Requiem

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Ich bin tot.

Eine normale Aussage eines jeden Teenagers, wenn er ausdrücken will, dass er K. O. ist, müde oder ihm eine Menge Ärger bevorsteht. Niemand meint es wirklich so. Ich schon. Im wörtlichen Sinne, versteht ihr?

Ich bin tot. Ermordet. Ich kann nicht mehr zurück. Mein Körper ist Würmerfutter. Mir ist das passiert, wovor alle in den Medien immer warnen:

Sei auf der Hut! Vertraue keinem Fremden! Geh nicht mit Unbekannten mit!

Daran habe ich mich immer gehalten, denn so hab' ich es gelernt. Doch warum warnen alle nur vor den Menschen, die einem fremd sind? Warum sagt keiner »te dich vor denen, die du kennst«? Denn genau so war es bei mir.

Mein Mörder, ich kannte ihn. Ich vertraute ihm, fühlte mich sicher bei ihm.

Welch fataler Irrtum.

Aber fangen wir am Anfang an, bevor ich euch alle mit der Aussage geschockt habe, einen Bericht aus meinem Grab heraus zu schreiben.

Bevor aus mir etwas wurde, was jetzt irgendwo verschimmelt, war ich ein normaler Typ.

Mein Name ist – war – Andrew, doch alle riefen mich Drew, ich war fünfzehn und liebte kaum etwas mehr als Bücher und Literatur. Ich hatte den hoffnungsvoll-naiven Wunsch, nach der Schule ein berühmter Schriftsteller zu werden und Weltbestseller zu schreiben. Während andere Fahrrad fuhren, bewältigte ich meinen Schulweg auf meinem Board, denn ich war ein begeisterter Skater und hatte dabei immer möglichst laute Metal-Musik in den Ohren.

Ich war keiner dieser Überflieger, die jeder mochte, aber ... ja, normal eben. Weder einer der Ultrahippen noch ein Außenseiter. Eigentlich war mein Leben ok.

Meine Eltern, Dharma und Seth, waren Spießer, aber denkt das nicht jedes Kind von seinen Erzeugern? Ich würde alles geben, um ihnen ein letztes Mal sagen zu können, dass ich sie liebe. Doch das geht nicht. Und auch wenn ich stets ein Auge auf sie habe, verständlich machen kann ich mich nicht.

Denn ich bin ja schließlich tot!

Ihr wollt sicher wissen, wie das geschah, oder? Mein Mörder ist der – nach wie vor – beste Freund meines Vaters!

Er heißt Joshua und war in allem ungefähr zehnmal so cool wie mein Dad. Zumindest dachte ich das damals. Denn während mein Vater Tag für Tag im Büro saß und Akten wälzte, arbeitete Josh als Fitnesstrainer und ehrenamtlicher Betreuer im örtlichen Jugendzentrum, er fotografierte in seiner Freizeit, ging zum Tauchen und stand auf Extreme wie Fallschirmspringen und Bungee Jumping. Er war eine coole Sau, mal ganz abgesehen davon, dass er auch dreimal besser aussah als mein Dad, der mit seinen Mitte dreißig allmählich etwas schütter wurde. Doch trotz dieser Gegensätze verstanden die beiden sich.

Ich habe mir damals gewünscht, dass er, also Josh, mein Vater wäre, weil ich in der naiven Überzeugung gewesen war, dass mein Leben dann cooler wäre.

Ich war dumm.

Aber ich fand es toll, dass er mich mochte, das machte mich stolz. Wann immer er meinen Dad und uns besuchte, brachte er mir Sachen mit. Entweder eine gute Geschichtensammlung von Poe oder etwas von Oscar Wilde oder auch mal eine gebrannte CD mit Metal-Tracks, die ich noch nicht kannte.

Ich konnte mich stundenlang mit ihm streiten, warum Twilight niemals auch nur annähernd so gut sein würde wie Harry Potter und hatte in jeder Sekunde das Gefühl, dass er mich ernst nahm.

Ich habe ihm ehrlich vertraut. Es fühlte sich für mich immer so an, als hätte ich einen großen Bruder. Nie im Leben hätte ich geglaubt, dass er fähig sein würde, so etwas zu tun ...

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