Sommersprossen für das i-Tüpfelchen und ließen meine Laune an dem Tiefpunkt ankommen. Sommersprossen. Schrecklich.

Lamgsam lichtete sich der Nebel wieder und ich öffnete meine Augen, schloss sie aber gleich wieder, als ich einen Blick auf mein Spiegelbild geworfen hatte. Ein Engel. Ich war zu einem fucking Engel mutiert!

"Wow. Du siehst- anders aus", hörte ich Levians faszinierte Stimme von der Seite und keine Sekunde später stand er neben mir und beäugte mich neugierig. Ich warf ihm einen warnenden Blick zu und guckte dann erneut in den Spiegel. Die junge Frau, die wohl verrübergehend meinen Körper im Griff hatte, sah genauso aus, wie in meinen Vorstellungen.

"Du sahst vorher definitiv geiler aus, Schwesterchen, aber jetzt käme man wenigstens auf die Idee, dass wir Geschwister sein könnten", grinste er keck und legte einen Arm um meine Schulter, was ihm perfekt gelang, da ich ein paar Zentimeter an Höhe verloren hatte.

"Vielleicht wollte ich auch gar nicht, dass man sieht, dass du mein Bruder bist", murrte ich sakastisch, während ich mir mein Kleid über die Schultern zog und zu meinem Ankleidezimmer maschierte. Das Kleidungsstück passte mir jetzt nicht mehr, ich war kleiner, zwar nicht unbedingt dicker, aber nicht mehr so definiert wie zuvor.

"Was tragen Engel so?", rief ich meinem Bruder aus dem Ankleidezimmer entgegen und kramte wärenddessen durch meine vielen Kleider, an vielen hing sogar noch ein Preisschild, so gefüllt war der Schrank.

"Was weiß ich. Nichts Schwarzes. Blau oder weiß", antwortete mir mein Bruder und ich knirschte mit den Zähnen. Weiß, Gott, dass ich nochmal so weit sinken würde.

Schlussendlich hatte ich mich für weiße Unterwäsche und ein dunkelrotes Samtkleid entschieden, welches ich mit schwarzen High Heels kombinierte. Stolz trat ich aus dem Zimmer und präsentierte mein stylisches Outfit Levian, der nur zweifelnd eine Augenbraue hochzog.

"Schwarze Schuhe und ein dunkelrotes Kleid- Mal dir doch gleich mit Edding 'Seht her, ich bin kein Engel' auf die Stirn", sprach er augenverdrehend und ich öffnete entrüstend meinen Mund.

"Ich habe weiße Unterwäsche an!", versuchte ich mich zu rechtfertigen doch der Blonde schüttelte nur seufzend den Kopf. "Du sollst dich aber nicht gleich vor allen ausziehen, Eleya. Von der Unterwäsche sieht man doch nichts!", rief er verzweifelt, doch ich stemmte meine Hände empört in die Hüfte.

"Es geht um das Feeling, Levian. Fühle ich mich wie ein Engel, bin ich auch einer", sprach ich theatralisch und warf übertrieben meine Haare zurück, hielt aber mitten in der Bewegung inne und ließ meine Hand zuckend zurückfahren. Das waren nicht meine Haare und sie fühlten sich unglaublich ekelhaft an. So weich.

"Dir ist nicht mehr zu helfen. Mach was du willst, aber sei in fünf Minuten unten", seufzte er ergeben und lief aus dem Zimmer. Was ein Idiot. Ich war klein, zierlich, hatte Sommersprossen und blonde Haare- Mehr Engel ging ja wohl nicht!

Queen Of HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt