Dem Abgrund so nah

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»Da Vergänglichkeit für uns gleichbedeutend ist mit Schmerz, klammern wir uns verzweifelt an die Dinge, obwohl sie sich ständig ändern. Wir haben Angst loszulassen, wir haben Angst, wirklich zu leben, weil leben lernen loslassen lernen bedeutet. Es liegt eine tragische Komik in unserem Festhalten: Es ist nicht nur vergeblich, sondern es beschert uns genau den Schmerz, den wir um jeden Preis vermeiden wollten.» -Sogyal Rinpoche, Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben

Kapitel 1: Dem Abgrund so nah

Die Tage waren kürzer geworden, oft wurde es schon am Nachmittag dunkel. Der immerwährende graue Himmel verhinderte zunehmend, dass es überhaupt wirklich Tag wurde. Er wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal die strahlende Sonne überhaupt gesehen hatte. Die Stimmung war auf einem Tiefpunkt angelangt.

Hier im herbstlichen Wald, etliche Bäume hatten längst das Laub verloren und der Winter stand kurz vor der Tür, wirkte alles noch wesentlich aussichtsloser auf ihn. Harry wusste nicht mehr weiter, sie waren nicht klüger als noch vor drei Wochen als Ron, sein bester Freund, sie in Stich gelassen hatte.

Weder er noch Hermione hatten eine Ahnung, wo sie noch nach den Horcruxe suchen sollten, sie hatten viel zu wenige Informationen, mit denen sie arbeiten konnten. Es wurde Tag für Tag schwieriger sich zu verstecken, sie wurden überall gesucht und irgendwann, davon war Harry überzeugt würde sie das Glück verlassen.

Zu allem Überfluss kam bei all der ständigen Angst, dieses verfluchte Medaillon hinzu, es machte beide nur noch emotionaler. Harry wusste nicht, was für einen Effekt es auf Hermione hatte, bei ihm jedoch schürte es Wut aber vor allem Hoffnungslosigkeit.

Sie waren nur zwei Teenager, die gegen eine ganze Armee ausgebildeter Zauberer antraten mit kaum Informationen, immer weniger zu Essen, es war, wenn er drüber nach dachte tatsächlich aussichtslos. Sie hatten nur noch sich. Harry schluckte schwer, in was für einen Albtraum hatte er Hermione da nur hinein gezogen?

Entschlossen nahm er das Medaillon, was um seinen Hals hing, ab und ging ins geräumige Zelt. Eigentlich war Hermione mit der Wache dran, doch saß sie völlig niedergeschlagen über ihre Bücher gebeugt und suchte nach irgendetwas, was ihnen helfen könnte. Sie war noch weniger als er in der Verfassung wache zu halten oder gar das Medaillon zu tragen, was ihr nur noch mehr zusetzen würde.

»Hermione.«, krächze er, sie hatten kaum miteinander geredet in den letzten Stunden.

Müde drehte sie sich zu ihm um, auch in diesem schlechten Licht, kam er nicht umhin zu bemerken, wie leblos ihre Augen wirkten, wie dünn sie eigentlich geworden war. Er sah wahrscheinlich nicht besser aus und doch störte es ihn wesentlich mehr sie, so erleben, wie ein langsam sterbendes Feuer, vielleicht das letzte in seinem Leben.

Wortlos stand sie von der Holzbank auf und ging zu ihm um das Slytherinmedaillon entgegenzunehmen, doch er gab es ihr nicht. Fragend sah sie zu ihm auf.

»Wir müssen reden.«, erklärte er leise.

Seit Tagen hatte es in ihm gearbeitet, immer wieder hatte er den Mut verloren, weil er wusste, dass Hermione nichts davon wissen wollte aber, dies wurde ihm mehr und mehr bewusst, er musste es aussprechen, sonst würden ihn die Ängste auffressen.

»Was ist-«

»Ich will davon nichts hören!«, zischte sie und wandte sich energisch ab, setzte sich wieder auf die Bank.

Natürlich, sie ahnte bereits, worauf Harry hinaus wollte, er hätte es wissen müssen.

»Wenn wir es nicht schaffen?«, sprach er unbeirrt weiter und setzte sich gleich neben sie hin.

»Wir werden alle Horcruxe finden und zerstören, dann Du-weißt-schon-wen für immer besiegen.«, entgegnete sie ihm halbherzig.

»Glaubst du das wirklich, Hermione?« Er suchte den Blickkontakt, doch wich sie ihm aus.

»Ich muss daran glauben, was bleibt mir sonst übrig?« Als sie das sagte, hatte sie Tränen in den Augen.

Wieder atmete er schwer durch, seine Befürchtungen so auszusprechen, machte sie nur noch wirklicher und, so glaubte er, würde auch bei Hermione die Hoffnung auf ein glückliches Ende schmälern. Aber er kannte sie, Hermione war nicht dumm, sie musste doch ähnliche Gedanken haben, wie er selbst auch nur hielt sie ihre Fassade aufrecht.

»Ich glaube nicht daran. Ehrlich gesagt, denke ich, dass wir verdammt viel Glück haben, wenn wir dieses Jahr noch überleben.« Völlig nüchtern sprach er es endlich aus.

»Oh, Harry, bitte!« Mit Entsetzen hielt sie eine zitternde Hand vor ihren Mund.

»Wir werden weder Ginny noch Ron lebend wieder sehen.« Seine Stimme brach ein wenig und wie zum Trost legte Hermione ihre Hand auf seine.

Einerseits war es schrecklich so zu reden doch andererseits, erleichterte es ihn so unglaublich. Sie wussten beide zu gut, dass ihre Chancen denkbar schlecht standen.

»Wir haben nur noch uns und wer weiß wie lange noch.« Die Vorstellung sie auch noch zu verlieren, am Ende alleine zu sterben, ging ihm wesentlich näher als erwartet.

Ihm standen selbst die Tränen in den Augen, er, nein, sie waren viel zu jung dafür.

Hermione legte ihre Arme um ihn, lehnte sich gegen ihn.

»Wir werden es schaffen, ich tue alles dafür.«, leise aber bestimmt sagte sie dies.

»Ich bewundere dich dafür, aber selbst die cleverste Hexe kann das Unvermeidliche nicht verhindern.«, beharrte Harry.

»Aber wir können doch nicht einfach aufgeben.« Seine Hoffnungslosigkeit färbte nun auch auf sie ab, sie hatte keine Gegenargumente mehr.

»Nein, aber wir können das Beste aus der Zeit machen, die uns bleibt. Ich wollte immer eine eigene Familie haben.«, fast träumerisch sagte er dies.

Harry spürte, wie Hermione ihn mitfühlend ansah, sie wusste um seinen Herzenswunsch umso mehr tat es weh, vorzustellen, dass er dies vielleicht nie haben würde. Aber es war auch ihr eigener Traum, irgendwann wieder eine Familie zu haben.

Von einer ungewohnten Ruhelosigkeit beseelt drehte sich Harry zu ihr hin, die Lösung war so naheliegend.

»Heirate mich, Hermione!«, hörte sie ihn plötzlich sagen und zu ihrem Entsetzen schien es sein völliger Ernst zu sein.

VerzweiflungstatOn viuen les histories. Descobreix ara