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Sie war verdächtig still. Zu still. Seine normalerweise vor Emotionen überlaufene Frau klammerte sich regungslos an ihn und schien noch nicht mal richtig atmen zu können.

Als das Sicherheitssystem ausgelöst worden war, hatte er sich gerade in einer der Trainingshallen der Soldaten befunden. Er inspizierte persönlich die Männer und Frauen, die ihnen voraus nach Paris fliegen würden, um die Stadt von oben bis unten abzusichern. Nicht mal eine Maus sollte ohne ihres Wissens die Stadt betreten können. Angeführt wurden sie von Adele, einem seiner Türme. Eine erstklassige Scharfschützin, ausgestattet mit den Augen eines Adlers. So gut wie nichts entging ihrem scharfen Blick, weshalb er sie vor fünf Jahren vom KGW abgeworben hatte.

Er hatte sich gerade ihren Vortrag zu Ende angehört, da waren plötzlich die Sirenen losgegangen und überall aktivierten sich die hochsensiblen Laser und hitzeverstärkten Schilder. Bei einem Angriff konzentrierten sie sich normalerweise nur auf das Areal, welches von Eindringlingen betroffen war, aber ein kurzer Scan durch seinen Key-Schlüssel bestätigte ihm, dass sie überall aktiviert worden waren. Der einzige Zugang zur Aktivierung befand sich auf seinem Laptop, in seinem Büro. 
Alistair hatte ihm vor genau fünf Minuten die Nachricht gesendet, dass Mia dort auf ihn warten würden.

Ihm wurde schlecht. 
Er war ohne ein weiteres Wort losgestürmt. Er hatte jede Wand einzeln deaktiviert, seine Konzentration gefährlich kippend, aber er sah nur Mia, gefangen in einem Raum, der ihr fremd war. Er hatte sich noch nicht einmal gefragt, wieso die Schilde aktiviert worden waren, nur, wie es seiner Frau ging.

Eine kurze Anfrage an Alistair reichte, um zu wissen, dass wenigstens er nah genug gewesen war, dass er das Büro unbeschadet hatte erreichen können. Das Bild, das er ihm allerdings über die Key-Schlüssel sendete, ließ ihm das Blut in den Andern gefrieren. Mias Gesicht war aschfahl.

"My Lord!" Adele hatte ihn bei der Treppe im ersten Stock eingeholt. "Werden wir angegriffen?" Für den Bruchteil einer Sekunde klärte sich sein Kopf. Er konnte unnötige Opfer nicht gebrauchen, nicht, wenn sie in wenigen Wochen ihren Angriff auf Asien fortsetzten wollten. "Keiner soll sich rühren, ich kümmere mich darum", befahl er der großgewachsenen Frau, die klug genug war, seinen Befehl nicht zu hinterfragen.

Er wusste, er hatte das Richtige, Notwenige getan. Aber, als er Mia jetzt so still in seinen Armen vorfand, wünschte er sich, dass er diese während den Sekunden, die er mit Reden verschwendet hatte, früher bei ihr gewesen wäre. Ein vollkommen unlogischer Gedanke, ein Paar Sekunden mehr oder weniger hätten nichts an ihrem Gemütszustand geändert. Und dennoch nagten diese Sekunden an ihm wie eine Ratte an dem Fleisch eines toten Mannes. 

Sie hatte es nicht mit Absicht getan, so viel war ihm klar. Genau genommen, stellte er überrascht und fast schon resigniert fest, hatte er nie daran gezweifelt, dass Mia möglicherweise die Schilde deshalb aktiviert hatte, um sie in ihrem eigenem Heim zu Gefangenen zu machen. Sie hätte nicht wissen können, dass er einen zweiten Ausschalter besaß.

Stattdessen glaubte er inbrünstig, dass sie versehentlich das Sicherheitssystem aktiviert hatte, selbst, wenn sie nichts an seinem Laptop zu suchen gehabt hatte.

Aber auch diesen Fehler ihrerseits, gestand er sich steif ein, wurde unter dem lähmenden Gefühl begraben, dass ihr etwas hätte passieren können. Sie hätte zum Beispiel das Schild berühren können und wäre somit für immer für ihn verloren gewesen.

Diese...Gefühle erschienen ihm immer noch mehr als ungewohnt, aber inzwischen brodelten sie in einem flüssigen Strom an die Oberfläche seines Bewusstseins, als wären sie schon immer da gewesen und hätten nur auf sie gewartet. Dabei konnte er mit Sicherheit sagen, dass vor wenigen Monaten nichts außer der Freude am Töten und Erobern in ihm gewesen war. Die Spiele, in denen er am besten war.

"Mia", sagte er schließlich mit rauer Stimme und zwang sie dazu, ihn anzusehen. Tränen liefen ihr die Wangen hinab und er verstand erneut nicht, wieso. Lag es vielleicht am Schock? " Du hast einen Fehler gemacht, aber... das ist nicht schlimm."

Er duldete keine Fehler. Das sie den möglicherweise anwesenden Spionen in diesen Gemäuern verraten hatte, wie ihre Sicherheitsanlage funktionierte, war zwar nur schwerlich als ein einfaches Missgeschick zu bezeichnen, aber er sprach die Wahrheit, als er sagte, er sah es nicht als weiter schlimm an. Er hatte keinen Drang, sie zu bestrafen oder gar zu töten.

Mia kämpfte mit den Tränen, als ihre Hände sich fester in den Stoff seines Hemdes krallten. "Wie viele sind...", sie musste schwer schlucken, bevor sie weiter sprach, "Wie viele sind getötet worden?"

Diese Frage brachte ihn kurzeitig aus dem Konzept, was hatten sie die Tode anderer zu interessieren, Hauptsache ihr ging es gut! Aber Mia schien es todernst damit zu meinen. Ihre Lippen waren blutleer, so fest presste sie sie zusammen. Genauso hatte sie geschaut, als er im Harem dieses lästige Insekt von sich gepflückt hatte.

Er machte einen kurzen Scan jedes Key-Schlüssels in der Umgebung, denn jeder seiner Untertanen musste einen tragen, selbst die Frauen, mit denen sich seine Soldaten vergnügten. Er war kurz von der niedrigen Zahl überrascht. Außer ihm und seinen engsten Generälen wusste niemand von der Wirkung der Schilde. Dreizehn waren bei Leibe nicht viele, aber Mias Gesichtausdruck verriet ihm etwas anderes. Sie würde sich die Schuld dafür geben. Er wollte nicht, dass sie sich die Verantwortung für diese minderwertigen Kreaturen aufbürdete. Er wollte nicht, dass ihr Leuchten in sich zusammenfiel und wieder die Schatten zurückließen, die sie so lange im Griff gehabt hatten.

Schaudernd erinnerte er sich an die Tage in seinem- ihrem Anwesen in England zurück. Damals hatte er seine Emotionen noch nicht zuordnen können, aber es hatte ihn Tag für Tag weiter aufgefressen. Bis er eines Tages der Wut die Oberhand gegeben hatte und sein Zimmer in ein Schlachtfeld verwandelt hatte. Er mochte ihr jetziges Schlafzimmer. Mia mochte ihr jetziges Schlafzimmer. Er würde es nur ungern zerstören. "Es hat nur eine Person getroffen, Darling", log er und lächelte in sich hinein, als eine unsichtbare Last von ihr abzufallen schien.

"Dann hat es also nur diese Frau getroffen", murmelte sie leise, mehr zu sich selbst als zu ihm. Er runzelte die Stirn und führte einen erneuten Scan der Key-Schlüssel durch. Tatsächlich befand sich einer der Inaktiven direkt vor dem Raum. Er hatte die Leiche in seiner Eile wohl übersehen. Jetzt wollte er rausstürmen und sie zerstückeln. 
Wenn sie direkt vor dem Raum gestorben war, hieß das, dass Mia wohl hatte mitansehen müssen, wie sie dahingerottet ist. Ihm wurde heiß und kalt zugleich, hielt seinen Körper jedoch davon ab, sich anzuspannen. Es wäre für Mia nur unangenehm.

Vor zwei Jahren hatte er dieses Sicherheitssystem selbst mitentwickelt und dafür gesorgt, dass seine Feinde auf die grausamste und groteske Weise starben, die man sich vorstellen konnte. 
Er hatte damals die Prozedur mit Freuden mitangesehen. Mia... wird wohl das genaue Gegenteil verspürt haben. Was, wenn sie das ihren Schatten wieder näher brachte? Er wusste, dass seine Frau kein Schwächling war. Wie sie dem Terroristen das Auge ausgestochen hatte, war ihm noch bildlich vor Augen. Wie sie Pauls Todesurteil verkündet hatte, klingelte immernoch in ihm nach. Aber sie hatte etwas gegen unnötige, "unverdiente" Gewalt. Es machte sie krank vor Kummer.

Sein Griff um sie verstärkte sich. Allein die Vorstellung, sie wieder kalt und regungslos vor ihm liegen zu sehen, ließ ihn schwarz und rot sehen. Allein das Gefühl, sie wieder an ihre Schatten zu verlieren, ließ ihn versteinert und eiskalt zurück. 
Eher würde er diese Welt in Flammen aufgehen lassen, damit es niemals erneut dazu kommen müsste.

B

Schachmatt #3 Das Spiel der Könige Where stories live. Discover now