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Lucian:

Es dauerte bis zum Morgengrauen.
Solange konnte ich ihre unregelmäßigen Atemzüge wahrnehmen, wie sie rasselnd Luft holte und sie nach kurzer Zeit angespannt wieder ausstieß.
Erst, als die ersten Lichtstrahlen durch den kleinen Spalt zwischen den Vorhängen lugten und den Raum durchfluteten, bewegte sie sich. Ich sah, wie sie langsam ihre Beine über den Teppich ausstreckte.
Ihre Knochen knackten dabei leise, starr von der Position, die sie die restliche Nacht eisern eingehalten hatte.
Leicht drehte ich meinen Kopf zu ihr, ich selbst hatte mich neben das Fenster an der Wand niedergelassen.

Alles in mir schrie nur so danach, dass ich mich zu ihr setzen, sie in den Arm nehmen und sie solange halten sollte, bis sie ihre Sorgen, Ängste und die Finsternis loslies.
Doch ich hielt dem brennenden Verlangen stand und stemmte mich mit aller Macht gegen meine Instinkte, wobei meine Finger sich in dem weichen Teppich krallten. Als würde mich das aufhalten zu ihr zu stürzen.
Ich war mir nicht darüber im Klaren, ob das gleiche wie in der Nacht zuvor geschehen würde.
Wieder spielte sich diese Szene in meinem Geiste ab. Der kurze Hautkontakt, als sie nach mir griff. Ihre verkrampften Finger um mein Handgelenk, das euphorische Prickeln in mir. Und dann die Bilder, die durch das Mateband vor meinen Augen aufgetaucht waren und mir die Sicht versperrten, die Luft zum Atmen raubten.
Zuerst sah ich nur rot.

So viel blutrot, dass ich zu ersticken drohte.
Und nach kurzer Zeit mischte sich Schmerz hinein. Als würde man mir die Hand in die Brust rammen, mein Herz fassen und es qualvoll langsam zusammen drücken.
Es war zwar nur eine kurze Sequenz, jedoch reichte es vollkommen, um sie wie verbrannt loszulassen.
Wie sie vor mir floh, fast, als wäre ich derjenige, der ihr Schmerz zufügte, lies mich das Gesicht verbittert verziehen.
Ihr Vater meinte, ich solle ihr Zeit geben, da sie selbst sich jetzt am meisten helfen konnte. Doch als er mich aus dem abgedunkelten Raum führen wollte schüttelte ich seine Hand ab und lies mich neben dem Fenster nieder, von wo aus ich einen guten Blick zu meiner Mate hatte.

Immer wieder hörte ich sie leise schniefen, raunte ihr daraufhin beruhigende Worte zu. Ob es half, wusste ich nicht, doch ich musste in irgendeiner Art und Weise für sie da sein.
Es zerriss mich, zu wissen, dass meine Seelenverwandte so litt, und ich es anscheinend nur schlimmer machte.
Ein Bewegung riss mich aus meinen Gedanken. Mein Blick huschte zu dem zierlichen Mädchen vor mir, welches mich aus trüben Augen anstarrte. Kein einziges Gefühl huschte über ihre verweinten Wangen, was mir einen kleinen Stich verpasst.

"Kamaria?", fragte ich vorsichtig.
Keine Reaktion.
Nicht einmal ein minimales Zucken. Langsam erhob ich mich, strich mir eine störrische Strähne aus der Stirn und ballte dann nervös die Hände zu Fäusten, nicht wissend, was ich tun sollte.
Gefühlt standen wir Stunden dort und starrten uns einfach entgegen.
Dann blinzelte sie ein paar mal, ein komischer Ausdruck huschte über ihr hübsches Gesicht, jedoch senkte sie sofort darauf den Kopf.

In dem Moment sah sie so zerbrechlich aus, dass ich dem Verlangen, sie beschützend an mich zu drücken, nicht länger stand halten konnte. Da mich aber der Schmerz, wenn sie mich ein weiteres mal wegstoßen würde, innerlich ein weiteres Mal zerbrechen würde, stürmte ich an ihr vorbei und die Treppen nach unten.
Unten angekommen begegnete ich kurz Flint, der mir verwirrt hinterher sah, jedoch stapfte ich weiter und begann vor dem Haus zu joggen.
Ein wütendes Knurren entfuhr mir und schon landete meine Faust am nächstgelegenen Baumstamm.

Dessen Rinde splitterte an der getroffenen Stelle ab und rieselte zu Boden, während ich mich zähneknirschend gegen diesen Baum lehnte.
Wieso war sie so? So...So abweisend?
Hatte es etwas mit den Narben an ihren Handgelenken zu tun? Was war meiner Mate nur passiert?
"Lucian?"
Ich blinzelte zu der Person auf, die vor mir stand und mich angeredet hatte. Meine Gedanken hingen jedoch noch bei diesen verschreckten grünlichen Augen.
Tara stand direkt vor mir, ihr Lächeln war das erste, was mir entgegensprang, als ich kurz ihr Gesicht musterte. Sie war nicht einmal halb so schön wie meine Kami.
"Ja?", meinte ich, während ich mich noch immer bemühen musste meine animalische Seite unter Kontrolle zu bringen. Ein - und Ausatmen, so wie ich es gelernt hatte.

Moonlight - Das Schweigen der Wölfin | #Pessi - Award2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt